Bestechung im Ausland wurde beim Daimler-Konzern auch dann noch toleriert, als sie verboten war.

Stuttgart - Als in Deutschland Ende der neunziger Jahre das Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung in Kraft trat, hat es Daimler nach Ansicht des US-Justizministeriums unterlassen, entsprechende Praktiken abzustellen. Zu dem Zeitpunkt hatte der Konzern mehr als 200 sogenannte interne Fremdkonten, die zur Abwicklung von Bestechungszahlungen genutzt wurden.

In der 76-seitigen Anklageschrift gegen Daimler, die der StZ vorliegt, beklagt die US-Behörde, dass in den Folgejahren die Bemühungen einzelner Mitarbeiter, gegen unsaubere Zahlungen vorzugehen, bis 2005 vom Management nicht ausreichend unterstützt wurden. Bereits 1999 verabschiedete der Daimler-Vorstand eine Verhaltensrichtlinie mit Klauseln, die Bestechung als Mittel der Auftragsbeschaffung ausschlossen.

Beschluss war umstritten


Nach dem Wortlaut der Anklageschrift war dieser Beschluss umstritten; Teilnehmer der Sitzung, so heißt es, hätten darauf hingewiesen, dass Daimler in bestimmten Ländern Einbußen erleiden werde, wenn auf sogenannte "Nützliche Zahlungen" verzichtet werde. Die Kläger kritisieren, dass Daimler trotz des Beschlusses keine Maßnahmen ergriffen hat, die Regeln durchzusetzen.

So hat der Chef der internen Revision im Jahr 2000 mehrfach, unter anderen in Schreiben an die Rechtsabteilung und an die Auslandsorganisation Daimler-Chrysler Overseas (DCOS), die zum Beispiel für Afrika und Russland zuständig ist, darauf hingewiesen, dass über die internen Fremdkonten weiterhin dubiose Zahlungen geleistet würden. Im Mai 2000 beklagte die interne Revision, dass es keine zentralen Anweisungen gebe, die sicherstellen, dass Daimler Zahlungen nur im Rahmen des Gesetzes und der eigenen Verhaltensrichtlinie leistet.

Die Revision regte an, die internen Fremdkonten grundsätzlich zu schließen; ein Jahr später folgte die verschärfte Forderung, die Konten ohne Ausnahme dichtzumachen. Dem, so heißt es in der Anklageschrift, widersetzten sich der Chef und weitere Mitglieder des Managements von DCOS; im Zuge der Aufarbeitung der Affäre trennte sich Daimler 2006 von sechs hochrangigen DCOS-Managern.

Die Bestechung wurde kaschiert


Detailliert listete die Revision 14 verschiedene Varianten auf, mit denen Mitarbeiter im Ausland durch Bestechung an Aufträge gekommen waren. Einen besonders dreisten Fall in Vietnam dokumentieren die Ermittler.

So wurde im Oktober 2004 in der Hauptstadt Hanoi die asiatisch-europäische Konferenz Asem-5 abgehalten; Daimler lieferte 78 Autos, mit denen die Konferenzteilnehmer herumkutschiert werden sollten. Die Vertriebstochter Mercedes-Benz Vietnam (BMV) kam an diesen Auftrag nicht zuletzt durch Zahlung von 400.000 Dollar an Regierungsvertreter. Um die Bestechung zu kaschieren, wurde ein Auftrag an das regierungsnahe Unternehmen Viet Thong Limited Company erfunden. Viet Thong sollte angeblich eine wissenschaftliche Studie liefern, wozu die Vietnamesen als Import- und Exportgesellschaft aber gar nicht in der Lage waren.

Um dies wiederum zu verbergen, stellten MBV-Mitarbeiter als Referenz eine Studie zusammen, die als Arbeit von Viet Thong ausgegeben wurde. Das angebliche Werk der Vietnamesen stammte jedoch von der University of California, war nicht 2004, sondern bereits 1997 entstanden, und beschäftigte sich nicht mit Mercedes-Limousinen, sondern mit Fahrzeugen von Ford. Da die Studie im Internet verfügbar war, luden sie die MBV-Beschäftigten herunter und frisierten sie lediglich ein wenig.

"Manager konnte Einfluss auf Revision nehmen"


Die Autoren der Anklageschrift gehen mit Daimler hart ins Gericht. So ist die Rede von einer Firmenkultur, die Bestechung nicht nur toleriert, sondern teilweise sogar dazu ermuntert habe. Als weitere Ursache gilt die dezentrale Struktur der Verkaufsorganisation mit ihren "unzähligen" Einheiten, so dass es keinen Gesamtüberblick gegeben habe.

Kritisch werten die Amerikaner auch, dass die Mitarbeiter im Ausland, die für die saubere Geschäftsabwicklung zuständig waren, unter Chefs arbeiten mussten, die in erster Linie für den Verkauf verantwortlich waren. "Die Manager konnten Einfluss auf die Revision nehmen, ebenso wie auf mögliche Maßnahmen zur Abhilfe." Fehlende Kontrollen machten auch Selbstbedienung leicht. So konnte ein Daimler-Topmanager in China 230.000 Euro vom Firmenkonto aus das Konto seiner Frau im Ausland überweisen.

Nach jahrelangen Ermittlungen hat sich Daimler vor einer Woche mit der US-Justiz auf einen Vergleich geeinigt. Der Konzern bekennt sich schuldig, in mindestens 22 Ländern Amtsträger bestochen zu haben und akzeptiert eine Strafe von 185 Millionen Dollar. Ein Richter muss dem ausgehandelten Vergleich am 1. April noch zustimmen. Das amerikanische Antikorruptionsgesetz (Foreign Corrupt Practices Act) verbietet bereits seit 1977 Zahlungen und Geschenke an ausländische Amtsträger.

Die Verantwortung wird dem Management gegeben


Dieses Gesetz gilt auch für nicht-amerikanische Unternehmen, deren Aktien an der US-Börse notiert werden; Daimler ging 1993 an die Wall Street. Über zehn Jahre hinweg sollen insgesamt 56 Millionen Dollar an Schmiergeldern geflossen sein. Die Verantwortung geben die US-Ermittler dem Management, vor allem in der Vertriebsorganisation; Namen werden jedoch nicht genannt.

Daimler soll durch die Manipulationen 6300 Lastwagen, Transporter und Busse sowie 500 Personenwagen verkauft haben. Die Börsenaufsicht SEC beziffert den entsprechenden Umsatz auf 1,9 Milliarden Dollar und die illegalen Gewinne auf 91,4 Millionen Dollar. In den Gerichtsunterlagen ist von gut 200 Zahlungen in den Jahren nach 1998 die Rede; ein Fall in Kroatien datiert aus 2008. Im Zuge der Aufarbeitung des Problems hat sich Daimler von 45 Mitarbeitern getrennt und eine Antikorruptionsabteilung aufgebaut.