Der Wahlkampf auf der Straße hat sich teilweise ins Netz verlagert, die Parteien nutzen im Kommunalwahlkampf in Stuttgart soziale Medien mehr denn je. Ein Kommunikationswissenschaftler analysiert, wie das gelingt.

Digital Desk: Sascha Maier (sma)

Stuttgart - Die Kommunalwahl 2019 ist die erste Kommunalwahl in Stuttgart, in der soziale Medien wirklich im Wahlkampf genutzt werden. Vor allem Videos sind wegen des Facebook-Algorithmus wichtig, da dieser Bewegtbild auf den Neuigkeiten-Seiten der Nutzer höher gewichtet als Fotos oder Texte. Doch was taugen die Filmchen? Patrick Weber ist Kommunikationswissenschaftler und Buchautor, arbeitet derzeit als Dozent an der Uni Hohenheim und hat sich einige der Social-Media-Kampagnen mal angesehen. Teils findet er sie wunderlich – andere dagegen sehr gelungen.

 

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CDU

„Die CDU präsentiert im Kommunalwahlkampf den klassischen Wahlwerbespot, wie wir ihn aus dem Fernsehen kennen. Damit heben sie sich von den anderen Parteien ab, die auf andere Strategien setzen. Bei der CDU stehen vor allem Botschaften im Vordergrund und keine Personen – selbst im Imagefilm des Spitzenkandidaten Alexander Kotz.“

Grüne

„Die Grünen nutzen im Wahlkampf kaum Videos. Trotzdem sind sie in sozialen Netzwerken sehr aktiv. Allerdings nicht besonders kreativ, was mich bei der sonst so modernen Partei etwas verwundert: Da werden Infos zu Themen gepostet und Impressionen von Wahlkampfveranstaltungen gezeigt. Nichts, was alle anderen nicht auch so tun würden.“

SPD

„Die SPD wirbt vor allem mit einem Video mit der Fokussierung auf ihren Spitzenkandidaten Martin Körner. Er wird in seinem Alltag vorgestellt, man sieht ihn, wie er durch seine Heimat, den Stuttgarter Osten radelt. Die SPD liefert damit als einzige Partei in ihrer Social-Media-Kampagne so etwas wie Storytelling, was der richtige Ansatz ist, um in sozialen Netzwerken Aufmerksamkeit zu erzielen.“

Linke

„Die Linken heben sich in ihren Videos ein wenig von den anderen Parteien ab. Sie arbeiten dort ohne Bewegtbilder, dafür aber mit Slides, die Bilder und Botschaften transportieren. Ich weiß nicht, ob diese Strategie aufgeht. Inhaltlich spannend ist hier, dass im Social-Media-Wahlkampf der Fokus ganz stark auf das Thema Frauen gerichtet ist.“

SÖS

„Die Wählergruppe Stuttgart Ökologisch Sozial oder SÖS fährt eine besonders interessante Strategie und nutzt das Potenzial von Social Media voll aus. Es gibt keine expliziten Kandidatenvorstellungen, dafür beeindruckt der Spitzenkandidat Hannes Rockenbauch damit, dass er die Kamera immer dabei zu haben scheint. SÖS macht nicht einfach Wahlkampf, sondern produziert Content mit Mehrwert. Genau dafür sind soziale Medien gemacht!“

AfD

„Die AfD setzt auf ganz klassische Kandidatenvideos. Sie sind wie Steckbriefe aufgemacht. Die Social-Media-Kampagne der AfD in Stuttgart ist sehr informierend ausgelegt und bleibt dabei ziemlich emotionslos. Insgesamt nicht misslungen, aber dafür auch etwas fantasielos.“

FDP

„Die FDP arbeiten in sozialen Medien mit sehr wenigen Videoinhalten. Und dann sind es meistens auch nicht mehr als Eindrücke von Wahlkampfveranstaltungen. Dennoch wirken die Freien Demokraten auf Facebook, da sie mit der knalligen Farbgebung ihrer Werbemittel aus der Masse ganz besonders herausstechen.“

Stadtisten

„Die Stadtisten gefallen mir gut, wie sie sich in sozialen Medien präsentieren, wahrscheinlich ist für sie der Wahlkampf hier auch besonders wichtig, da sie sonst nicht über die Mittel wie andere Parteien verfügen. Sie stellen auffällig viele Kandidaten vor und sind die einzigen, die in den Clips mit Humor als Stilmittel arbeiten. Das scheint sich auszuzahlen: Das Video des Spitzenkandidaten Thorsten Puttenat wurde 95 Mal auf Facebook geteilt – mehr als irgendein anderes Kandidatenvideo.“

Fazit

„Klar, es sind nicht alle Social-Media-Kampagnen rundum gelungen und auch nicht immer ganz professionell umgesetzt. Aber wir sprechen auch von einem Kommunalwahlkampf, wo die Budgets viel kleiner sind als bei anderen Wahlen – und dafür machen die meisten Parteien ihre Sache doch ganz gut. Vor fünf Jahren hatten soziale Medien im Kommunalwahlkampf noch so gut wie keine Rolle gespielt, es hat sich also viel bewegt.

Was einige noch besser machen könnten: Mehr personalisierten Wahlkampf betreiben und von der klassischen Parteiwerbung weggehen. Ich verstehe auch nicht, warum die Parteien nicht mit überregional bekannten Gesichtern werben – schließlich sind selbst die Spitzenkandidaten fürs Rathaus in der Bevölkerung nicht jedem bekannt.“

Zur Person

Patrick Weber ist 39 Jahre alt und hat in Dresden und Leipzig studiert, später in Zürich promoviert. Seit fünf Jahren lebt er in Stuttgart und ist am Institut für Kommunikationswissenschaften an der Uni Hohenheim beschäftigt. Weber ist Autor des Buches „Zur Nutzung algorithmisch personalisierter Nachrichtenkanäle“.