Mutig, mutig: Die Macher des neuen Wiener Tatorts „Abgründe“ wagen sich an den Entführungsfall Natascha Kampusch heran. Denn auch Jahre nach der Flucht der jungen Frau aus der Gefangenschaft sind nicht alle Fragen geklärt.

Stuttgart - Mutig, mutig: Die Macher des neuen Wiener Tatorts „Abgründe“ (Sonntag, 2. März 2014 im Ersten sowie in der ARD-Mediathek) wagen sich an den Entführungsfall Natascha Kampusch heran. Denn auch Jahre nach ihrer Flucht aus der Gefangenschaft sind nicht alle Fragen geklärt.

 

Doch zuerst wird im Keller eines Abbruchhauses die Leiche der Polizistin Franziska Kohl gefunden, die qualvoll verdurstet ist. Vor ihrem Tod war Kohl Leiterin der „Soko Melanie“, einer Sondereinheit, die im Fall eines entführten und mehrere Jahre lang gefangen gehaltenen Mädchens ermittelte. Das Opfer Melanie Pölzl hatte sich schließlich selbst befreien können, ihr Peiniger wurde von einem Zug überfahren.

Chefinspektor Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und seine Kollegin Bibi Fellner (Adele Neuhauser) stoßen bei ihren Ermittlungen schnell auf Widerstände. Kohls Leiche darf nicht obduziert werden, ihr Tod wird auf Weisung von oben als Unfall deklariert und auch die Akte zum Pölzl-Fall, in dem Franziska Kohl immer noch ermittelte, ist unvollständig. Doch wer hätte ein Interesse daran, ihren Tod zu vertuschen? Eisner vermutet eine Verschwörung bis in die höchsten Kreise der Polizei.

Parallelen zum Fall Kampusch

„Abgründe“ ist stark an den Entführungsfall Natascha Kampusch angelehnt – und reißt noch mal all die Fragen auf, die bis heute für Verwirrung sorgen. Wie viele Täter gab es? Brachte sich der Entführer wirklich selbst um? Und ist die ganze Sache vielleicht mehr als eine Entführung?

Leider setzen die Macher um Regisseur Harald Sicheritz beim Zuschauer ziemlich viel Vorwissen zu diesem Fall voraus. Vielleicht wird deshalb zu keiner Zeit die Hintergrundgeschichte, sprich der fiktive Pölzl- oder eben der reale Kampusch-Fall, noch mal nacherzählt. Stattdessen werfen die Ermittler mit Details und Namen um sich, was mehr verwirrt als Klarheit schafft.

Eisner und Fellner dagegen haben sich als Team gut zusammengerauft und zeigen schon Anwandlungen eines alten Ehepaars. So fragt Bibi Fellner ihren Kollegen im Restaurant „Hast du dir auch die Hände gewaschen?“ und Eisner hält sie ihr mit entnervtem Gesichtsausdruck zur Kontrolle hin. Ähnliche Szenen kennt man vielleicht noch von den eigenen Großeltern.

Im Hormonrausch

Aber was um alles in der Welt haben sich Sicheritz und Co. bei dem völlig kruden Auftritt von Eisners Polizeikollegin Julia Wiesner (Stefanie Dvorak) gedacht, die sich dem Ermittler wie im Hormonrausch an den Hals wirft? Peinlich ist das, nichts anderes.

Kurz und gut: „Abgründe“ ist sicher nicht der schlechteste Tatort und zeitweise sogar ziemlich spannend, gerade auch wegen der Anklänge an den Kampusch-Fall. Allerdings sollte man am Anfang nicht geistig abschalten, sonst verliert man leicht den Anschluss.

Der Tatort „Abgründe“ im Kurzcheck

Schönste Krimifloskel: „Der übrige Körper war super erhalten. Tot halt.“ Gerichtsmedizinerin Veronika Resnik (Eva Billisich) hat einen recht eigenwilligen Humor. Liegt vielleicht an ihrer gruft-artigen Pathologie.

Die heimliche Stilikone: Auch wer nicht auf Autos steht, gewinnt Bibi Fellners „Schlampenschleuder“ (Eisner), den eigenwilligen Pontiac mit der Knarre im Kofferraum, nach einer Weile irgendwie lieb.

Gefühlter Moment, in dem der Fall gelöst ist: „Magic, magic, magic“ – mit ein bisschen Magie ist die Sache nach 65 Minuten eigentlich so gut wie klar.