Mit Godehard Friedel geht eine Ära in der Lungenfachklinik auf der Gerlinger Schillerhöhe zu Ende. Der Mediziner hat 30 Jahre dort gewirkt, die letzten 13 Jahre als Chefarzt der Thoraxchirurgie. Ein Gespräch über Innovationen, schlaflose Nächte – und Operationen.

Ditzingen - Einst war in dem Gebäude auf der Schillerhöhe ein Sanatorium eingerichtet. Mit den Jahren hat sich die Heilanstalt grundlegend gewandelt. Heute gehört sie zu den bundesweit führenden Lungenkliniken. Nun steht das Haus, das inzwischen zum Robert-Bosch-Krankenhaus (RBK) gehört, vor einer großen Veränderung. Der langjährige Chefarzt geht. Das Herzstück der Klinik, die Thoraxchirurgie, wird auf den Burgholzhof verlagert.

 

Herr Friedel, Sie gehen, der Umzug wird publik, Ihr ehemaliger Fachbereich wächst.

Ja, es ist aber schon ein lachendes und weinendes Auge dabei. Ich war 30 Jahre auf der Schillerhöhe, wir haben gezeigt, dass es etwas Besonderes ist, dort zu arbeiten. Die Entscheidung des Zusammenschlusses mit dem Robert-Bosch-Krankenhaus vor 13, 14 Jahren war vollkommen richtig. Wir haben seitdem auf der Schillerhöhe interdisziplinär gearbeitet, das musste man eben planen. Obwohl es in Notfällen stets auch ging. Aus ökonomischen Gründen ist es sicher sinnvoll, den Standort zu verlegen. Aber die familiäre Struktur wird es so wohl nicht mehr geben. Das wird manchen schon fehlen. Mir hat die Arbeit Spaß gemacht . . .

Aber?

Die letzten drei Jahre waren nicht so toll. Die Ökonomisierung des Gesundheitswesens ist belastend. Ich glaube, langsam muss und wird man eine ethische Diskussion darüber zu führen haben, wie viel Wirtschaft man im Gesundheitswesen zulassen kann.

Die Schillerhöhe wurde spätestens 1987 bekannt, als dort europaweit der Lungenflügel transplantiert wurde.

Der damalige Chefarzt Professor Heikki Toomes hat Innovationen immer gefördert. Wir waren in Toronto, New York, Montreal. Toomes kam aus der Thoraxklinik in Heidelberg. Diese und die Schillerhöhe waren sicher die führenden Kliniken in Deutschland und zum Teil auch in Europa.

Vor bald vier Jahren setzte die Schillerhöhe dann als erstes Krankenhaus in Deutschland die 3 D-Kamera bei Eingriffen an der Lunge ein. Inzwischen profitiert die Thoraxchirurgie gar von einem OP-Roboter.

In Bezug auf die Technik waren wir immer auf dem neuesten Stand. Wir haben selbst Instrumente und Verfahren entwickelt, waren eine der ersten, die mit zwei Monitoren operiert haben, damit jeder alles sehen konnte. Erst die 3-D-Technik, jetzt der Roboter. Es machte den Ruf der Klinik aus, dass dort Innovationen immer sofort angegangen werden, ohne dass hierarchische Strukturen dagegen sprachen; etwas also nicht gemacht worden wäre, wenn es den Chef nicht interessiert hätte. Neue Verfahren wurden immer befürwortet.

Wie kamen Sie selbst zur Thoraxchirurgie?

Man weiß, man will Chirurg werden. In welche Richtung sich das dann entwickelt, hängt manchmal von merkwürdigen Zufällen ab. Ich habe meine Ausbildung hauptsächlich in Heidelberg gemacht. Mein damaliger Oberarzt wurde Chef am Katharinenhospital. Ich wollte als Facharzt mit ihm wechseln. Doch dafür sollte ich zunächst ein Jahr auf die Schillerhöhe gehen. Es gab damals ein entsprechendes Abkommen mit dem Katharinenhospital. Es hat mir dort großen Spaß gemacht.

Sie hätten an ein großes Klinikum wechseln können. Sie blieben aber in Gerlingen.

Der Grund war die Offenheit für Innovationen. Auf der Schillerhöhe konnte ich etwas entwickeln, ich konnte forschen und wurde darin gefördert. Und ich musste mich nicht wie in einem großen Haus mit vielen anderen um die Ressourcen streiten.

Was ist Ihnen aus dieser Zeit eindrücklich in Erinnerung geblieben?

Die Thoraxchirurgen bildeten eine sehr kleine Gemeinde, man hat sich gekannt, in Europa und der Welt. Ich bin bei Kongressen aufgetreten und habe Neues vortragen dürfen. Außerdem traten die Egoismen in den Hintergrund, man konnte mit Amerikanern, Franzosen und Engländern offen reden. Das war eine neue Erfahrung, so kommunikativ miteinander umzugehen.

Gleichwohl führte die Thoraxchirurgie lange ein Nischendasein in der Medizin.

Ja, die Thoraxchirurgie war ein Nebenfach. Es gab etwa zehn Thoraxkliniken in Deutschland, in allen anderen Kliniken wurde das quasi nebenher gemacht. Der Thoraxchirurg war in den großen allgemeinen und auch herzchirurgischen Kliniken nicht immer einer der Angesehensten.

Das hat Sie vermutlich geärgert.

Ja. Aber wir emanzipierten uns. Förderer war Heikki Toomes, der etwa dafür warb, dass wir einen eigenen Facharzt bekamen.

Heute ist die Thoraxchirurgie viel anerkannter – weil auch die Spezialisierung bei den Ärzten zunimmt?

Ja, den Universalchirurgen gibt es nicht mehr. Wir haben uns früher mit dem Bauch- und Herzchirurgen darüber gestritten, ob man Spezialist für Thoraxchirurgie sein muss. Beide sagten, das könnten sie auch. Ich habe auch eine Ausbildung als Bauchchirurg gemacht, ich könnte auch eine Galle operieren, wenn es nötig ist. Aber ich möchte nicht von mir an der Galle operiert werden. Auch der Anspruch der Patienten nimmt zu.

Inzwischen hat nahezu jede Klinik ihren Thoraxchirurgen. Manche von diesen Medizinern haben bei Ihnen gelernt. Sie alle spezialisieren sich weiter. Was war Ihr Schwerpunkt?

Die Forschung, die Thorakoskopie, also die Spiegelung des Brustraums, und natürlich die Onkologie – die Behandlung von fortgeschrittenen Lungenkarzinomen mit interdisziplinärer OP-Technik. Einerseits ist es deshalb gut, dass der Herz- oder Bauchchirurg im Haus ist. Wir haben auch viel mit den plastischen Chirurgen von Marienhospital, mit der Neuroorthopädie in Markgröningen und der Kinder- und Jugendlichen-onkologie im Olgahospital gearbeitet, wenn Kinder beispielsweise Metastasen von Knochenkrebs in der Lunge hatten.

So bitter das ist, der Thoraxchirurg wird mehr gebraucht denn je, denn die Fallzahlen nehmen zu. Woran liegt das?

Schwierig. Rauchen nimmt ab, aber es gibt auch andere Einflüsse. Wir machen so viele Mutationen in unserem Leben durch. Je älter wir werden, desto schlechter werden die Reparaturvorgänge, desto mehr nimmt der Krebs zu. Bei einem Kind regelt der Köper das selbst. Es liegt am Körper und hängt davon ab, was wir sonst machen. Umwelteinflüsse sind sicher mitverantwortlich, aber ob es vom Mobiltelefon kommt, vom Feinstaub oder von Wlan-Netzen – das kann keiner sagen. Klar, für jeden Stuttgarter, der sich im Sommer im Kessel aufhält und nach Gerlingen auf die Schillerhöhe kommt, ist es dort einfacher zu atmen. Andererseits: Wir werden älter und unsere Gesundheit ist besser als früher.

Sie standen häufig am OP-Tisch. Gibt es ein Erlebnis, das Ihnen aus all den Jahren in Erinnerung blieb?

Am OP-Tisch zwischen Lebensqualität und Radikalität zu entscheiden, das war immer das Schwierigste. Bei Kindern ist das nochmals schwieriger: einerseits will man gerne das Leben verlängern, das kann man aber nur, wenn man den Tumor ganz entfernt. Andererseits ist das auch gefährlich. Gott sei Dank habe ich nie erlebt, dass ein Kind im OP stirbt. Aber es kann passieren. Das waren Herausforderungen. Nachts hat man davor nicht ganz so gut geschlafen, aber es war auch eine wahnsinnige Befriedigung, wenn man es hinbekommen hat und dann gesehen hat, wie schnell die Kinder und Jugendlichen das wegsteckten.