Jeder hat so etwas: Lieder, die sich ganz tief in einem eingenistet haben. Im Herzen unseres Kolumnisten Mirko Weber sind das die wunderbaren Stücke von Hildegard Knef. Bis heute.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Seit Wintereinbruch ist jetzt wieder regelmäßig Hildegard Knef bei uns in der Küche – und singt: „Du bist mein Salz in der Suppe“. Ja, die Knef. Dieses Mal ist sie gewissermaßen mit Hans Nieswandt ins Haus gekommen, dessen neue CD Ende letzten Jahres auf den Markt kam. Zuerst haben wir sie im „Nachtmix“ vom BR gehört, dann hat sie unser Neffe gekauft.

 

Der Mannheimer Hans Nieswandt, der aber nichts mit den „Söhnen“ oder Xavier Naidoo zu tun hat, nimmt sich für die zwölf Remix-Versionen jeweils ein Originallied der Knef, die ja meistens tolle Arrangeure hatte, und setzt die Bausteine geschickt neu zusammen. Mischt den Bass nach vorne, zum Beispiel, oder lässt den Song hübsch im Rhythmus auf der Stelle treten. Jedenfalls: Hildegard Frieda Albertine Knef aus Ulm ist wieder da, ein merkwürdiges Kontinuum bundesdeutscher Geschichte.

Hildegard Knef zeigt ein bisschen Busen – was für ein Skandal!

Meine kölsche Oma erzählte oft, ziemlich empört über die obwaltende Scheinheiligkeit, wie der Ortspriester unter drohend erhobenen Brauen von der Kanzel Augenblitze schmiss und 1950 vor einem Besuch des Willi-Forst-Films „Die Sünderin“ warnte, wo man – für Sekunden – ein bisschen Knefschen Busen zu sehen bekam. Stunden später standen die Busse hinter der Kirche und warteten auf die Fahrgäste fürs Kino. Nicht vergeblich. Sieben Millionen Menschen gingen damals in den Film „Die Sünderin“, natürlich hauptsächlich Männer. Zur Doppelmoral gehörte, dass Hildegard Knef als Cover auf dem ersten „Stern“ seinerzeit willkommen war, in Deutschland nach der „Sünderin“ aber persona non grata. Also ging sie nach Amerika – und später nach England. Spielte Theater. Filmte. Sang.

Jeder hat seinen Soundtrack des Lebens, Musik, die sich ganz tief in einem eingenistet hat. Wenn man damit aufgewachsen ist in den Sechzigern, Siebzigern, gibt es ein paar Knef-Lieder, dagegen haben vergleichbare Sachen kaum eine Chance. Weil: besser kann man existenzielle Dinge kaum sagen als mit „Eins und eins, das macht zwei“, oder mit „So oder so ist das Leben“. Nicht zu reden von roten Rosen. Auf der anderen Seite kam bei Hildegard Knef sehr lange bevor fast alles öffentlich geworden ist, etwas hinzu, und vielleicht sieht man das Revolutionäre (und das Befremdliche) daran auch erst heute so richtig.

Diese Frau war immer ihrer Zeit voraus – auch ohne Twitter

Hildegard Knef war – ohne Twitter, ohne Facebook – für das Publikum über das Künstlerische hinaus ein offenes Buch: Krebs, Kaiserschnitt und chirurgische Eingriffe im Gesicht wurden als Krankenakten von ihr aufgeblättert, Depressionen geschildert, Aufstiege und Abstürze ausgemalt. Mal literarisch verbrämt, mal schonungslos offen im Gespräch. Auch darin war sie ihrer Zeit voraus. Als sie gefragt wurde, wie sie sterben wolle, antwortete sie mit ihrer Berliner Schnauze: „Gar nicht.“

Das aber hat nicht mal die Knef hinbekommen: 2002 musste sie mit Ende siebzig gehen, nicht ohne ein paar sehr feine, vom Trompeter Till Brönner produzierte, letzte Lieder hinterlassen zu haben, die CD hieß „17 Millimeter“. Dazu tanzten wir, als die Kinder noch kleiner waren, auf Socken gemeinsam durchs Zimmer, bis ich Spreißel vom Parkett in der Fußsohle hatte. Das waren auch ungefähr 17 Millimeter. Allmählich tanzt nun das erste dieser Kinder aus unserer Küche ins selbst verantwortete Leben hinaus. Es nimmt – unter anderem – die Knef in den verschiedenen Interpretationsversionen von Brönner und Nieswandt mit. Gute Begleitung.