Gregor Gysi, der langjährige Chef der Bundestagsfraktion, verabschiedet sich aus der ersten Reihe. Seine beiden Nachfolger symbolisieren die Uneinigkeit der Partei.

Berlin - Bei den Linken beginnt eine neue Ära: Nach zehn Jahren mit Gregor Gysi an der Spitze der Bundestagsfraktion übernahm am Dienstag das Duo aus Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht das Ruder. Gysis bisherige Stellvertreter führen fortan als Ko-Vorsitzende die aus 64 Abgeordneten bestehende Fraktion.

 

Dieses Duo hat schon lange einen Namen: „Wagenknartsch“. Das ist nicht nur die Verschmelzung der Namen Wagenknecht und Bartsch, es ist auch ein Hinweis auf das, was viele von den beiden erwarten: Knatsch. Wagenknecht und Bartsch weisen zwar bei jeder Gelegenheit darauf hin, dass sie in mehr als 90 Prozent aller Fragen einer Meinung seien. Doch passen beide in ihrer „Denke“ nicht zueinander. Wagenknecht argumentiert ungebremst ideologisch, Bartsch ist konzilianter mit seinen politischen Gegnern und verfolgt das Ziel der Regierungsverantwortung in einer rot-rot-grünen Koalition. Das ungleiche Paar will sich zusammenraufen. Das beteuerten sie bei ihrer ersten gemeinsamen Pressekonferenz nach der Wahl in der Fraktion. Ihr Ziel sei es, die Rolle der Linken als Oppositionsführerin auszuspielen. „Vor allem wollen wir versuchen, erfolgreich zu sein“, sagte Bartsch. Wer aber sind die beiden, die in der Nachfolge von Gregor Gysi die Linksfraktion in die nächste Bundestagswahl führen?

Wagenknecht für die Talk-Shows

Mit 46 Jahren ist die gebürtige Ostdeutsche Sahra Wagenknecht die jüngere der beiden neuen Vorsitzenden. Sie ist auch die bekanntere, da sie wegen ihres rhetorischen Talents gerne in Talkshows eingeladen wird. In der Tat ist Wagenknecht eine begnadete Rednerin, sie formuliert in freier Rede druckreif und verständlich. Auch als Autorin von einem knappen Dutzend politischer Sachbücher machte sich die Volkswirtin einen Namen. Ob dieses Talent ausreicht, um eine Fraktion zu führen, in der viele unterschiedliche Gruppen miteinander konkurrieren, zweifeln viele an. Ihr Interesse am Klein-Klein einer Fraktion hielt sich bisher in Grenzen. Dafür errang die ehemalige Wortführerin der Parteigruppierung „Kommunistische Plattform“ in der Griechenland-Krise eine gewisse Popularität. So forderte sie unter anderem eine Kehrtwende in der europäischen Finanzpolitik, die sogar den Euro in Frage stellt. Mit dieser Position stieß sie bei Gregor Gysi auf heftige Ablehnung. Kein Thema mehr ist in der Linksfraktion mittlerweile der Umstand, dass Wagenknecht mit Oskar Lafontaine verheiratet ist, dem größten Feind ihres jetzigen Ko-Vorsitzenden Bartsch. Deren Feindschaft sei „beerdigt“ worden, heißt es.

Bartsch für Rot-Rot-Grün

Wer dem 57-Jährigen Dietmar Bartsch aus Stralsund nicht gewogen ist, nennt ihn „Apparatschik“. Er ist einer, der im System der Linkspartei groß geworden ist. Bartsch war Schatzmeister, Bundesgeschäftsführer und Wahlkampfmanager. Der 1990 in Moskau promovierte Ökonom ist einer, der mit den Sozialdemokraten kann. Das ist im Lager der radikalen Linken vielen suspekt. Bartsch gilt als Kopf der ostdeutschen Reformer, die mit Pragmatismus zu Werke gehen und strategisch-machtpolitisch denken. Geprägt haben Bartsch auch Niederlagen: 2010 ließ ihn Gregor Gysi auf Betreiben Lafontaines fallen, weil er angeblich eine Intrige gegen Lafontaine angezettelt hatte. 2012 scheiterte er bei der Wahl des Parteivorsitzenden am Überraschungskandidaten Bernd Riexinger. Zuletzt musste sich Bartsch gegen Vorwürfe wehren, er habe einen Mitarbeiter der Parteizentrale dazu aufgefordert, den Vorstand in drei Kategorien einzuteilen: Z für zuverlässig, U für unabhängig und L für „Lafodödel“ – also die Anhänger Lafontaines. Geschadet hat ihm diese Peinlichkeit bei der Wahl zum Fraktionschef offenbar nicht.