Die Live-Streams kommen gut an beim Publikum, ein Geschäftsmodell allein ist das aber nicht

Lokales: Armin Friedl (dl)

Stuttgart - Kann, darf, soll man schon ein erstes Fazit ziehen nach den ersten sechs Wochen Live-Stream aus den Wagenhallen? – Vielleicht mal so viel: Die Aufgabe, ganz ohne Publikum in einer Halle aufzutreten, in die eigentlich mehr als 2000 Leute reinpassen, ist selbst für gestandene Bühnenprofis eine große Herausforderung. Da holpert und rumpelt es schon mal, was aber ja gar nicht unbedingt zum Schaden des Publikums sein muss. Am besten hat da inzwischen wohl sogar die Burlesque-Truppe abgeschnitten. Einfach auch deshalb, weil sie von allen bisher eingeladenen Künstlern am meisten fürs Auge zu bieten hatte.

 

Für die Wagenhallen-Geschäftsführer sind solche Resümees freilich sehr wichtig, denn sie müssen den laufenden Betrieb auf eigene Rechnung am Laufen halten. Wobei: Mit laufendem Betrieb geht seit Monaten dort ja gar nichts, für Wagenhallen-typische Veranstaltungen gibt es ja noch nicht mal eine Perspektive, wann möglicherweise so was wieder auch nur in annähernd vertrauter Form stattfinden kann.

Viel Aufwand für Bild und Ton

Ganz untätig sein geht aber auch nicht, deshalb gibt es ja jetzt – was ja gerade viele machen – zwei Mal in der Woche diese Live-Streams. Um sich da von den anderen zu unterscheiden, ist der Aufwand in Sachen Bild und Tonübertragung besonders groß. Doch da geht es nicht nur um den Unterschied, sondern möglicherweise sogar um ein neues Geschäftsmodell.

Noch ist nicht klar, welche Konsequenzen die durch Corona erzwungene Heimarbeit haben wird für die Kommunikation in der Arbeitswelt. Werden die Telefonkonferenzen wieder irgendwann mal der Vergangenheit angehören wie die Digital-Präsentationen oder die Live-Streams? – Die Wagenhallen sind ein Ort der Parties und Konzerte für alle, die abends und nachts gerne ausgehen. Sie sind genauso aber auch ein Ort für Firmenpräsentationen und -feiern, die den besonderen Rahmen des denkmalgeschützten Gebäudes zu schätzen wissen. Insofern stellen sich die Macher da jetzt zweigleisig auf: Geht es eines Tages mal wieder zurück zu den alten Gewohnheiten mit Treffen vor Ort in einem erlesenen Ambiente, gehen die Dinge wieder wie einst ihren Gang. Bleibt es aber bei der Erkenntnis, dass auch digitale Zusammenkünfte ihren Charme haben – dann sind die derzeitigen Wagenhallen-Live-Streams dazu eine Werbeoffensive.

Das ist so eine Idee, die Stefan Mellmann, einer der Wagenhallen-Geschäftsführer, umtreibt: „Etwa 50 Leute sind hier bei einer Konferenz, 500 verfolgen das live irgendwo von ihren Bildschirmen aus – wir zeigen jetzt, dass wir das können“. Die weiteren Wagenhallen-Attribute – Ambiente und Versorgung – kommen da nicht zu kurz. „Wir senden das hier ja nicht von irgendeinem Keller aus, sondern in unserem bekannten Rahmen. Und den setzen wir gut in Szene, das loten wir ja gerade aus mit der aufwendigen Kamera- und Mikrofon-Technik.“. Von Anfang an wurde gut investiert in die digitale Infrastruktur des Hauses. „Schon zum Umbau haben wir extra ein Glasfaserkabel mit Standleitung legen lassen“, erinnert sich Mellmann. Und wenn die digitalen Beobachter nicht gerade am anderen Ende der Welt sind, kommen sie auch in den Genuss der Wagenhallen-Gastronomie wie die Leute vor Ort. Denn einen Lieferservice gibt es da natürlich auch schon längst.

Planungssicherheit für Industrie-Kunden

Julius Probst, in den Wagenhallen auch für das Kaufmännische zuständig: „Wir bieten das jetzt auch schon an, um Planungssicherheit zu gewährleisten. Wer weiß heute schon, wie die Situation in einigen Monaten sein wird“. Mit diesem so genannten Hybrid-Modell ist mal gesichert, dass die Veranstaltung auf jeden Fall wie verabredet stattfindet – ob nun nur mit einem Akteur direkt in den Wagenhallen oder mit mehreren. Denn ob nun 5, 50, 100, 1000 oder noch mehr Menschen an einem Ort sich treffen können, darüber wird es noch lange Unklarheiten geben, möglicherweise wird es da auch regional immer wieder unterschiedliche Regelungen geben. Und für die Weltfirmen, von denen es ja einige gibt in Stuttgart, werden solche international unterschiedlichen Praktiken noch von ganz anderer Bedeutung sein.

Probst weiß aus seiner früheren Erfahrung in der Industrie: „Die Frage, wo was als nächstes gelockert wird und was davon in Krisensituationen wieder zurückgenommen wird, sorgt in der Wirtschaft für große Unsicherheiten. Da ist die Zusage, dass eine Konferenz wie geplant in einigen Monaten auch sicher stattfinden wird, eine wichtiges Argument“.

Ein Angebot für andere Kulturschaffenden

Die Frage, wie viele Menschen sich versammeln dürfen, beschäftigt freilich nicht nur die Industrie, sondern auch die Kulturschaffenden. Auch an die ist das Angebot gerichtet. Denn die Abstandsgebote für fremde Menschen, die in einem geschlossenen Raum für eine Lesung, für ein Konzert oder für eine Theateraufführung zusammenkommen wollen, werden noch lange Bestand haben, ist sich Mellmann sicher. Und wenn es auch da zu Lockerungen kommt – die vertraute Raumkapazität wird noch lange nicht ausgeschöpft werden können. Und entsprechend machen sie dann rote Zahlen. Mellmann gibt ein Beispiel: „Eine Einrichtung wie das Merlin ist mit 100 Leuten bestens gefüllt, in Corona-Zeiten dürfen dort aber nicht annähernd so viele Leute rein. In den Wagenhallen wäre es dann aber kein Problem, da 100 Leute unterzubringen“.

So setzen sich die Wagenhallen-Macher eben auch als Dienstleister in Szene. „Wir arbeiten hier mit Studioqualität. Es wäre gut, wenn der SWR dieses Potenzial erkennen würde“, so Mellmann, „andere Sender wissen zu schätzen, was es für besondere Produktionsorte in ihren Regionen gibt“. Zumal der SWR bei eigenen Sendesälen schon viel eingespart hat in den vergangenen Jahren.

Dornröschenschlaf bis in den März?

Denn natürlich geht es auch bei den Wagenhallen und all diesen Aktivitäten ums Geld, zumal dieser Betrieb ja ohne Subventionen auskommt. Und klar ist, dass dieses derzeit praktizierte Live-Streaming ein Verlustgeschäft ist. Die Reaktion von Thorsten Gutbrod aus der Geschäftsführer-Runde ist insofern verständlich: „Wir strengen uns ja schon an mit all unseren Möglichkeiten. Aber wir müssen uns schon auch fragen, wie lange das noch geht. Vielleicht wäre es konsequenter, wenn die Politik sich festlegt: Bis März nächsten Jahres geht gar nichts für Einrichtungen wie unsere. Dann begeben wir uns eben erst mal in den Dornröschenschlaf und legen dann wieder richtig los“. Ähnlich sieht das auch Mellmann: „Leider wird von der Politik die Bedeutung unserer Arbeit für die Gesellschaft nicht erkannt. Und wenn die Beschränkungen mal aufgehoben sind, müssen wir damit leben, dass es auch erst mal eine Weile dauern wird, bis die Leute wieder vertrauensvoll in die Kultureinrichtungen kommen.“

Im Hier und Jetzt ist dann wieder Probst: „Wir wollen unsere Leute nicht verlieren, das sind immerhin etwa 30 bis 50 im Veranstaltungsbereich und 10 bis 20 in der Gastronomie. Die sind jetzt in Kurzarbeit. Und damit die davon leben können, haben wir bei deren Kurzarbeitergeld noch etwas aufgestockt.“ Denn Gastro gibt es jetzt auch vor Ort bei den Wagenhallen. Aber man ahnt es schon: Das ist auch ein Verlustgeschäft.