Die amerikanische Website Polygraph erstellt interaktive Graphiken zu musikalischen, sportlichen und aktuellen Themen. So zum Beispiel auch eine zum 90. Geburtstag von Miles Davis. Das Resultat wird der Jazz-Legende durchaus gerecht.

Stuttgart - 2452 - Auf so vielen Wikipedia-Seiten wird Jazzlegende Miles Davis erwähnt. 87 - So viele Tage brauchte Adele um mit ihrem Musikvideo zu „Hello“ eine Milliarde Youtubeclicks zu bekommen. 4506 - So viele Wörter benutzte Rapper Jay-Z in seinen Texten bisher. Klingt als hätten sich ein paar deutsche Beamtenstatistiker zusammengesetzt um nun trockene Zahlen zu veröffentlichen. Doch weit gefehlt: Sie stammen von einer Internetseite, die das, was man im allgemeinen von Statistiken kennt in ganz neues Licht rücken. Die Seite trägt den Namen „Polygraph“, wie Maschinen in der Medizin, die viele Daten gleichzeitig erfassen und Auswerten.

 

Was im ersten Moment wie ein etwas besser gestalteter Blog oder ein Shopping-Portal für Hipster-Mode wirkt, entpuppt sich als ein wahrer Schatz in den Weiten des Internets. In liebevoll-entzückenden und vor allem interaktiven Grafiken wird dem Besucher der Website ein farbenfrohes und doch zurückhaltend anmutendes Spektakel geboten. Am Rand finden sich immer kurze Texte wieder, die erläutern was aufgezeigt werden soll und welche Erkenntnis man daraus ziehen kann. Die Seitenbetreiber bezeichnen dies als „visually-driven Essays“, visuell-gesteuerte Aufsätze. Sie zeigen etwa, wie sich der Musikgeschmack in Sachen Pop seit 1958 verändert hat, wie groß der Wortschatz eines bestimmten Rappers ist, oder den männlich/weiblich Redeanteil in Disneyfilmen. Immer interaktiv, immer informativ, immer schön anzusehen. Für statistikverliebte Musik-Fans eine Art heiliger Gral, das non plus ultra, ein Highlight sondergleichen.

Eine multimediale Augenweide

Zurück zum Einstiegsbeispiel: 2452 Wikipedia-Einträge mit mindestens einer Miles Davis Erwähnung. Eine durchaus beachtliche Zahl an Erwähnungen für eine Person. Präsentiert wird ein Sternenhimmel aus 2452 großen und kleinen Punkten, welche verschieden eingefärbt sind. Fährt man mit der Maus auf einen der Punkte, erscheint der entsprechende Textauszug. Unterteilt wird unter anderem in Orte, Personen und Aufnahmen. Scrollt man etwas weiter nach unten sieht man in einem Zeitstrahl, wie oft die Jazzlegende wann und in welchem Zusammenhang seinen Namen in den Enzyklopädie-Artikeln finden könnte. Die aufwendig gestalteten Graphiken greifen toll ineinander und ergeben auch in einem Gesamtbild Sinn. Sie zeigen wie viel Einfluss der Wohl größte Jazzmusiker aller Zeiten auf unsere Kultur hatte und hat und setzen damit das Vermächtnis eines großen Mannes perfekt in Szene. Entstanden ist die multimediale Augenweide anlässlich des 90. Geburtstages von Miles Davis, mit Unterstützung seines Nachlasses und seiner Plattenlabels.

Was ist Punk?

Ein anderer Essay geht der Frage auf den Grund: Was ist Punk? Wie definiert sich dieser? Und überhaupt: Welche Bands repräsentieren die Szene am besten? Alle Spotify-Playlists in welchen sich das Stichwort „Punk“ wiederfindet wurden durchforstet, durchwühlt und ausgewertet. „Gewonnen“ haben den Repräsentationswettbewerb die US-Punk Rocker von Blink-182. In 45 Prozent aller Playlists mit entsprechendem Titel findet sich mindestens ein Song der Jungs aus San Diego. Doch kaum eine relevante Punkband bleibt unerwähnt.

Sortiert unter anderem nach Dekaden findet sich alle, wirklich alle, angefangen bei den legendären 1970er Jahre Skandalrockern „Sex Pistols“ bis hin zur 2004 gegründeten Metalband „Bring me the Horizon“. Dann nochmal mehr zu den verschiedenen Stilrichtungen, welche erneut auf einer Timeline dargestellt werden. Post-Punk, Grindcore und Emo, alle vershen mit Entstehungsjahr auf einem 20 Jahre umfassenden Zeitstrahl. Da gerät die Erinnerung an unmotivierende Tageslichtprojektor-Vorträge im Musikunterricht ganz schnell in den Hinterkopf, denn Polygraph zeigt: So kann, beziehungsweise muss, eine Präsentation aussehen. Das alles mit Hörbeispielen verschiedenster Punk-Formationen. Die Etymologie einer gesellschaftsprägenden Bewegung, dargestellt in übersichtlichen und leicht zu verstehenden Bewegt-Graphiken. Was will man mehr?

19 Mal ein Wow-Effekt

Doch auch die weniger musikaffinen Zeitgenossen kommen durchaus auf ihre Kosten: Andere visually-driven Essays beschäftigen sich mit Kickstarter Projekten und der Basketballliga NBA. Wem das noch nicht reicht, der kann sich auch anschauen, wann in welchem US-Staat Clintons oder Trumps jeweiliger YouTube-Channels häufiger geklickt wurde. Clintons Werbeclip „Stronger Together“ im Konkurrenzkampf mit Trumps Ice-Bucket-Challenge.

19 verschiedene Themen, 19 Mal ein Wow-Effekt. Wichtige Kulturgüter und tagesaktueller Nonsens wie auf dem Silbertablet serviert. Ein Blick auf die Website lohnt sich. Man bleibt wesentlich länger hängen als beabsichtigt.