Bayern schreibt Grundschullehrern eine Stunde Mehrarbeit vor. Baden-Württemberg setzt auf Freiwilligkeit um die Lücken in der Unterrichtsversorgung zu schließen. Doch die Gymnasiallehrer winken ab.

Stuttgart - Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) hofft auf ihre Lehrer. Sie sollen drei Jahre lang freiwillig eine Stunde mehr arbeiten und so die akuten Lücken in der Unterrichtsversorgung schließen. Das Kabinett wird voraussichtlich am kommenden Dienstag ein sogenanntes freiwilliges Vorgriffstundenmodell beschließen. Es umfasst einen Zeitraum von neun Jahren und sieht vor, dass Lehrer drei Jahre lang jeweils eine Stunde mehr unterrichten, drei Jahre kehren sie zu ihrer gesetzlich vorgesehenen Unterrichtsverpflichtung zurück, die folgenden drei Jahre arbeiten sie jeweils eine Stunde weniger. Die Bezahlung bleibt gleich. Das Modell soll bereits im kommenden Herbst, zum Schuljahr 2020/21, eingeführt werden.

 

Bei den Gymnasien beißt Eisenmann auf Granit

Eisenmann hofft, dass sie so Unterrichtsstunden im Umfang von 81 Lehrerstellen gewinnen kann. Doch die Gymnasiallehrer winken jetzt schon ab. „Frau Eisenmann wird auf Granit beißen“, sagt der Gymnasiallehrer und Chef des Landesphilologenverbands, Ralf Scholl. „Solange das Deputat nicht gesenkt wird, bleibt der Vorschlag ein Papiertiger. Das wird kaum einer machen“, tut Scholl die Idee zur Bekämpfung des Lehrermangels ab. 25 Stunden, die die Gymnasiallehrer in der Woche unterrichten müssen, seien bereits zu viel.

Die Kultusministerin setzt jedoch darauf, dass jeder vierte Lehrer mit vollem Deputat und jede zehnte Teilzeitkraft zu der zeitlich befristeten freiwilligen Mehrarbeit bereit sein wird. „Mit Hilfe der Lehrerinnen und Lehrer, die unserem Aufruf folgen, können wir gezielt Lücken schließen, denn jede Unterrichtsstunde zählt“, sagt Eisenmann. Sie betrachtet das Modell, dem der Landtag noch zustimmen muss, als „äußerst wirksamen Schritt“ überall dort, wo dringend Lehrkräfte gebraucht würden.

Der Vorschlag wendet sich vor allem an Grundschulen und die sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ, früher Sonderschule). Aber auch die Lehrer an Haupt-, Real- und Gemeinschaftsschulen sind gefragt. An Gymnasien und beruflichen Schulen hat Eisenmann Lehrer der Mangelfächer wie Physik oder Informatik im Blick.

Bayern schreibt Mehrarbeit vor

Anders als Bayern setzt Eisenmann auf Freiwilligkeit. In Bayern sollen vom kommenden Schuljahr an Grundschullehrer 29 statt 28 Stunden in der Woche unterrichten. Auch in Baden-Württemberg ist die Unterrichtsverpflichtung der Grundschullehrer 28 Wochenstunden.

Doro Moritz, die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), verweist darauf, dass Lehrer schon jetzt freiwillig mehr arbeiten können. „Wenn Not am Mann ist, und jemand längerfristig ausfällt, springen bereits Kollegen ein“, berichtet Ralf Scholl. Allerdings gibt es aktuell keinen festen Zeitplan, wann die Mehrarbeit zurückgegeben wird. „Es muss vor dem Eintritt in den Ruhestand sein“, sagt Scholl. Er schätzt, dass allein die Gymnasien im Moment Überstunden im Umfang von 700 Stellen vor sich her schieben. Bei dem neuen Modell wird die Rückgabe der Überstunden festgelegt.

GEW fordert weitere Maßnahmen

Die GEW wendet ein, „es hilft insgesamt wenig, wenn einige Lehrerinnen und Lehrer länger im Klassenzimmer stehen.“ Die freiwillige Mehrarbeit reiche nicht aus um die Unterrichtsversorgung entscheidend zu verbessern. Ein Vorgriffstundenmodell gab es in Baden-Württemberg bereits in den 90er Jahren, damals hatte es die GEW initiiert. Doro Moritz erneuerte die Forderung, dass die Unterrichtsverpflichtung älterer Lehrkräfte weiter reduziert werden sollte. So könnten mehr Lehrer bis zur gesetzlichen Altersgrenze im Dienst gehalten werden. Derzeit seien das nur 26 Prozent der Pädagogen. Davon hält jedoch Kultusministerin Eisenmann nach wie vor nichts.

Auch regt Doro Moritz an, Lehrer an Grundschulen und SBBZ übergangsweise besser zu bezahlen, so lange dort der extreme Lehrermangel herrsche. Einsteiger sollten unter bestimmten Bedingungen für einige Jahre Sonderzuschläge bekommen. Außerdem setzt sich die GEW dafür ein, mehr Studienplätze für Lehramtsstudenten zu schaffen.

SPD und FDP sorgen sich um Rückgabe

Gerhard Brand, der Landesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) begrüßt, dass das geplante Modell auf Freiwilligkeit beruht, fordert aber mehr Flexibilität bei der Rückgabe der Stunden. SPD und FDP haben nichts gegen die freiwillige Mehrarbeit. Andreas Stoch, der Chef der Landes-SPD betont aber: „Freiwillige Mehrarbeit kann niemals den eklatanten Lehrermangel ausgleichen. Niemand soll meinen, damit seien die Hausaufgaben erledigt.“

Wie Stoch befürchtet auch Timm Kern, der bildungspolitische Sprecher der FDP, dass die Lage in sechs Jahren vielleicht die Rückgabe der Stunden gar nicht zulassen könnte. „Es darf nicht passieren, dass Lehrer ihre Stunden dann nicht abbauen können“, warnt Kern.