Mit seiner Agentur für Nachhaltigkeit und Verschwendung begibt sich Herr Clair Bötschi in die Wechselwirkungen von Kunst und Wirtschaft

Lokales: Armin Friedl (dl)

Stuttgart - Mal ausführlich über Verschwendung reden – das passt so gar nicht in den Zeitgeist: Ressourcen sparen und Effizienz ist angesagt. Doch mit Clair Bötschi, der sich der Eindeutigkeit wegen am liebsten Herr Clair Bötschi nennt, geht das bestens. Auch oder gerade an irgendeinem Wochentags-Vormittag auf dem Wagenhallen-Gelände. Denn Bötschi hat vor noch nicht allzu langer Zeit eine Agentur für Verschwendung und Nachhaltigkeit gegründet.

 

Sein Credo: „Es gilt das Gebot, dass die Ressourcen knapp sind. Aber das stimmt nicht. Tatsache ist doch, dass die Natur selbst verschwenderisch umgeht mit dem, was sie hat. Effizienz kommt dann ins Spiel, wenn es um Wirtschaftsfaktoren geht. Verschwendung dagegen bedeutet erst mal Zweckfreiheit“.

Die Gedankenfreiheit der Künstler

Da spricht natürlich der Künstler. Und der fügt gleich hinzu: „Der Künstler denkt sich erst mal kreativ was aus. Und das möglichst frei von anderen Kriterien“. Da schlägt Bötschi aber auch den Bogen zur Wirtschaft: „Die Agentur für Nachhaltigkeit und Verschwendung arbeitet und forscht am Zeitgeist der Nachhaltigkeit und der dazugehörigen Antithese der Verschwendung. Wir bewegen uns zwischen Ateliers, Werkstätten, Forschungslaboren und dem Chaos. Als Kunstprojekt und Kreativitätsdienstleister dienen wir nur dem Kreativitäts-Imperativ. Unser Gebiet ist die Kultur und die Kunst. Wir beraten Organisationen, entwickeln Kommunikations-Konzepte, innovative Ideen, Kunstprojekte, Formate für Ausstellungen und Räume für Begegnungen. Wir arbeiten verschwenderisch und manchmal nachhaltig, einfältig und vielfältig - doch immer gegen die Zeit.“

Gottlieb Daimler in Bad Cannstatt

So weit, so kaum verständlich. Ein etwas nachvollziehbareres Beispiel hat Bötschi auch parat: „Als Gottlieb Daimler in seinem Gartenhäuschen in Bad Cannstatt an seinem ersten Motor arbeitete, bewegte er sich außerhalb des damaligen Systems. Die Gesellschaft in jenen Jahren funktionierte auch ohne Motoren. Was mit diesen werden kann bis in unsere heutigen Tage, war damals fern jeder Vorstellung. Daimler galt bei vielen deshalb als Spinner“.

Was Bötschi also einfordert, sind mehr Freiräume und weniger Effizienz-Debatten. Negativ-Beispiele für letzteres hat er genügend parat: „Wer heute irgendein Problem hat, dem stehen heute Hotlines zur Verfügung: Hier soll per Telefon geholfen werden. Aber hat da schon jemand mal ein Problem gelöst bekommen? Sind da überhaupt noch reale Menschen am anderen Ende der Leitung? Was als Problemlösung angepriesen wird, bietet keine Lösung der Probleme. Das ist weder effizient noch kreativ.“

Ein Beichtstuhl für die Kreativen

Bötschi ist sehr gut und virtuos über das Nachdenken über solche Dinge. Ein Blick in seine Biografie zeigt, dass er sowohl in der Kunst wie in der Wirtschaft und der Philosophie einige Semester studiert hat. Einem Freigeist war die Arbeit in den verschiedensten Richtungen freilich wichtiger als einzelne Abschlüsse.

Und so kann man noch lange theoretisieren und philosophieren mit Bötschi. Aber er arbeitet auch an etwas ganz konkretem auf dem Wagenhallen-Gelände. Dass dieses Holzgerüst mal ein Beichtstuhl wird, lässt sich jetzt noch mehr erahnen als erkennen. Wer da vor allem reingehen soll oder kann, sind – natürlich – die Kreativen oder jene, die sich dafür halten. An Religion ist da erst mal nicht gedacht, aber ganz außen vor ist sie auch nicht: „Das ist ein Angebot für alle, die gesündigt haben, die Zweifel haben. Einen Priester gibt es hier allerdings nicht, eher werden die Beichtenden aufgefordert, ihre Positionen zu wechseln: Erst hört der eine zu, was der andere beichtet. Dann ist es umgekehrt“, so Bötschi. Das Spiel mit religiösen Elementen bleibt virtuos: Gibt es etwa Sühneaufgaben? – Bötschi spielt da eher mit dem Prinzip des Ablasshandels. Das wird sich zeigen, wenn der Beichtstuhl unterwegs ist.