Metro-Chef Olaf Koch begründet die geplante Veräußerung der Supermarktkette Real mit der Konzentration des Konzerns auf den Großhandel. In der Rückschau ergebe das „ganze Theater“ mit der Tarifflucht von Real einen bitteren Sinn, kontert die Gewerkschaft Verdi.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Einmal hin – alles drin“: Den Real-Beschäftigten muss der Werbespruch wie bittere Ironie erscheinen, nachdem der Metro-Konzern überraschend die Suche nach einem Käufer der Supermarktkette aufgenommen hat. „Einmal drin – alles hin“ würde aus ihrer Sicht eher passen.

 

„Dass wir uns zunehmend auf den Großhandel fokussieren, dürfte jedem klar sein, der uns schon länger beobachtet“, argumentiert Metro-Chef Olaf Koch in der „Wirtschaftswoche“. „Die Veräußerung von Real ist nur eine logische und vernünftige Konsequenz.“ Der Anteil des Großhandels am Gesamtumsatz liege bei 80 Prozent – dort soll mehr investiert werden. „Es wäre unsinnig, Real immer nur mitlaufen zu lassen und bei Investitionen erst im vierten oder fünften Schritt an den Einzelhandel zu denken.“ Zu Interessenten mag Koch „noch nichts sagen“. Die Banken JP Morgan und Bank of America helfen bei der Suche nach einem Real-Käufer. „Danach folgt der nächste Schritt“, so der Konzernchef. Offenkundig verfolgt Koch einen längerfristigen Plan. Dies lässt den Wechsel in den Arbeitgeberverband AHD und die bevorzugte Anwendung eines günstigeren Tarifvertrags mit der Berufsgewerkschaft DHV in neuem Licht erscheinen.

Angesichts der Verkaufsabsichten „macht die chaotische Strategie in der Rückschau betrachtet wieder Sinn“, sagt der Verdi-Landesfachbereichsleiter Bernhard Franke unserer Zeitung. Das „ganze Theater“ diene dazu, „alle Hürden zu beseitigen, die einen Investor stören könnten“ – eine Standort- und Beschäftigungssicherung etwa. „Somit haben die ihre Beschäftigten und uns betrogen, als sie hergekommen sind und gesagt haben: Wir wollen das Unternehmen sanieren – tatsächlich wollten sie den Verkauf vorbereiten.“

Metro will den Flächentarifvertrag mit Verdi aushebeln

„Mit Theater“ ist das Vorgehen der Metro gemeint: Im Dezember 2017 hatte die Konzerntochter Metro Services GmbH, die mit wenigen hundert Beschäftigten das Facility-Management und die Lohnbuchhaltung für diverse Töchter betreibt, mit der Berufsgewerkschaft DHV die Neufassung eines Tarifvertrags erarbeitet. Unter anderem wurden Tätigkeiten, die es dort bis dahin gar nicht gab, neu tarifiert. Ende März entschied die Metro dann offiziell, die Verhandlungen mit Verdi über eine Reform des Flächentarifvertrags abzubrechen und die Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband AHD für den Übergang in die neu geschaffenen Tarifstrukturen mit der DHV zu nutzen. Doch für Altbeschäftigte gilt weiterhin der Verdi-Tarif. Daher wirft die Gewerkschaft der Arbeitgeberseite vor, Mitarbeiter bei Beförderungen, auslaufenden Befristungen und Versetzungen ins neue Tarifwerk zu drängen. Die Folge sind Absenkungen gegenüber dem alten Flächentarif im Einzelhandel.

Berufsgewerkschaft reicht Klage gegen Real ein

Mittlerweile hat die DHV allerdings Klage gegen Real eingereicht mit dem Ziel, dass die im April 2018 mit sofortiger Wirkung gekündigten Tarifverträge mit der Metro Services GmbH nicht auf die Real-Beschäftigten angewendet werden dürfen. Die Berufsgewerkschaft kritisiert die „Flucht“ der Metro aus ihrer Verantwortung und „den Versuch, Probleme zu lösen, indem man sich einer Unternehmenstochter durch Verkauf entledigt und 34 000 Arbeitnehmer in eine ungewisse Zukunft bei einem neuen Eigentümer entlässt“. Den „Missbrauch wird die DHV nicht tolerieren“, heißt es. „Wir lassen uns nicht den schwarzen Peter für den Verkauf von Real zuschieben.“

Bundesweit betroffen sind Beschäftigte in etwa 280 Real-Märkten. Für sie waren die Tarifflucht und die Verkaufsbotschaft ein schwerer Schlag, zumal im Handel ohnehin nur noch knapp ein Drittel der Beschäftigten unter dem Schutz des Tarifvertrags steht. Ursprünglich wollte Verdi die Warenhauskette mit einem „heißen Herbst“ in den Flächentarif zurückholen. Im Zuge einer „Guerillataktik“ sollten „eskalierende Nadelstiche“ gesetzt werden. Verdi hat bei Real einen Organisationsgrad von 40 bis 50 Prozent im Bundesschnitt.

Offen ist nun, was vom „heißen Herbst“ übrig bleibt, denn Verdi müsste sich neu orientieren. Der Druck soll zwar aufrechterhalten werden, doch muss die Gewerkschaft mit den Betriebsräten erörtern, welche Arbeitskampftaktik und Kampagnenformen unter den neuen Bedingungen noch sinnvoll sind – zumal derzeit ein Eigentümer fehlt, an den man die Forderungen richten kann. Über mögliche Käufer will Franke auch nicht spekulieren. In Westeuropa sieht er jedenfalls keinen Wettbewerber, der das ganze Filialnetz von Real übernehmen könne.

SPD-Antrag deckt abnehmende Tarifbindung auf

Tarifflucht zu stoppen gehört generell zu den vorrangigen Zielen des Gewerkschaftsbundes. Der DGB Baden-Württemberg fordert von der Landesregierung ein entschiedeneres Handeln dagegen – genauso die SPD-Fraktion. Anlass ist deren aktuelle Anfrage an die Landesregierung. Demnach ist die Tarifbindung im Südwesten stetig zurückgegangen. Nach den neuesten amtlichen Zahlen von 2013 haben nur noch 26 Prozent der Betriebe im Land Tarifverträge unmittelbar angewendet – wovon 51 Prozent aller Beschäftigten tangiert sind. „Diese Zahlen stimmen auch deshalb bedenklich, weil laut der Antwort der Regierung in den Jahren 2010 bis 2014 der Zuwachs beim Bruttomonatsverdienst für Beschäftigte in tarifgebundenen Betrieben bei 11,8 Prozent lag, bei Beschäftigten in nicht tarifgebundenen Betrieben aber gerade einmal bei 4,8 Prozent“, moniert der SPD-Wirtschaftsexperte Boris Weirauch.

Dem Wirtschaftsministerium zufolge lag der durchschnittliche Bruttoverdienst eines Arbeitnehmers in einem tarifgebundenen Betrieb 2014 bei 4011 Euro und im Betrieb ohne Tarifbindung bei 3479 Euro. Die Diskrepanzen sind bei Männern größer als bei Frauen. „Augenwischerei“ nennt Weirauch die Argumentation, Betriebe würden sich zunehmend am Flächentarif orientieren. Dies gehe zulasten der Beschäftigten.