Die Thüringen-Wahl verstärkt bundespolitische Trends, die die Berliner Koalition vor noch größere Probleme stellen. Das trifft nicht zuletzt CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer.

Erfurt - Der politische Paukenschlag von Erfurt – das wurde am Sonntagabend früh klar – wird auch in Berlin Spuren hinterlassen. Nicht nur die kommissarische SPD-Vorsitzende Malu Dreyer bezeichnete es als „schockierende Situation“, dass am Sonntag fast ein Viertel der Stimmen auf die AfD entfiel. Auch Grünen-Chefin Annalena Baerbock verwies darauf, dass die Partei in Thüringen mit dem „Faschisten“ Björn Höcke angetreten war, der dem parteiinternen „Flügel“ vorsteht, dem Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang gerade bescheinigte, immer extremistischer zu werden. AfD-Parteichef Alexander Gauland ließ freilich nichts auf den erfolgreichen Wahlkämpfer kommen: „Björn Höcke ist nicht rechtsextrem.“

 

Der Trend, dass persönliche Beliebtheitswerte des Amtsinhabers die seiner Partei ausstechen, hat sich in Thüringen fortgesetzt. In Gestalt von Bodo Ramelow haben davon diesmal nicht wie zuvor in Brandenburg und Sachsen die klassischen Volksparteien, sondern die Linkspartei profitiert. Anfang September hatte sie sich noch anhören müssen, ihren Status als „Stimme des Ostens“ verloren zu haben. Nun ist sie „erstmals größte Partei“ in einem Bundesland und „auch bundespolitisch gestärkt“, wie Parteichef Bernd Riexinger verkünden durfte.

CDU und SPD liegen bei den Stimmen auf einem historischen Tief

Ohne Amtsbonus vor Ort ist es den Berliner Koalitionsparteien in Thüringen noch schlechter ergangen. CDU und SPD, deren Allianz bis vor nicht allzu langer Zeit als notfalls immer mögliche Koalitionsoption galt, haben nicht einmal mehr ein Drittel der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen können – ein historisches Tief.

In einer bundesweiten Umfrage vom Sonntag zeigten sich Union und Sozialdemokratie mit 29 beziehungsweise 15 Prozent zwar minimal erholt, die prozentuale Einstelligkeit der SPD in Thüringen und der dritte Platz der CDU, die den parteiinternen Hoffnungsträger Mike Mohring ins Rennen geschickt hatte, machen die Probleme der Berliner Regierungsparteien aber noch größer. Beide haben es erneut schwarz auf weiß erfahren, wie schlecht sie bei den Bürgern ankommen. Jeweils rund drei Viertel der Thüringer Wähler sind ARD-Zahlen zufolge der Meinung, dass Christ- wie Sozialdemokraten viel versprochen, aber wenig gehalten und sich zuletzt obendrein mehr um Ämter und Personen als um politische Inhalte gekümmert haben.

Für Liberale wie Grüne bleibt der Osten schwieriges Terrain

In der SPD dürfte das Abschneiden den Groko-Gegnern in der nun anstehenden Stichwahl um den Parteivorsitz Auftrieb geben. Und in der CDU, für die Generalsekretär Paul Ziemiak eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei in Erfurt ausschloss, hob die Diskussion um das weitere Vorgehen schon am Wahlabend an. „Der Regierung und unserem CDU-Parteipräsidium kann ich nur zurufen: Wacht endlich auf!“ sagte der Bundestagsabgeordnete Christian von Stetten: „Die Fehler der letzten Jahre müssen ohne Rücksicht auf handelnde Personen wirksam korrigiert werden.“ Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer kann sich auf einen interessanten Bundesparteitag in vier Wochen einstellen.

Für Liberale wie Grüne bleibt der Osten schwieriges Terrain. Baerbock zeigte sich „enttäuscht“, FDP-Boss Christian Lindner sprach von einem „tollen Erfolg“, weil er immerhin auf den Wiedereinzug in den Landtag hoffen durfte. In der Summe aber gäbe es in Thüringen nicht mal mit CDU und SPD eine Mehrheit für alle vier Parteien. Das gab es noch nie, weshalb Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) einen „bitteren Abend für die politische Mitte“ ausmachte.