Kurz vor den Präsidentschaftswahlen im März will das Regime von Abdel Fattah al-Sisi sämtliche Kritiker mundtot machen. Oppositionelle rufen zum Boykott auf. Die Menschen sind verängstigt – und leiden unter der Wirtschaftskrise.

Kairo - Der Jubeltag des Volkes, der vor sieben Jahren die ganze Welt bewegte, scheint in Ägypten wie vergessen. Niemandem war am vergangenen Sonntag zum Feiern zumute, dem Jahrestag des 11. Februar 2011, als Hosni Mubarak nach 18 Tagen Tahrir-Platz endlich das Feld räumte und sich nach Sharm al-Sheikh ausfliegen ließ. Damals lagen sich die Ägypter in den Armen, feierten ihren Sieg über den Diktator und hofften auf eine neue, bessere Zeit unter ihrem revolutionären Motto „Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit“. Heute wirkt diese nationale Euphorie wie ein ferner Traum. Stattdessen herrscht Friedhofsruhe im Land. Fast jeden Tag lässt Staatschef Abdel Fattah al-Sisi innenpolitische Kritiker verhaften, zuletzt traf es am Donnerstag einen der bekanntesten Regierungskritiker, wie die Nachrichtenseite Al-Masry Al-Youm meldete. Für die Präsidentenwahl Ende März schafften die Schergen des 63-Jährigen bereits im Vorfeld sämtliche ernsthaften Mitbewerber aus dem Weg. Offiziell beginnt der Wahlkampf nächste Woche, doch für die 95 Millionen Ägypter gibt es nichts zu diskutieren. Jeder, der den Mund aufmacht, riskiert Prügel oder Gefängnis. Mehr als 500 Webseiten von Zeitungen und Nachrichtenportalen sind blockiert. Razzien bei Verlegern, Festnahmen von Autoren gehören zum Alltag. 31 Journalisten sitzen in Haft – in der Regel unter übelsten Bedingungen. Andere Reporter sind spurlos verschwunden.

 

Das Militär will Sisi mit allen Mitteln durchsetzen

Denn Militär und Geheimdienste sind entschlossen, ihren Vormann auch diesmal – wie schon 2014 – mit aller Gewalt durchzusetzen. Und Sisi weiß, weder die Vereinigten Staaten noch Europa werden am Ende seinen Pseudosieg ernsthaft beanstanden, weil sie den Machthaber in Kairo brauchen als Verbündeten gegen den Terror und als verlängerten Arm gegen die Menschenschmuggler.

Als „weder frei noch fair“ kritisierten dagegen 14 nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen die geplante Farce. Sie forderten Washington und Brüssel auf, ihre Hilfen für den ägyptischen Unterdrückungsapparat zu stoppen und die Zusammenarbeit mit Sisis Polizei zu beenden. „Sieben Jahre nach Ägyptens Aufstand 2011 verhöhnt die Regierung die Grundrechte, für die die Demonstranten damals kämpften“, heißt es in dem Text. Parallel dazu riefen 600 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens am Nil die Bevölkerung auf, den Urnengang vom 26. bis 28. März zu boykottieren. „Ägypten ist zu einer Lachnummer auf der Welt geworden“, schimpfte Mohamed Anwar al-Sadat, der Enkel des früheren Präsidenten Anwar al-Sadat, der seine Kandidatur ebenfalls nach massiven Drohungen zurückziehen musste.

Ägyptens soziale und wirtschaftliche Misere hat sich erheblich zugespitzt

Schon vor vier Jahren, als Sisi sich im Mai 2014 zum ersten Mal zum Staatschef küren ließ, ging es nicht mit rechten Dingen zu. 97 Prozent der Stimmen habe der Ex-Feldmarschall erhalten, lautete seinerzeit das offizielle Ergebnis. Doch große Teile des Volkes boykottierten den Urnengang, allen voran der Nachwuchs unter 30, sodass westliche Beobachter die Beteiligung am Ende auf magere 20 bis 25 Prozent schätzten. Hinter den Kulissen wurde das Ganze auf 47,4 Prozent hochgedoktert und Sisi als haushoher Gewinner ausgerufen. Als „Beleidigung für die Intelligenz der Ägypter“ verspottete damals der chancenlose Kontrahent Hamdeen Sabahi das dubiose Zahlenwerk.

Im Unterschied zu 2014 hat sich Ägyptens soziale und wirtschaftliche Misere jedoch erheblich zugespitzt. Die Inflation galoppiert, die Zahl der Armen steigt, auf den Straßen herrschen Apathie und ängstliches Schweigen. Vor allem die Mittelklasse verliert durch den Währungsschnitt vom November 2016 an Boden. Selbst besser verdienende Eltern wissen nicht mehr, wie sie das Schulgeld für ihre Kinder bezahlen sollen, während weiter schwere Attentate das Land erschüttern. So verübten Ende November IS-Dschihadisten auf dem Sinai die bisher blutigste Terrortat in der modernen Geschichte des Landes, als sie eine Moschee unter Feuer nahmen und 311 der Freitagsbeter töteten. Wieder einmal schwor Präsident Sisi, er werde den Terrorismus mit Stumpf und Stil ausrotten. In einer Rede vor Offizieren gab er preis, auf der Halbinsel seien inzwischen an die 25 000 Soldaten im Einsatz, mehr als 1967 bei dem Sechs-Tage-Krieg gegen Israel. Erst am Donnerstag vermeldete ein Armeesprecher Erfolge: Ägyptische Sicherheitskräfte hätten 53 Extremisten getötet und fünf weitere gefangen genommen. Hunderte Verstecke und Sprengkörper seien zerstört worden. In Wirklichkeit wird Ägypten jedoch mit der Terrororganisation Islamischer Staat selbst nicht mehr fertig. Längst trage die israelische Luftwaffe eine Hauptlast der Kämpfe, enthüllte kürzlich die „New York Times“. Mehr als 100 Einsätze von Drohnen, Hubschraubern und Kampfjets ohne Hoheitszeichen habe der kleine Nachbar in den vergangenen beiden Jahren gegen die Terrormiliz geflogen, zitierte das Blatt US-Militärexperten.

Das wollte der düpierte Sisi nicht auf sich sitzen lassen und ließ den Bericht empört dementieren. Letzte Woche riegelte er den kompletten Nordsinai ab und schickte ein weiteres Großaufgebot an Panzern und Soldaten los. „Die Teufel, die Ägyptens Sicherheit zerstören wollen, müssen vernichtet werden“, polterte Sisi in einer wütenden Rede. Mit Blick auf den Arabischen Frühling 2011 drohte er, falls irgendjemand hoffe, er könne die Ereignisse von vor sieben Jahren wiederholen, „der wird keinen Erfolg haben und der kennt mich schlecht“.