Die Straßen sind wieder bunt – infolge der Wahlplakate. Wir haben uns die Plakate genauer angesehen und machen den Vergleich.

Stuttgart -

 

„Wahlplakate scheinen aus der Zeit gefallen. Sie sind aber nach wie vor das Wahlwerbemittel, das von den meisten Menschen wahrgenommen wird. Auch von den politisch weniger Interessierten“, sagt Frank Brettschneider, der an der Universität Hohenheim im Bereich Kommunikationswissenschaften forscht.

Nach Frank Brettschneider sind Social Media-Kanäle deutlich wichtiger als bei der letzten Bundestagswahl. Sie erreichen vor allem jüngere Wählerinnen und Wähler. Diese nutzen Social Media im Wahlkampf nicht nur häufiger, sondern sie nutzen auch andere Plattformen als die älteren Wählergruppen: Bei den Unter-29-Jährigen stehen Instagram und Youtube an erster Stelle. Bei den Menschen über 29 Jahren steht Facebook an erster Stelle. Und die AfD-Anhänger nutzen überdurchschnittlich häufig Messengerdienste. Dennoch kommt Social Media noch nicht an die Reichweite der anderen Wahlwerbemittel heran.

Frank Brettschneider: „Wahlplakate können vor allem auf Themen aufmerksam machen, die für Parteien günstig sind. Dafür müssen sie aber gut gemacht sein: Bildplakate sind wirkungsvoller als Textplakate, wenig Text und der muss zum Bild passen, kontrastreiche Schrift, klare Gestaltung und gute Wiedererkennbarkeit.“

Wir haben uns daraufhin einmal die Wahlplakate der einzelnen Parteien mit ihren Kernbotschaften angesehen:

Die CDU dreht sich im „Unions-Kreis“

Die CDU setzt fort, was sie im Bundeswahlkampf 2017 begonnen hat: Nationale Elemente haben ihren Platz im Parteimarketing: Auf jedem Plakat steht „Deutschland“ geschrieben, die Nationalfarben sind fester Bestandteil des CDU-Markenauftritts geworden. Als einzige weitere Partei nutzt die AfD diese Nationalstaatselemente im Wahlkampf.

Neu ist der „Unionskreis“, in schwarz-rot-gold gehalten schließt er die Inhaltselemente des Plakats ein. Zu den Inhaltselementen gehört das Parteilogo, ein Foto und etwas Text. Alles jenseits der Grenzen des Unionskreises bleibt verschwommen. Stellt sich die Frage: Soll das einen Fokus auf die Inhalte symbolisieren oder eher ein subtiles „Germany first“?

Thematisiert werden globale Wahlthemen: Sicherheit, Familie, Arbeitsplätze. Konservativ bebildert mit Mutter-Vater-Kind Konstellationen, viel blauen Augen und blonden Haaren. Die Themen sind breit gestreut, dem Klimathema wird stets die Wirtschaft an die Seite gestellt, über Digitalisierung wird gar nicht gesprochen.

Die CDU führt eine positive Kampagne, aus den Plakaten lassen sich keine politischen Kämpfe herauslesen. Gesagt wird was geschafft werden soll, Probleme, Krisen und Konflikte bleiben unerwähnt.

Mit dem Kanzlerkandidaten wird ein vorsichtiger Umgang gepflegt. Armin Laschet hat zwar sein eigenes Plakat bekommen, einen personenzentrierten Wahlkampf wie SPD oder FDP führt die CDU aber nicht. Mit Blick auf die Beliebtheitswerte der Kandidaten ist das strategisch nachvollziehbar.

SPD ist so rot wie nie

Schon beim vergangenen Bundestagswahlkampf ist die SPD mit schlichten Plakaten aufgefallen. Zumindest gab es damals aber rote und weiße Flächen sowie das SPD-Quadrat. Die Plakate der aktuellen Kampagne sind schnell beschrieben: rot mit weißem Text. Nie war mehr Rot, nie war weniger Gestaltung. Das große Parteilogo bildet die Basis des Plakats, es besteht bloß noch aus den drei Buchstaben – kein Slogan, kein Quadrat. Darüber einige Zeilen mit der inhaltlichen Botschaft und als Dach der Kampagnenslogan „Respekt für“.

Glücklicherweise hat die SPD-Kampagne eine zweite Seite, und das sind die Kanzlerkandidat-Plakate. Im Kontrast zur CDU stellt die SPD ihren Kandidaten auf die große Plakat-Bühne. Und dort ist Olaf Scholz konkurrenzlos, kein anderes Gesicht ziert die Kampagne der Genossen. Schwarz-weiß auf roten Grund schaut er dem Betrachter mit strengem Blick in die Augen. Man könnte sich an die Titelseite erinnert fühlen, die Studenten der Stuttgarter Kunstakademie 1968 für den Sozialistischen deutschen Studentenbund entworfen hatten, damals standen auf rotem Grund Marx, Engels und Lenin. „Alle reden vom Wetter – wir nicht“ war der griffige Slogan. Klar ist, den Plakaten nach ist die SPD linker als „Die Linke“.

Die Scholz-Plakate tragen auf recht geschickte Weise mehrere Botschaften in einer schlüssigen Form. Mit weißem Hintergrund versehen ist die politische Botschaft abgebildet, gerahmt von den Worten „jetzt wählen“. Beide Elemente funktionieren sowohl alleine als auch gemeinsam. Olaf Scholz hält einen Umschlag mit Briefwahlunterlagen in der Hand. Für die Botschaften „geht wählen“ oder „macht Briefwahl“ benötigen die anderen Parteien weniger elegante Störer oder Aufkleber auf ihren Plakaten. Olaf Scholz nicht.

Die SPD pflegt auf ihren Plakaten ebenfalls einen friedlichen und positiven Wahlkampf. Vor dem Hintergrund der Social-Media-Aktivitäten liest sich aber auch ein SPD-Wahlplakat auf einmal anders. Online seziert die Partei sehr wohl die Fehler ihrer Konkurrenten und verbreitet wenig zimperlich Videos und Memes. Das im Geiste fällt es leicht, Olaf Scholz’ Pose kämpferisch zu deuten. Er streckt den Wahlbrief nicht freundlich hin, er hält ihn energisch hoch, wie eine große rote Karte an die anderen Parteien, die die SPD so lange nicht als ernsthafte Mitkandidatin auf die Kanzlerschaft erachtet hatten.

Die FDP bleibt ihrer visuellen Linie treu

Ihrer visuellen Linie treu geblieben, den Spitzenkandidaten beibehalten und keine wesentlichen Änderungen der Slogans, könnte die FDP ihre Plakate von 2017 einfach wieder aufhängen.

Die FDP dreht sich seit einigen Wahlkämpfen unverhohlen um Christian Lindner. Gestalterisch hat sein Namenszug auf den Plakaten das gleicher Gewicht wie das Wort „Deutschland“ auf den CDU Plakaten. Jedes Plakat trägt sein Porträt. Die Inhalte sind ihm visuell untergeordnet.

Die FDP gibt sich in ihren Botschaften kämpferischer als CDU und SPD. Sprachlich subtil, aber für ihre Zielgruppen wohl unverkennbar, trägt sie eine Spitze gegen die Grünen aus: „Für mehr Freude am Erfinden als am Verbieten“. Die Grünen als Verbotspartei darzustellen ist ein beliebter Kniff geworden, bekam jedoch spätestens durch die von einer AfD-nahen Werbeagentur durchgeführten Plakatkampagne gegen die Grünen im August – die ebendieses Motiv aufgriff – einen bitteren Beigeschmack.

Auch die Zeilen über Steuererhöhungen sagen nicht nur etwas über die Ziele der FDP aus, sondern suggeriert Steuererhöhungen durch die anderen Parteien. Während in den Kampagnen der CDU und SPD die harten Worte fast ausschließlich in Reden oder im Internet fallen, traut sich die FDP den Kampf in die Plakattexte zu tragen.

Die Grünen zeigen Farbe – vor allem ihre

Vieles ist neu bei den Grünen. Elegant ist der Umgang mit dem Parteilogo. Schon bei der vergangenen Bundestagswahl war der Blütenkranz geschlossen und das sperrige „Bündnis 90/die Grünen“ mit „darum grün“ ersetzt worden. Die konsequente Weiterentwicklung in diesem Wahlkampf ist der komplette Verzicht auf eine Wortmarke, Parteilogo ist nur noch der gelbe Blütenkranz, der recht frei auf den verschiedenen Plakaten umherwandert. Der Partei-Name ist ausschließlich links unten als Internetadresse zu lesen. Bemerkenswert, da keine andere Partei sich entschlossen hat, ihre Internetadresse auf die Plakate zu bringen.

Ein heller Grünton mit diesmal höherem Gelbanteil bildet den Hintergrund und ersetzt das Weiß in den Schwarzweiß-Fotos der abgebildeten Menschen. Die Plakate sind angenehm anzusehen und weit entfernt von den grellroten Plakaten der SPD oder den farbenreichen Plakaten der CDU. Im Kampf um Aufmerksamkeit kann das zum Nachteil werden. Der einzige visuelle Störer ist der lachsrote Kreis, in dem zur Briefwahl aufgefordert wird.

Der fotografische Aspekt dieser Plakate muss gewürdigt werden, besser als auf den CDU-Plakaten gelingt es, die Szenen nicht gestellt wirken zu lassen. Die meisten Motive sind locker und fröhlich, alle Personen wirken natürlich. Wie bei den Grünen zu erwarten ist die Auswahl an Protagonisten bunt und jung.

Mit ihrer Kanzlerkandidatin halten es die Grünen ähnlich wie die CDU. Annalena Baerbock hat ihre eigenen Plakate, tritt auch mal mit Robert Habeck zusammen auf, im Zentrum der Kampagne stehen aber andere Motive.

Neben der Klimakrise greifen die Plakattexte eine recht große Zahl anderer Themen auf – Rassismus, Kinderarmut, Europa, Züge, Schulen, Internet. Und das in positiver und tendenziell friedlicher Art. Ähnlich wie bei den FDP-Texten lassen sich subtile Spitzen gegen die anderen Parteien herauslesen. Ein Beispiel ist „Am Klimaziel führt kein Weg vorbei“, auch nicht der von Alexander Dobrindt geforderte Sonderweg. Ähnlich zu deuten ist „Unser Land kann viel, wenn man es lässt“ – glatt ein Verhinderungsvorwurf an die anderen Parteien.

Die Linke gibt sich ein Ausrufezeichen

Ein großes Glück für die Bundesrepublik ist sicherlich, dass die Linken die ästhetischen Entgleisungen von 2017 in ihrer aktuellen Kampagne nicht fortsetzen. Die aktuellen Plakate sind wesentlich aufgeräumter und die Gestaltung klarer. Eine gute Kampagne ist dennoch nicht gelungen. Die Porträts wirken flach, die anderen Fotomotive gewöhnlich.

Alle anderen Parteien vermitteln eine klare Botschaft durch ihre Farben – das Rot der SPD, die Nationalfarben bei der CDU, selbsterklärend bei den Grünen – während die Farbwahl der Linken willkürlich erscheint. Vor allem erschweren die wechselnden Farb- und Flächenkonstellation die Wiedererkennbarkeit erheblich.

Ähnlich bedeutungsarm wie die verschiedenen Lila-Töne kommt das „Jetzt!“ daher. Trotz seiner visuellen Dominanz mag man das Ausrufezeichen glatt gegen ein Fragezeichen austauschen: „Ja, was ist denn jetzt?“

Gelingt es den Blick von diesen Elementen loszureißen und die offenen Fragen zu verdrängen, bleiben die inhaltlichen Botschaften, die alle um soziale Themen kreisen. Hier steckt tatsächlich „Die Linke“ drin.

Die AfD geht auf Konfrontation

Die AfD legt nach – deutlich wertiger als noch 2017 kommt die aktuelle Kampagne daher. Was als erstes ins Auge fällt, ist die hohe und einheitliche Qualität der Fotos. Sinnvolle Bildkompositionen mit ausgefeiltem Schärfenspiel zeigen zwar stark inszenierte, aber glaubwürdige Situationen. 2017 lagen die AfD-Plakate in ihrer gestalterischen Qualität in etwa auf dem Niveau der aktuellen Kampagne der Linken.

Wie auch die CDU nutzt die AfD nationale Symbole, auf jedem Plakat steht „Deutschland.“, ein festes Gestaltungselement ist ein schwarz-rot-goldener Trenner. Auf den schlichter wirkenden Plakaten ohne Foto findet sich ein stilisierter, schwarz-rot-goldener Schmetterling. In der Politik kann ein Wort, ein Symbol oder schon eine Farbe für eine ganze Denkrichtung stehen, was der AfD-Schmetterling ausdrücken soll, bleibt allerdings vorerst offen.

Als einzige Partei thematisiert die AfD die Coronakrise – allerdings als politisches Streitthema mit Fokus auf die Einschränkungen während der Lockdowns. Bei der AfD ist nichts von den subtilen Andeutungen zu spüren, die es bei der FDP oder den Grünen gibt. Hier steht unverblümt „Tempolimit für Grüne Verbote“. Das ist die einzige direkte Attacke einer Partei gegen eine andere auf allen Plakaten. Wenig überraschend, dass es die Grünen trifft, die aus rechtskonservativen Kreisen einem hohen Druck ausgesetzt werden – sowohl online als auch im Straßenwahlkampf.