Politische Schwergewichte jeder Couleur unterstützen ihre wahlkämpfenden Parteifreunde durch Gastauftritte. Zurzeit geben sich die Politprofis in der Region Stuttgart die Klinke in die Hand.

Rems-Murr-Kreis - Die Politikprominenz durchkämmt in diesen Wochen die Republik. Insbesondere die weit abgelegenen Landstriche stehen plötzlich hoch im Kurs. Der Ansturm diese Woche war groß: Der Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) machte am Dienstag seine Aufwartung in Murrhardt, die ehemalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) stattete am selben Tag Backnang einen Besuch ab, die Kanzlerin Angela Merkel machte für Norbert Barthle einen Abstecher nach Schwäbisch Gmünd – vor ihrem abendlichen Auftritt in Stuttgart am Mittwoch. Am Donnerstag war der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) zu Gast bei den Fellbacher Weingärtnern, und Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) sprach im Berufsbildungswerk in Winnenden. Mitunter sind die „Rede-Einsätze“, wie Peter Altmaier seine Stippvisiten in die Provinz nennt, eine echte Ochserei, von der man nicht weiß, was hinten rauskommt.

 

Peter Altmaier beim Bauchpinseln

Streng duftet Bundesminister Peter Altmaier am Dienstagnachmittag die Umwelt entgegen. Ein würziger Güllegeruch flutet die geräumige Daimlerlimousine, als sein Chauffeur Kurs auf Murrhardt nimmt. Vor dem Heinrich-von-Zügel-Saal wird dem Minister ein unprätentiöser Empfang bereitet. Vielleicht 50 Zuhörer sind da, die meisten von ihnen Ruheständler. Altmaier wird nicht müde, Baden und Württemberg zu bauchpinseln, wo immer es irgend geht, manchmal sagt der Saarländer sogar „ischt“ statt „ist“.

Das wohl Bemerkenswerteste an Peter Altmaier aber sind seine Verbeugungen: Beim Applaus und beim Abschied verneigt sich der Minister tief in alle Richtungen, in denen Stühle stehen – ganz wie ein Varietékünstler. Und wie jener nimmt Altmaier die kleine Arena des Heinrich-von-Zügel-Saals in Beschlag: Tatendurstig legt er das Jackett ab, schreitet im kurzen Hemd zum Pult und schiebt es dichter ans Publikum heran. Sein breites Lächeln dabei will sagen: „Keiner entkommt mir!“ Der mächtige Mann schaut zu den dampfenden Ochsen im Morgengrauen auf, die im Gespann das klumpige Erdreich durchpflügen: Knapp zwei auf drei Meter misst das Gemälde „Schwere Arbeit“ von Heinrich von Zügel, das Altmaiers Kulisse bildet. Dann schaltet er in den Wahlkampf-Modus, die Politvorstellung beginnt.

Fulminante Staccato-Sätze

Altmaier fackelt eine fulminante Energiewende-Hochspannungsleitungsausbau-Rot-Grün-Bashing-Performance ab, die gespickt ist mit ebenso anschaulichen wie hanebüchenen Beispielen aus dem Verbraucheralltag. Seine wohl schönste Einlage ist die Geschichte von der 84-jährigen Seniorin, die in einer Zweizimmerwohnung in Stuttgart zur Miete wohnt und eine riesige, stromfressende Kühltruhe braucht, weil die Tochter bloß alle zwei Wochen mit ihr zum Einkaufen fährt, und die den ganzen Tag den Fernseher laufen hat, weil sie einsam ist, bei der aber um 15.30 Uhr, noch vor dem ersten Kuss im Vorabendprogramm, der Strom ausfällt, weil die Frau ihr Energiekontingent für den Tag ausgeschöpft hat. Dies alles sagt Peter Altmaier in einem staccatoartigen Satz, dessen Fazit lautet: Den Strompreise muss man mit Augenmaß erhöhen.

Er hat seine Redezeit drall gefüllt. Viel Raum für Fragen bleibt nicht. Dennoch wird ihm dankbar applaudiert. Bloß einer der Herren aus der letzten Reihe verkneift sich das Klatschen. Sie fanden Altmaier nicht gut? „Der Mann quatscht halt, hat aber keine Ahnung“, antwortet der Ingenieur im Ruhestand. Hat Sie das überrascht? „Nein, ich kenn den ja aus dem Fernsehen.“ Warum sind Sie dann gekommen? „Ich wollte den mal sehen. Hat mich menschlich interessiert.“ Und was haben Sie nun über den Umweltminister erfahren? „Dass er wirklich so dick ist.“

„Da kommt er ja!“ Ulla Schmidt strahlt, als sie Robert Antretter den Saal des Backnanger Feuerwehrhauses betreten sieht. Viele Jahre lang haben beide zusammen für die SPD im Bundestag gearbeitet. Nun unterstützen sie Antretters Nachfolger als SPD-Bundestagsabgeordneten für den Wahlkreis Backnang-Schwäbisch Gmünd, Christian Lange. Dieser hat zu seiner regulären Veranstaltung „Fraktion vor Ort“ die ehemalige Bundesgesundheitsministerin eingeladen. Auch wenn diese offiziell in ihrer Funktion als Präsidentin der Lebenshilfe auftritt und nun ihren Vorgänger – Antretter, der sie als seine Nachfolgerin vorgeschlagen hat – zur Begrüßung herzlich umarmt.

Ulla Schmidt unter Genossen

Überhaupt hat man den Eindruck, eine alte Bekannte sei zur Tür herein gekommen. „Die Sozialdemokratie ist bestens vertreten“, stellt Lange fest, als er in den Saal schaut und einige Stadt- und Kreisräte erblickt. Von der Lebenshilfe und deren Umfeld sind ebenfalls einige Leute gekommen. Und so wird das Thema „Inklusion – Chancengleichheit und Teilhabe“ keinesfalls kontrovers diskutiert, vielmehr folgen Ulla Schmidts Worten eine Reihe von temperamentvollen, zustimmenden Beiträgen. Man ist unter sich.

Freie Rede ohne ein einziges Äh oder Öh

Lange hält sich zurück, Schmidt hält ihren Vorträge frei, ohne Manuskript, dafür mit Leidenschaft, ohne ein einziges Äh oder Öh. Man merkt ihr die Begeisterung für ihre Arbeit für die Lebenshilfe an. Aber, da war doch noch was: „Wir sind ja auch im Wahlkampf“, sagt die Aachenerin zwischendurch und fordert plakativ: „Schulen müssen besser ausgestattet werden!“ Was natürlich prompt mit Beifall bedacht wird.

Eine ältere Zuhörerin beklagt ihr gegenüber die Willkür, die in der Gesellschaft herrsche und konkret in ihrem Fall, dass ein Nachbar seine Hecke so hoch wachsen lasse, dass in ihrem Seniorenheim das Ungeziefer hereinkrabble. Unter dem Lachen des Publikums nimmt die Ex-Ministerin ihren wahlkämpfenden Genossen daraufhin vergnügt am Arm und sagt: „Vielleicht kümmert sich Herr Lange mal darum.“

Wenn der Bundestags-Kandidat Hartfrid Wolff eintritt, fällt ein Schatten in den Raum. Gegen den hünenhaften FDP-Sicherheitsexperten wirken die Personenschützer des Gesundheitsministers Daniel Bahr wie Wichtel, als Wolff seinen Parteifreund im Berufsbildungswerk der Paulinenpflege begrüßt. Dennoch hat es Wolff geschafft, noch kurz vor Beginn unauffällig in den Raum zu witschen. Fünf anstrengende Termine hat er an diesem Donnerstag, ein bisschen geschlaucht wirkt er schon. „Vier in Berlin, dann ins Flugzeug und jetzt der fünfte hier in Winnenden.“ Vormittags hat er noch als Obmann der FDP im NSU-Ausschuss den Abschlussbericht mit vorgestellt, jetzt geht Wolff zu Hause ans Wahlkämpfen. „Das ist zurzeit ganz normal“, winkt er ab.

Was Gesundes für den Gesundheitsminister

Daniel Bahr im Schatten

Dabei kann er sich voll auf seine Partei vor Ort verlassen. Diese ist zwar im Winnender Gemeinderat nur mit zwei Räten vertreten, aber dafür haben diese alle Strippen gezogen, um den Termin trotz Schulferien zu ermöglichen. „Weil die Hausmeister im Urlaub sind, stehen die städtischen Hallen nicht zur Verfügung“, erklärt Peter Friedrichsohn, warum in die Paulinenpflege eingeladen wurde. Ins Grübeln sei er bei der Frage gekommen, was man einem FDP-Gesundheitsminister Gesundes schenken könnte. „Zum Glück ist mir das Wachstumspaket eingefallen“, sagt Friedrichsohn, der Bahr eines der Pflanzpakete des Winnender Firmengründers Patrick Dillmann überreicht. Passender geht es kaum für einen FDP-Gesundheitspolitiker.

Rund 100 Besucher sind erschienen, darunter Prominenz wie Ulrich Goll und die Familie Steiger. Wolff und Bahr sind unter Parteifreunden. „Es ist Wahlkampf, aber so richtige Wahlkampfstimmung will nicht aufkommen“, beschreibt Wolff am Rednerpult die Stimmung im Land. Wer ist schuld? „Die Opposition kommt nicht so richtig in die Gänge, deshalb kommt keine kontroverse Diskussion zustande“, meint der 42-jährige Jurist. Eine kontroverse Diskussion will auch an dem Abend in der „Gesundheitsstadt“ Winnenden nicht in Gang kommen. Für Jochen Haußmann, der die Moderation übernommen hat, gibt es nur eine kurze Schrecksekunde, als Bahr von einem „sicher kleinen Krankenhaus“ in Winnenden spricht. „Das wird grad größer“, wirft Haußmann schnell ein.

„CDU, ich hab dich zum Fressen gern“, flüstert ein Endfünfziger angesichts des vor ihm liegenden Kekses mit dem eingebackenen Kürzel der Christdemokraten. Joachim Pfeiffer, 46, der CDU-Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Waiblingen, setzt nicht nur verbal, sondern auch lukullisch oft auf Deftiges. Nach dem Keks dürfen sich die 80 Besucher in Fellbachs neuer Kelter auf schwäbische Wurstknöpfle mit Zwiebelsoße freuen. Der Schwarze, der anlässlich vergangener Wahlkämpfe schon mal Schwarzwurst servieren ließ, hat sich einmal mehr einen prominenten Wahlhelfer an die Seite geholt.

Stanislaw Tillich mit Heimspiel

Stanislaw Tillich, der sächsische Ministerpräsident mit sorbischen Wurzeln, beschwört fast schon ängstlich die Bedeutung der Bundestagswahl. Noch vor den Kindern und Enkeln müsse sich rechtfertigen, wer die falsche Partei ankreuze. Der seit 2008 amtierende Regierungschef lässt die Roten noch nicht einmal ins Weinglas und nippt statt am passenderen Trollinger lieber an einem Kerner. Man glaubt ihm anzumerken, dass er den schwarz-gelben Wahlsieg noch nicht als sicher ansieht. Gleich mehrfach erklärt er die unterschiedliche Bedeutung von Erst- und Zweitstimme – vor einem Publikum, in dem nicht nur langjährige Parteimitglieder, sondern auch aktuelle und ehemalige Abgeordnete aller Ebenen sitzen.

Einen Porzellanteller aus Meißen als Gastgeschenk

Dennoch: Tillich kommt an. Schon beim Einmarsch brandet dem von zwei Leibwächtern Flankierten lauter Beifall entgegen. Zwei Stunden später, als Tillich zu seinem Audi und damit zur Bundeskanzlerin nach Oschatz eilt, wird der Applaus noch stärker sein. Er hat auch hier, vier Autostunden von zu Hause entfernt, ein Heimspiel. Fellbach ist seit 26 Jahren städtepartnerschaftlich mit dem sächsischen Meißen verbunden und vor dem Auftritt in der Kelter hat Tillich im Nachbarort Stetten eine Bäckerei besucht, die 650 ihrer 1000 Mitarbeiter in Sachsen beschäftigt. An die Heimat wird Tillich auch bei den Geschenken erinnert: Es gibt ausgerechnet einen Porzellanteller aus Meißen.