Schulleiter aus Brasilien informieren sich am JKG über Ganztags-Unterricht am Gymnasium.

Weil der Stadt - Wie ist das bei Euch eigentlich? Wie bei uns? Schulen gibt es auf der ganzen Welt, Schüler auch – aber wie sie unterrichtet werden, das unterscheidet sich von Land zu Land. Und erst recht von Kontinent zu Kontinent.

 

„Sind Sie müde?“, will der Rolf Bayer, der Leiter des Weil der Städter Gymnasiums wissen. Denn seine beiden Amtskolleginnen, mit denen er sich an diesem Vormittag austauscht, kommen aus Brasilien. Celina Cattini und Silmara Casadei leiten das „Colégio Visconde de Porto Seguro“, die deutsche Auslandsschule in São Paulo. „No, no, no“, sagen sie, lachen und freuen sich. Endlich wieder an einer richtigen Schule, wie daheim in Brasilien.

Eine Wochen lang sind die beiden Lehrerinnen quer durch Deutschland gereist, haben sich in Betrieben die duale Ausbildung angeschaut, brasilianische Studenten in Trier getroffen, die Bildungsmesse Didacta in Stuttgart besucht.

Brasilien ist im Umbruch

Und jetzt sind sie im Weiler Johannes-Kepler-Gymnasium (JKG). „In Brasilien ist die Bildungslandschaft momentan im Umbruch“, erklärt Matthias Lorenz, der deutsche Mathe- und Physiklehrer, der momentan am Colégio Visconde in São Paulo unterrichtet und die beiden Direktorinnen auf ihrer Deutschlandtour begleitet.

Vor allem das Thema Ganztagsunterricht interessiert sie. Noch gehen ihre Schüler halbtags zur Schule – aber auch in dem südamerikanischen Land wollen immer mehr Mütter arbeiten, der Wunsch nach Ganztagsbetreuung steigt daher auch hier.

Wie so etwas funktionieren kann, das studieren Celina Cattini und Silmara Casadei am Beispiel des Weiler Gymnasiums. Denn hier sei man „Modellschule“, berichtet der Leiter Rolf Bayer stolz. Seit dem Schuljahr 2012/2013 bietet das JKG einen Ganztagsunterricht an – und hat richtige Pionierarbeit auf diesem Gebiet geleistet. „Als wir damals begonnen haben, uns mit dem Thema Ganztag zu beschäftigen, hatte keine andere Schule ein Modell, wie man das organisatorisch in Griff bekommen kann“, erklärt Claudia Winter-Baker, die Abteilungsleiterin am JKG. Sie und ihre Kollegen aus dem Schulleitungsteam haben daraufhin ein Organisationsmodell entwickelt.

„Offene Ganztagsschule“ ist dabei das besondere Stichwort – alle Eltern können dabei für ihre Kinder individuell über ein Online-System auswählen, an welchen Nachmittagen ihre Kinder wie lange an der Schule betreut werden sollen. Ob nur eine Stunde am Dienstagnachmittag, oder an vier Tagen pro Woche bis 15.30 Uhr. Änderungen sind jederzeit möglich.

Das Online-System wurde in Weil der Stadt entwickelt

Das Online-System meldet den betreuenden Lehrern und Jugendbegleitern dann, welcher Schüler wann wo sein sollte. „Viele Schulleiter aus Baden-Württemberg haben sich bereits über unser Modell informiert“, berichtet der Weil der Städter Direktor Rolf Bayer.

Und jetzt eben zwei Kolleginen aus dem fernen Brasilien. „Wie lange sind die Kinder hier nachmittags an der Schule?“, wollen sie zum Beispiel wissen. „Wie sieht’s aus mit der Inklusion von behinderten Kindern?“ Rolf Bayer berichtet von sechs Schülern, die derzeit am JKG einen Nachteilsausgleich bekommen. Ein großes Thema sei auch ADHS, die Aufmerksamkeitsdefizitstörung. Da nicken die Kolleginnen aus Brasilien, das kennen sie, besonders Celina Cattini. Sie ist die Direktorin für „Erziehung“, ihr unterstehen also etwa 60 Schulpsychologen, die sich um die schwierigeren Fälle kümmern. „Häufig haben wir mit Lernschwierigkeiten zu tun“, lässt sie ihren Kollegen Matthias Lorenz aus dem Portugiesischen übersetzen. „Wir führen aber auch viele Elterngespräche. Oft melden sich die Eltern, weil ihnen die Unterrichtsinhalte zu rechts oder zu links sind.“

Auch Silmara Casadei, die Direktorin für „Pädagogik“, bestätigt: „Die Eltern sind manchmal schwieriger als die Schüler.“ Da nickt der Weil der Städter Rolf Bayer wiederum, auch er muss häufig kritischen Nachfragen der Eltern zu Unterrichtsinhalten beantworten. Denn die Schulsysteme, in denen sie arbeiten, sind unterschiedlich – die Herausforderungen aber oft die gleichen.

Das Colégio Visconde de Porto Seguro

Mit rund 10 000 Schülern ist das „Colégio Visconde de Porto Seguro“ die größte deutsche Auslandsschule. An insgesamt fünf Standorten in São Paulo und Valinhos unterrichten etwa 750 Lehrer und 60 Psychologen. Es gibt zwei Abteilungen: Den brasilianischen Zweig und den bilingualen Zweig, in dem auf deutsch, portugiesisch und englisch unterrichtet wird.

1878 hat der damalige deutsche Honorarkonsul Bernhard Staudigel die deutsche Schule in São Paulo gegründet. Seitdem ist sie stetig gewachsen und mittlerweile in eine Stiftung umgewandelt worden. Unter den Schülern befand sich auch Silvia Sommerlath, die heutige Königin von Schweden, die eine brasilianische Mutter hat und in São Paulo aufgewachsen ist.