Man muss sich verkleiden, um die Gesellschaft zu ­demaskieren, hat Günter Wallraff einmal gesagt. Der StZ-Redakteur Stefan Kister gratuliert dem Enthüllungsautoren zum 70. Geburtstag.

Stuttgart - Man muss sich verkleiden, um die Gesellschaft zu demaskieren, hat Günter Wallraff einmal gesagt. Und so tut man dem am 1. Oktober 1942 in Burscheid Geborenen sicher nicht Unrecht, wenn man ihn einen Großschauspieler im Dienst der Aufklärung nennt. Seit den siebziger Jahren schleicht sich Wallraff unter wechselnden Identitäten in jene Schmerzgebiete, in die ihr beruflicher Alltag Menschen treibt. Mit seinen Enthüllungsreportagen wurde er für die einen zum Gewissen der Republik, für die anderen zu deren größtem Ärgernis. Mit dem Buch „Ganz unten“ erlangte er Bestsellerehren. Der Blick auf die Situation der Gastarbeiter in Deutschland war fortan ein anderer. Überhöht und geschmäht pflastern Prozesse seinen Weg. Gegen Springer hat er alle gewonnen. Bei seinen Recherchen in einer Großbäckerei hat er sich zuletzt die Finger verbrannt, juristisch. Kritik an seinen Methoden gibt es seit Langem. Immer wieder treten Entlarver des Entlarvers auf den Plan, die den Gutmenschen für Fassade halten. So auch wieder dieser Tage. „Ich muss“, äußerte Wallraff zu seiner Methode einmal, „selbst erst zum Betroffenen, notfalls zum Opfer werden, um über die Situation der Opfer der Gesellschaft schreiben zu können.“ Wer auch immer dieser dauerverkleidete Hans Esser, Ali oder Jedermann in Wirklichkeit ist: die Verhältnisse sind nicht so, dass man auf ihn verzichten könnte.