Am 14. Mai entscheiden die Nordrhein-Westfalen über einen neuen Landtag. Für eine Neuauflage der rot-grünen Koalition würde es im Moment nicht reichen. Bringt Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) eine neue Mehrheit zustande?

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Düsseldorf - Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin residiert nicht wie andere Länderchefs in einer alten Villa, einem Rathaus oder einem barocken Schloss. Ihre Staatskanzlei liegt im 11. Stockwerk eines Bürohochhauses aus Stahl und Glas, direkt neben dem Rhein. Das macht den Arbeitsplatz einerseits etwas gewöhnlich, weil in dem Gebäude außer der Regierungschefin viele Rechtsanwälte und einige Zahnärzte arbeiten. Andererseits eröffnen sich Hannelore Kraft in ihrer Regierungsetage fantastische Ausblicke auf die Düsseldorfer Stadtszenerie und weit darüber hinaus.

 

An diesem Nachmittag im April blitzt die Sonne besonders schön durch die dunklen Wolken und leuchtet gleißend in den Sitzungssaal, in dem Kraft eine Reihe von Journalisten empfängt. „Ich bin so gut drauf, daran werden Sie auch nichts ändern“, sagt die SPD-Politikerin launig zur Begrüßung.

Zeitweise lag die CDU in Umfragen vor der SPD

Bald sieben Jahre ist Kraft Ministerpräsidentin des größten deutschen Bundeslandes. Eine so lange Zeit an der Spitze könnte zu Gelassenheit im Umgang mit den Medien führen, bei ihr hat es die immer schon vorhandene Vorsicht noch erhöht. Vor allem, seit im vorigen Jahr reihenweise Porträts erschienen, die sie als müde und abgekämpft, plan- und ideenlos zeichneten. Es war eine Zeit, in der es ihr tatsächlich nicht gut ging. Persönlich nicht, aber auch politisch nicht. Zeitweise wurde die SPD in den Umfragewerten von der CDU übertroffen.

Das immerhin ist vorbei. Seit Februar hat es keine Umfrage mehr gegeben, in denen die Sozialdemokraten nicht deutlich vor den Christdemokraten lagen. Hannelore Kraft hat beste Chancen, nach der Landtagswahl am 14. Mai Ministerpräsidentin zu bleiben. „Es läuft gut“, sagt sie jetzt lächelnd. „Die Partei rennt.“ Der Schulz-Effekt? Es hat ihn jedenfalls in der nordrhein-westfälischen SPD gegeben: Seit Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten ausgerufen wurde, wirken Kraft und ihre Partei deutlich motivierter.

Testlauf für die Bundestagswahl

Der Wahlkampf an Rhein und Ruhr hängt stark von den Entwicklungen im Bund ab. Genauso wie umgekehrt. Die Landtagswahl im Saarland vor wenigen Wochen hatte nur begrenzte Aussagekraft für das, was sich beim Kampf ums Kanzleramt zutragen wird. Das gilt auch für Schleswig-Holstein, das am 7. Mai wählt. Mit Nordrhein-Westfalen ist das anders. Alle Parteien erhoffen sich von hier einen Schub für die große, entscheidende Wahl im Herbst. Und Signale, welche Regierungskonstellation eine Zukunft hat.

Die Grünen sacken ab – bis nahe der Fünf-Prozent-Hürde

Rot-Grün wird das mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht sein. Denn im Gegensatz zur SPD haben sich die NRW-Grünen, die seit sieben Jahren in Düsseldorf mitregieren, in den letzten Wochen nicht gefangen, sondern sind in den Umfragen immer tiefer gesunken. „Unser Ziel ist ganz klar, dass wir zweistellig werden“, hatte Sylvia Löhrmann, die Schulministerin, Vizeministerin und Spitzenkandidatin vorgegeben. Doch im Moment liegen die Grünen bei sechs, sieben Prozent. Die Nervosität der Parteianführer ist mit Händen zu greifen.

Es gibt zwar keine ausgeprägte Wechselstimmung in Nordrhein-Westfalen hin zu einer CDU-geführten Regierung, keine mehrheitliche Abneigung gegen Kraft – wohl aber eine spürbare Ermüdung an Rot-Grün. Mit dem wahrscheinlichen Einzug der AfD erhöht sich die Zahl der Fraktionen im Düsseldorfer Parlament möglicherweise auf sechs. Das kann zu komplizierten Koalitionssuchen führen, zumal mit der AfD keine andere Partei zusammen arbeiten will.

CDU-Spitzenkandidat Laschet setzt auf Jamaika

CDU-Spitzenkandidaten Armin Laschet macht im persönlichen Gespräch nicht den Eindruck, dass er selber noch glaubt, Kraft und die SPD überholen zu können – verloren ist die Sache für ihn dennoch nicht. „Es gibt die reale Chance, dass nach dem 14. Mai Zahlen auf dem Tisch liegen, die einen Regierungswechsel möglich machen“, sagt Laschet und denkt dabei an eine Jamaika-Koalition mit der FDP und den Grünen. „Ich halte das für eine Variante nach der Wahl.“ Öffentliche Äußerungen aus den Reihen der Grünen, die eine schwarz-gelb-grüne Koalition zum christdemokratischen Wunschdenken erklären, will Laschet nicht so ernst nehmen. Er sagt, er empfange andere Signale von den Grünen: „Sie sind mindestens gesprächsfähig, um es ganz vorsichtig zu sagen.“

Saarland-Wahl verändert die Stimmung in der Union

Laschet wirft der SPD-Ministerpräsidentin „Arroganz der Macht“ vor. Ihre Regierung sei für steigende Kinderarmut, hohe Unterrichtsausfälle an den Schulen, zu schwaches Wirtschaftswachstum und große Mängel bei der Inneren Sicherheit verantwortlich – nicht nur im Fall des Berlin-Attentäters Anis Amri, sondern für jeden Bürger spürbar: „Wir haben die höchste Einbruchskriminalität in Deutschland.“

Bei der Landtagswahl im Saarland setzte sich trotz Schulz-Effekt die CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer durch. Das war einerseits beruhigend für die Christdemokraten, andererseits zieht in NRW die SPD mit dem Amtsbonus einer Ministerpräsidentin in den Kampf. Kraft sieht denn auch das schlechte Zeugnis, das ihrer Politik von der Opposition ausgestellt wird, gelassen: „Die Strategie, das Land schlecht zu reden, wird nicht funktionieren.“

FDP umwirbt die „ungeduldige Mitte“

Selbst die FDP geht davon aus, dass die SPD stärkste Partei bleibt. Der liberale Fraktionschef und Spitzenkandidat Christian Lindner, der von vielen im Land als der eigentliche Oppositionsführer wahrgenommen wird, sieht in Kraft vor allem eine Verwalterin des Status quo, keine tatendurstige Gestalterin. Mit seiner FDP wolle er um die „ungeduldige Mitte“ in der Bevölkerung werben, sagt Lindner. „Wir sprechen Menschen an, die das Auf-der-Stelle-Treten genauso leid sind wie wir selbst.“

Die Umfragewerte zeigen an, dass die FDP damit einigen Erfolg hat. Sie peilt für den Wahltag die Zweistelligkeit an und hofft darauf, drittstärkste Kraft hinter SPD und CDU zu werden. Eine Ampel-Koalition mit SPD und Grünen hat Lindner kategorisch ausgeschlossen und auch sonst verspricht er, die Latte für eine liberale Regierungsbeteiligung hoch zu legen: „Ich werde nichts tun, was das neue Vertrauen in die FDP beschädigen könnte.“

Es geht dabei aber wohl vor allem um den Ehrgeiz von Lindner, der ganz auf Berlin ausgerichtet ist. Der FDP-Bundesvorsitzende will die Liberalen zurück in den Bundestag bringen, aus dem sie vor vier Jahren geflogen sind. Diesem Ziel ordnet er alles unter. Lindner könnte gut mit einer großen Koalition von SPD und CDU in Düsseldorf leben, weil er seine FDP dann als frei und unabhängig im Bundestagswahlkampf positionieren kann.

Christian Lindner in einer Doppelrolle

Er tritt gleichzeitig als FDP-Spitzenkandidat in NRW wie im Bund an. Auf Deutsch heißt das: Wer Lindner in Nordrhein-Westfalen wählt, muss wissen, dass dieser auf keinen Fall Minister in Düsseldorf werden und nach wenigen Monaten sein Landtagsmandat gegen einen Sitz im Bundestag eintauschen will. Kritik an dieser ungewöhnlichen Personalaufstellung perlt an dem Überallkandidaten Lindner ab: „Für unsere Wähler ist das attraktiv. Ihre Stimme bei der Landtagswahl zählt doppelt, weil man damit ein Signal nach Berlin senden kann.“