Wasser ist einfach nicht das Element der Stadt Stuttgart. Doch nach dem Nein zur Surfwelle am Neckar muss dringend ein Ja zu besserer Wasserqualität folgen, kommentiert Lokalchef Jan Sellner.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Stuttgart - Das Projekt Neckarwelle ist den Bach runter, wenn man das so sagen darf. Eigentlich ist es den Neckar runter. Den stadtunbekannten Fluss, zu dem Stuttgart ein Verhältnis hat wie zu einer Transitstraße. Es würde einen in dieser tunnelaffinen Stadt nicht überraschen, wenn jemand auf den Gedanken käme, den Neckar tiefer zu legen. Mit dem Nesenbach hat man das schon gemacht. Wie die Stadt ohnehin dazu neigt, alles zu kanalisieren, was irgendwie im Fluss ist. Wasser ist einfach nicht ihr Element – obwohl sie direkt an den Mineralquellen sitzt. Gespräche mit Ortsfremden laufen nach dem Muster ab: „Stuttgart liegt am Fluss? Tatsächlich? Und es hat einen Hafen? Was Sie nicht sagen!“ Und nicht nur Ortsfremde, auch viele Einheimische reden so.

 

Deshalb war es ja buchstäblich so erfrischend, was sich der Verein Neckarwelle für einen Abschnitt des vernachlässigten Flusses ausgedacht hat: eine künstliche Surfwelle in einem Neckar-Seitenkanal beim EnBW-Wasserkraftwerk in Untertürkheim nach dem Vorbild des Münchner Eisbachkanals. Surfen in der Stadt – das war nicht irgendeine Schnapsidee, sondern ein Plan, der so ernsthaft ausformuliert war, dass die Stadt ihn intensiv prüfte. Und jetzt? Betätigt sie sich als Wellenbrecher. Zu viel Dreck und Keime belasten den Neckar. Die Behörden halten es nicht für vertretbar, dass Surfer in Kontakt mit Wasser kommen. Keine Welle auf dem Neckar also, dafür eine Welle der Empörung bei den Befürwortern. Warum hat die Stadt dann überhaupt eine Machbarkeitsstudie veranlasst? Die Wasserqualität war so, wie sie ist – und der Verwaltung hinlänglich bekannt. Nach dem Nein zur Welle darf man konstatieren: Vom Neckar droht den Surfern keine Gefahr mehr. Dafür ist es gut möglich, dass sie irgendwann an Vorschriften ersticken.

Stuttgart muss „Stadt am sauberen Fluss“ werden

Das ist bissig – zugegeben. Natürlich hat der Schutz der Gesundheit Vorrang, auch wenn Zweifel bestehen, ob Surfer mit Badenden gleichgesetzt werden können. Das Nein der Stadt zeigt aber vor allem eines: Es braucht ein Ja zum Neckar, ein Ja zu besserer Wasserqualität. CDU und SÖS/Linke-plus drängen nach der Absage an die Wassersportfreunde zu Recht darauf, sich mit Nachdruck um dieses Thema zu kümmern. Ehe man von „Neckarperlen“ spricht, muss sichergestellt sein, dass sie auch glänzen können. Oberbürgermeister Kuhn sollte sein Programm „Stadt am Fluss“ daher dringend um ein Wort erweitern: Stuttgart muss die „Stadt am sauberen Fluss“ werden. Das kann Stuttgart nicht alleine leisten, aber es kann den Anstoß dazu geben.

Wenn man bedenkt, wie rein der Neckar im naturbelassenen Schwenninger Moos aus dem Boden tritt und in welch schlechtem Zustand er sich nur 120 Kilometer weiter präsentiert, stellen sich kritische Fragen. Fragen wie diese: „Muss nicht gerade in Zeiten von Umweltschutzprotesten seitens der Schüler dringend etwas getan werden, um den Neckar sauberer zu machen?“ Diesen Gedanken formulierte ein Stuttgarter Student der Umwelttechnik am Freitag in einem Leserbrief. Er hat recht: Fridays for Neckar!

jan.sellner@stzn.de