Generation Beziehungsunfähig? Das hält die Psychologin und Autorin Stefanie Stahl für Unsinn. Aus ihrer Sicht ist die Balance zwischen Nähe und Distanz entscheidend für stabile und glückliche Bindungen. Am Donnerstag spricht sie im Hospitalhof in Stuttgart darüber, wie Menschen ihre Beziehungsfähigkeit verbessern können.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Stuttgart - Vor drei Jahren hat der Berliner Autor Michael Nast mit seiner Kolumnensammlung „Generation Beziehungsunfähig“ einen Bestseller gelandet. Nast beschrieb eine Generation von vermeintlich verzweifelten Dauersingles: „Das eigene ‚Ich‘ ist unser großes Projekt. Wir werden zu unserer Marke.“ Immer gehe es um Perfektion, das Streben nach Höherem: „Man weiß einfach, dass es irgendwo noch jemanden gibt, der besser zu einem passt.“

 

Bindungsfähigkeit erlernen wir in der Kindheit

Aber stimmt das überhaupt? „Das ist alles Unsinn“, ist die Antwort von Stefanie Stahl. Die Psychologin, Therapeutin und Autorin („Jeder ist beziehungsfähig“) aus Trier beschäftigt sich seit Jahren mit den Themen Selbstwertgefühl und Beziehungen. Sie sagt, das Gegenteil sei der Fall: Tatsächlich würden viele, auch junge Menschen, wieder mehr lange und enge Beziehungen führen, die Bindungsfähigkeit nehme sogar zu. „Bindungsfähigkeit erlernen wir im Elternhaus“, sagt Stahl. „Heute sind Eltern viel zugewandter und informierter.“

Stahls These ist stattdessen: „Jeder ist beziehungsfähig.“ Aber: „Es verlangt eben gewisse Fähigkeiten, um sich binden zu können.“ Man müsse sich anpassen können, kompromissbereit sein, vertrauen und lieben können. Klingt logisch, ist es aber für manche nicht: „Für viele steht eine Beziehung im Konflikt mit ihrem eigenen Leben.“

Stahls Hauptargument ist, dass Menschen, die sich mit Beziehungen schwer tun, in erster Linie ein Problem damit haben, die richtige Balance zwischen Nähe und Distanz zu finden. „Jeder Mensch hat ein existenzielles Bedürfnis nach Bindung, aber auch ein existenzielles Bedürfnis nach Autonomie.“

Eine gute Balance aus Bindung und Autonomie ist entscheidend

Wem die Balance aus Selbstbehauptung und Anpassung gelingt, der schafft es, eine funktionierende und zufriedene Beziehung zu führen. Wobei die Betonung dabei auf „funktionierend und zufrieden“ liegt. Denn: „Man kann bindungsängstlich sein und in einer langen Beziehung oder gar verheiratet sein“, warnt Stahl. Nicht jeder, der Angst vor Nähe hat, ist Single. Nur Fernbeziehungen oder Affären mit Vergebenen? Flucht in die Arbeit oder in zeitaufwendige Hobbies? Es gibt viele Wege dem eigenen Partner geschickt aus dem Weg zu gehen.

Doch was ist die Lösung? Die Angst vor Nähe hängt laut Stahl meistens mit einem geringen Selbstwertgefühl zusammen: „Der Selbstwert ist das Epizentrum von allem.“ Wer überzeugt sei, dass er nicht genüge, sei oft zu überangepasst. Solche Menschen, sagt die Psychologen, verlieren sich häufig in Beziehungen – solange bis sie sich zwangsläufig trennen müssen, um ihre Freiheit zurück zu gewinnen. Andere wiederum halten gleich von Anfang an einen Sicherheitsabstand: „Viele schützen sich vor ihrer Verlustangst, indem sie sich gar nicht erst auf etwas einlassen.“

Wer keine Beziehung hat, ist dafür selbst verantwortlich. Das klingt für Menschen, die sich gerne eine Beziehung wünschen zunächst ein bisschen hart, ja auch frustrierend. Aber davon ist Stahl überzeugt. Umgekehrt heißt das aber: Man ist seinem Schicksal nicht ausgeliefert. Denn laut der Psychologin könne fast jeder daran arbeiten. „Das ist auch kein großer Zauber.“ Nicht weil es keinerlei Anstrengungen Bedarf, sondern weil es nur einige, wenige Wirkmechanismen wären, die man ändern müsse.

Wer immer an den Falschen gerät, sollte sein Beuteschema überdenken

So rät Stahl dazu, zum einen am eigenen Selbstbewusstsein zu arbeiten und zum anderen sein Beuteschema gründlich zu analysieren. Ein Klassiker, den Stahl aus ihrer Praxis kennt: „Viele sind innerlich sehr überangepasst und können schlecht alleine sein. Umgekehrt stehen die gerne auf diese autonomen, coolen Typen, die immer so ein Hauch des Unnahbaren versprühen.“ Manche würden Jahre mit denen vergeuden, sagt Stahl. „Denn gerade die Typen lassen sich nicht wirklich auf eine Beziehung ein.“ Woran das liegt? Wer ein schwaches Selbstwertgefühl hat, der sucht nach jemand, der genau das hat, was einem selbst fehlt. „In dem Fall ist das die Unabhängigkeit“, sagt Stahl. Wer an seinem Selbstwert arbeite, lerne auch, sich innerhalb einer Beziehung zu behaupten – und das mindert auch die Verlustangst.

Glück in der Liebe – das hat laut Stahl nicht wirklich etwas mit Glück zu tun. „Das ist eine Frage der inneren Einstellung.“ Im Übrigen verbessere eine gute Beziehungsfähigkeit und ein gesundes Selbstbewusstsein auch andere Verbindungen: zu Freunden, der Familie oder den Kollegen.