Eine Gruppe aus China hat sich im Haus des Waldes inspirieren lassen. Sie ist nicht die erste. Vor kurz ist in der Provinz Tianshui eine Art Haus des Waldes eröffnet worden – nach der Degerlocher Vorbild.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Degerloch - Die Eichel entzückt den Chinesen, er lächelt wie ein Kind, das etwas besonders Tolles aus dem Kaugummiautomaten gezogen hat. Xiang Shoudu öffnet seine Hand, als wolle er nachsehen, ob die Eichel noch da ist. Er hat sie vorher aus dem Stoffsack von Berthold Reichle gefischt, wie seine Mitspieler auch. Die Aufgabe war, den Gegenstand vor den anderen geheim zu halten und nur durch Tasten herauszufinden, wer auch eine Eichel oder einen Tannenzapfen hat. Um seine Partner fürs nächste Spiel zu finden, übersetzt die Dolmetscherin. Die Stöckchen auf dem Waldboden knacken unter den Glitzerschuhen der Frauen, und die Fotoapparate klicken um die Wette.

 

Stets geht es um Senlin, so heißt Wald auf Chinesisch

Xiang Shoudu ist der Direktor der Forstbehörde in der chinesischen Provinz Guizhou, im Südwesten der Volksrepublik. Mit einem Dutzend anderer Chinesen ist Xiang Shoudu am vergangenen Freitag in Degerloch gewesen. Mit dabei unter anderem Liu Wenxin, der Bürgermeister der Provinzhauptstadt. Die Reisegruppe hat sich von Berthold Reichle, dem forstlichen Leiter des Haus des Waldes, erklären lassen, wie Waldpädagogik unterm Fernsehturm funktioniert.

Die Chinesen sind auf einer zweiwöchigen Deutschlandtour. Sie waren zum Beispiel im Arboretum Hochtaunus. Stets ging es um Senlin, so heißt Wald auf Chinesisch. Die Menschen in der Volksrepublik entdecken derzeit ihre Wälder von einer anderen Seite. Dass nicht nur ein abgeholzter Wald ein guter Wald ist, weil er dann Fläche für Felder spendet.

Haus des Waldes in China nach Degerlocher Vorbild

Dass die Chinesen einen Hang zum gesunden Wald entwickeln, unterschreibt Berthold Reichle sofort. Die vergangenen Jahre haben es ihm bewiesen. Vor Kurzem ist in der Provinz Tianshui eine Art Haus des Waldes eröffnet worden – nach Degerlocher Vorbild, aber dreimal so groß. Berthold Reichle hat an dem Konzept mitgearbeitet. Dafür war er oft in China. Was ihn bis heute erstaunt – und freut: „Da ist eine unglaubliche Offenheit für Wald und Umwelt. Der Funke ist übergesprungen, sie haben Feuer gefangen.“ Die Provinz Tianshui hat aufgeforstet. Und die Verantwortlichen haben verstanden, dass zum neuen Wald Wissen gehört. Nur wer weiß, warum Wald wichtig ist, wird ihn hegen.

Das Haus des Waldes in Degerloch war bundesweit die erste Einrichtung ihrer Art. Das Haus wurde vor 25 Jahren eröffnet. Dass nun Degerlocher Ideen nach Asien reisen, schmeichelt Berthold Reichle. „Es ist schon ein besonderes Gefühl, einen Stein ins Wasser geworfen zu haben“, sagt er. Der Titel der recht neuen Degerlocher Dauerausstellung war anscheinend ein gutes Omen. Seit 2010 heißt sie „Stadt, Wald, Welt“. Nun wird Degerlocher Gedankengut weltläufig. Nicht nur die Chinesen interessieren sich für Rat aus Degerloch. Es gibt eine Anfrage aus Georgien, sagt Reichle, „aber es ist noch nicht konkret“.

Stadt, Wald, Welt

Bevor der Forstdirektor Xiang Shoudu seine Spielaufgabe meistern und die Eichel aus dem Stoffsack ziehen kann, muss Berthold Reichle den Beutel erst kurz holen. Seine chinesischen Gäste warten derweil im Wald. Kaum ist Berthold Reichle weg, plappern alle durcheinander, aber sie haben ein gemeinsames Ziel: das Spiel von gerade eben wiederholen. Also greifen sie nach dem zu einem großen Kreis gebundenen Seil, legen es sich hinten an die Hüfte und lehnen sich zurück. Sie tun es ungestüm und kichernd. Manche fallen bei dem Geschaukel schier um. Das Spiel zeigt, dass jeder Einzelne wichtig ist, dass alles zusammenhängt. In Stadt, Wald, Welt.