Ein Experte listet im Auftrag einer Bundesbehörde Argumente auf, die Donald Trumps Vorwürfe stützen und Angela Merkels Empörung wie Heuchelei erscheinen lassen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Einen „Gefangenen Russlands“ nannte US-Präsident Donald Trump unlängst in Brüssel die Bundesrepublik Deutschland. Sein Zorn entzündete sich an der 1200 Kilometer langen Pipeline Nord Stream 2, die vom kommenden Jahr an russisches Erdgas über die Ostsee nach Europa liefern soll. Deutschland bezahle „Milliarden und Abermilliarden“ an Russland und mache sich damit von Putins Regime abhängig. 70 Prozent des hier konsumierten Gases kämen bereits von dort. Wie immer hatte Trump übertrieben – es sind aktuell nur 38 Prozent. Mit einer schlichten historischen Rückblende, die Kanzlerin Angela Merkel bemühte, um Trumps Wort von der Gefangenschaft zu entwerten, ist es aber nicht getan. Gegenargumente listet der Politologe Frank Umbach im Auftrag der Bundesakademie für Sicherheitspolitik auf. Der Experte gibt Trump im Grundsatz recht.

 

„Außenpolitischer Spaltpilz“, für den vor allem Berlin verantwortlich ist

Umbach, Forschungsdirektor am Londoner King’s College, stellt in dem fünfseitigen Papier zwar ausdrücklich seine „persönliche Meinung“ dar. Bei der Institution, unter deren Namen sein Gutachten verbreitet wird, handelt es sich aber um eine Dienststelle des Bundesministeriums der Verteidigung. Umbach bewertet das Pipeline-Projekt als „außenpolitischen Spaltpilz, für den im Wesentlichen Deutschland verantwortlich ist“. Die strategischen Absichten und Vorteile Russlands würden „weitgehend ausgeblendet oder marginalisiert“.

Der Wissenschaftler erinnert daran, dass der umstrittene Plan von der Bundesregierung „unilateral ohne Vorabkonsultationen mit Brüssel und den Nachbarstaaten“ betrieben werde. Damit stützt Umbach sich auf das gleiche Argumentationsmuster, das Merkel im Asylkonflikt gegen Bundesinnenminister Horst Seehofer ins Feld geführt hatte: Es geht um eine Politik, die allein nationalen Interessen folgt und die außerdem innerhalb der Europäischen Union nicht abgestimmt ist.

„EU-Ziele auf dem Altar deutsch-russischer Sonderinteressen geopfert“

Die Pipeline-Pläne widersprächen dem Ansatz einer vernetzten Energiesicherheit, auf die sich die EU verständigt habe. Die Abhängigkeit Deutschlands von russischen Gasimporten werde auf 50 bis 60 Prozent ansteigen, sobald Nord Stream 2 betriebsbereit ist, sagt Umbach. Diese Angaben liegen nicht mehr ganz so weit von Trumps Zahlen entfernt. Die von Deutschland favorisierte Röhre unterlaufe die Diversifizierungsstrategie der Europäer. Sie diene „nicht allein kommerziellen, sondern auch geopolitischen Interessen Moskaus“. Bei der russischen Gasexportdiplomatie ließen sich geschäftliche und strategische Absichten nicht immer klar trennen. Putins offizielle Verlautbarungen machten hieraus kein Geheimnis. Der Experte aus London lässt Merkels Empörung wegen Trumps Vorwürfen in anderem Licht erscheinen. Mit der Entscheidung für Nord Stream 2 habe Deutschland „die Interessen einiger weniger Gaskonzerne höher bewertet als EU-Normen, europäische Solidarität und Sicherheit. Die Bundesregierung gefährde damit die gemeinsame EU-Energieaußenpolitik und das im Lissabonner Vertrag verankerte Solidaritätsgebot, schreibt Umbach. Merkel & Co. ließen mit der von Trump kritisierten Politik deutlich werden, „dass die Bundesrepublik die ihr zufallende politische Führungsrolle weder akzeptiert noch verinnerlicht hat“.

Giftiger hätte es auch Trump nicht formulieren können

Der Professor aus London, Berater verschiedener osteuropäischer Regierungen, warnt davor, dass Berlin die strategische Bedeutung und die politischen Folgen des Pipeline-Projektes unterschätzte. Das ist nicht nur Trump ein Dorn im Auge. „Aus Sicht der osteuropäischen Staaten ist der Eindruck entstanden“, so Umbachs Fazit, „dass selbst bei Fragen der nationalen Sicherheit von Berlin kein Verständnis und keine Rücksichtnahme zu erwarten ist.“

Merkels Regierung unterstellt er, dass sie gemeinsame europäische Interessen „auf dem Altar eines deutsch-russischen Sonderverhältnisses in der Gaspolitik opfert“. Giftiger hätte das auch Donald Trump nicht formulieren können – auch wenn der für solche Attacken meist ein grobschlächtigeres Vokabular benutzt.