„Beat“, die zweite deutsche Serie von Amazon Prime, gefällt sich als aufringlich inszenierter Thriller-Albtraum aus Sex, Drogen und Techno. Und über Stuttgart darf auch mal wieder gelacht werden.

Freizeit & Unterhaltung : Gunther Reinhardt (gun)

Berlin - Robert lebt in einem Tony-Marshall-Schlager. Wenn die anderen zur Arbeit gehen, sagt er: „Gut’ Nacht!“ Es sei denn, er findet in einer seiner Jackentaschen doch noch eine dieser bunten Pillen. Dann nämlich dreht der Mann, den alle nur Beat nennen, einfach wieder um, kehrt zurück in den Club und macht Rabatz, auf dass die ganze Bude kracht.

 

Die Musik, die Robert im Sonar, dem coolsten Club Berlins, mit dröhnenden Bässen in Empfang nimmt, klingt nicht nach Schlager. Hier zucken, zischen, knattern und brummen Tracks von Rich Knochel oder Marcel Dettmann durch eine ehemalige Fabrikhalle. Trotzdem hält dieser mit Techno infizierte Rausch der Sinne genau jenes Heile-Welt-Versprechen bereit, das man aus den Liedern von Roy Black, Costa Cordalis oder Jürgen Marcus kennt. Hierhin flieht Robert vor der tristen Wirklichkeit, glaubt im Wummern der Beats den Herzschlag seiner Mutter wiederzuerkennen, den er einst als Embryo gehört hat. Doch auf einmal riecht die Party nach Verwesung: als mitten in einem wilden Rave die aufgeschlitzten Körper zweier Mädchen entdeckt werden, die wie ein perverses Kunstwerk von der Decke baumeln.

Exploitation-Trash

Marco Kreuzpaintner, der bisher vor allem als Regisseur des Kinofilms „Krabat“ bekannt ist, hat sich die Serie um den Berliner Technopromoter und Partyprofi Beat (Jannis Niewöhner) ausgedacht, der im Sonar die angesagtesten DJs aus der ganzen Welt auflegen lässt, gut vernetzt ist und deshalb für Emilia (Karoline Herfurth) interessant wird: Emilia arbeitet nämlich für eine geheime staatliche Behörde, die das organisierte Verbrechen bekämpft, und die Beat als Agenten anheuert.

„Beat“ ist Marco Kreuzpaintners erste TV-Serie, ein Techno-Thriller, der äußerst ambitioniert daherkommt, vielschichtige Milieustudie, sperriges Charakterdrama, philosophisches Lehrstück und ultrabrutaler Krimi sein will. Nichts davon bekommt „Beat“ richtig hin. Das Monströse von „Schweigen der Lämmer“ trifft auf die Sperrigkeit der Berliner Schule, DJ Bobo auf „Eurocops“. Denn da gibt es ja noch die Storymit der Organhandelsmafia und dieser seltsamen Organisation namens ESI, die von Brüssel aus wer weiß was tut. Das Ergebnis ist Exploitation-Trash.

Lüstern-spießiger Blick auf die Partykultur

Nachdem das Goldene Zeitalter der TV-Serien mit Produktionen wie „Dark“ oder „Babylon Berlin“ endlich auch in Deutschland angekommen ist, hätte man sich mehr von „Beat“ erhofft als so ein Szene-Kasperletheater, als so einen lüstern-spießigen Blick auf die Dekadenz der Partykultur. Dabei ist Kreuzpaintner eigentlich einer der Guten. Einer, dem man zugetraut hätte, dass er jetzt auch im Serienformat Deutschland voranbringt. Doch offensichtlich wollte Amazon das mit „Beat“ gar nicht erreichen

Denn nicht zum ersten Mal enttäuscht der Online-Einkaufsladen mit einer deutschen Eigenproduktion. Obwohl Amazon international zahllose großartige Serien produziert („The marvelous Mrs. Maisel“, „Homecoming“, „Mozart in the Jungle“), bleibt das Unternehmen bei deutschen Serien bislang weit unter seinem Niveau. „You are wanted“, die erste deutsche Amazon-Serie, erwies sich als krude-konventioneller Hackerthriller mit einem Til Schweiger 2.0 namens Matthias Schweighöfer, als „Mr. Robot“ für Arme, als Starvehikel, das nichts mit der aktuellen Qualtitätsoffensive im Serienformat zu tun hat, Amazon Prime aner trotzdem Rekorde bescherte.

Wenn nichts mehr hilft, hilft eine Sex-Orgie

Und jetzt also „Beat“. Es ist zwar nicht alles schlecht an der Serie. Es wird der Wille erkennbar, eine eigenständige Ästhetik zu entwickelt: Das Berlin der Serie ist in ein Graublau getunkt, das mal steril glänzt, wenn die Kamera durch die Räume der ESI-Behörde fährt, und mal schäbig dreckig wirkt, wenn die Clubszene erkundet wird. Doch beim Versuch, die vielen Figuren, die durch die zahlreichen Handlungsstränge der Serie irren, zusammenzubringen, scheitert die Serie kläglich. Einer der Gründe könnte der Drehbuchautor sein.

Norbert Eberlein, der seine Karriere mit dem Schreiben von Illustriertenromanen begonnen hat und seit 1994 zahlreiche Drehbücher für die Vorabendserie „Großstadtrevier“ verfasst hat, lässt seine Protagonisten ständig papierene Sätze aufsagen, lakonisch Monologe raunzen, atemlos Szenejargon daherquatschen („Hey Alter, haste noch ein bisschen was für Wach?“). Und wenn gar nichts mehr hilft, wird mal wieder eine kleine Sexorgie ins Drehbuch geschrieben oder ein bisschen Schwaben-Bashing betrieben. Dann kotzt Beat zum Beispiel über den neuen Teilhaber des Sonar ab: „Solche Leute kommen nach Berlin, weil Berlin ist, wie es ist. Und dann machen sie daraus Stuttgart.“

Und Tony Marshall singt vom Rabatzmachen

Die Figuren in „Beat“ reden nicht miteinander, sondern aneinander vorbei, kommen einem alle wie Autisten vor. Das gilt besonders für den Titelhelden, an dem das ständige Auf-die-Pauke-Hauen und Bis-morgens-früh-Durchmachen nicht spurlos vorübergegangen ist und der sich , wenn er morgens nackt zwischen zwei anderen attraktiven Nackten aufwacht, erst einmal eine Bahn Koks reinzieht. Und das gilt noch mehr für Jasper (Kostja Ullmann), der eine Art dunkles Gegenüber von Beat darstellt: ein durchgeknallter Philosoph der Stille, der gerne mal in seinem Gruselkabinett der in Formaldehyd eingelegten Körperteile irre tanzt, während Tony Marshall fröhlich vom Rabatzmachen singt.

Die Serie und ihre Macher

Personen Das Konzept für die Serie „Beat“ stammt von dem Regisseur Marco Kreuzpaintner („Sommersturm“, „Trade“, „Krabat“). Autor ist Norbert Eberlein, der bisher über 50 Episoden der Vorabendserie „Großstadtrevier“ geschrieben hat.

Amazon „You are wanted“ (seit 2017) war die erste deutsche Eigenproduktion von Amazon Prime Video. 2018 übernahm man außerdem die Sitcom „Pastewka“, die ursprünglich von Sat 1 produziert wurde.

Serie „Beat“ ist die zweite deutsche Prime-Original-Serie und seit Freitag, 9. November, bei Amazon verfügbar. Die erste Staffel besteht aus sieben rund einstündigen Episoden.