In einem Alter, in dem andere in ihrem Beruf so richtig durchstarten, stehen Tänzer häufig vor dem Aus: Nach langer Ausbildung und einer intensiven, aber kurzen Bühnenkarriere müssen sie sich neu orientieren. Ehemalige Tänzer des Stuttgarter Balletts berichten aus ihrem zweiten Leben – heute: Christian Fallanga.

Stuttgart - Den ehemaligen Solisten Christian Fallanga trifft man heute in Stuttgart-Stöckach an – in seiner 2003 eröffneten Ballettschule. Als Erinnerung an alte Zeiten beim Stuttgarter Ballettprangen noch Fotografien von Marcia Haydée und Egon Madsen an den Wänden, und er besitzt noch andere Aufnahmen. Die älteste zeigt Christian Fallanga während seiner Ausbildung in Monte Carlo bei Maria Besobrasova an der Académie de Danse Classique Princesse Grace. Sie setzt für ihn noch heute bei seiner Lehrtätigkeit Maßstäbe: „Was ich bin, das bin ich dank ihr“, betont Fallanga.

 

Auf den Fotos ist er auch oft in Choreografien Jiří Kyliáns zu bewundern. Fallanga war kaum ein Jahr in Stuttgart, da schuf Kylián für ihn schon das erste Stück, „Incantations“. „Von der ersten Begegnung an konnte ich verstehen, was er wollte“, sagt Fallanga. 1987 wirkte er zudem für Kylián als Assistent. Von ihm und Glenn Tetley entlehnt er auch heute noch Bewegungen für den Unterricht und die jährlichen Aufführungen: „Diese Bewegung ist in meinem Körper.“ Ab 1976 trat Fallanga als Solist auf, am liebsten in zeitgenössischen Stücken von Kylián, Béjart, Forsythe und natürlich Cranko. 1996 schied er schließlich aus der Kompanie aus. Körperlich war das für ihn einfach, denn er blieb aktiv: Er absolvierte 1996/98 einen Fortbildungskurs in Tanzpädagogik an der John Cranko Schule – ein Angebot, das es heute leider nicht mehr gibt. Als ehemaliger Tänzer nahm Fallanga sogar kostenlos teil. Er vermisst also nicht die körperlichen Herausforderungen: „Es fehlten mir anfangs der Kontakt mit dem Publikum und die Bühne.“

Ballett braucht Disziplin, starken Willen, Ausdauer, geistige Offenheit

Doch dafür hat sich ihm eine neue Welt eröffnet: „Es macht sehr viel Spaß, den Tanz weiterzugeben, und ich bekomme viel zurück“, schwärmt Fallanga von seiner Arbeit an der Ballettschule Stuttgart. „Ich genieße es, die Studenten wachsen zu sehen – auch geistig.“ Wie für seine Lehrerin Maria Besobrasova ist für ihn dieser Aspekt entscheidend. „Der Körper soll tanzen, und unsere Herzen und Seelen sollen sprechen“, meint er. Ballett brauche zudem Disziplin, Ausdauer, einen starken Willen und eben geistige Offenheit. Manche Schüler kommen drei- bis viermal wöchentlich, und aus seiner Schule sind mittlerweile schon Profis hervorgegangen.

Am Anfang musste Fallanga jedoch einige Hürden überwinden, um die Schule zu eröffnen. Das Arbeitsamt wollte ihn erst fördern, wenn er einen Raum hätte. Mit Hilfe einer Freundin wurde er in Stuttgart fündig, riss eine Mauer ein, legte einen neuen Boden und brachte Stangen und Spiegel an. Doch das Arbeitsamt zögerte, ihn zu unterstützen. Zu guter Letzt erhielt er die Hilfe dennoch.

„Es war sehr schwer“, erinnert sich Fallanga an die ersten beiden Jahre; damals hatte er noch zwanzig Schüler. „Eine Ballettschule trägt sich erst nach vier bis fünf Jahren“, meint er. Zum Glück spendierten ihm Freunde immer wieder große Esskörbe. „Trotz aller Schwierigkeiten bin ich aber immer positiv geblieben“, betont er.

Regelmäßig besucht Fallanga das Training des Stuttgarter Balletts

Inzwischen sind es fünfzehn Klassen, die er unterrichtet – Kinder ebenso wie Erwachsene und Profis. Auch Modern Dance und Spitze bietet er an. „Mir ist es wichtig, alle Erfahrungen weiterzugeben, die ich als Schüler, als Tänzer und im Leben gewonnen habe“, sagt Fallanga. Einer der Höhepunkte der Ballettschule war eine Aufführung in der Friedens- und Lukaskirche mit Orchester und Harfe zu Musik von Benjamin Britten im Dezember 2015.

Für Abwechslung ist beim Unterrichten gesorgt: „Ich verfolge regelmäßig das Training des Stuttgarter Balletts und lasse mich inspirieren“, sagt Fallanga. Außerdem lehrt er zusätzlich in den Ferien im Ausland – zum Beispiel in Japan.

Aus dem Land der aufgehenden Sonne stammen auch mehrere besonders talentierte Schülerinnen. Außerdem ist Fallanga selbst noch einige Male aufgetreten: etwa 1984 und 2014 bei einer Tempelfeier in Japan und zwischen 2000 und 2003 in der dritten Kompanie des Nederlands Dans Theaters, in der bis 2006 Tänzer über vierzig tanzen konnten.

Für Ehemalige, die eine Ballettschule eröffnen wollen, hat Fallanga folgenden Rat: „Sie sollten klar wissen, was sie wollen, und viel Geduld und viel Mut aufbringen.“ Auch eine Ausbildung in Ballettpädagogik sei sehr ratsam. „Unterrichten ist schwerer als Tanzen“, meint Fallanga. Schließlich will ein Battement tendu auch erklärt sei. Wer Fallangas Ballettklassen einmal live erleben möchte, hat dazu am 23. Oktober Gelegenheit: An diesem Tag präsentieren seine Tänzer mit Orchester- und Chorbegleitung in der Friedens- und Lukaskirche Telemanns „Jahreszeiten“.