Der kleine Kochbuchverlag behauptet sich seit 100 Jahren gegen die große Konkurrenz.

Weil der Stadt - Simone Graff backt gerne Obstkuchen und hat meistens Miso im Kühlschrank. Zur japanischen Würzpaste greift mit Vorliebe auch ihre Schwester Julia, die ohnehin auf raffinierte Kreationen steht, wie etwa Melonensalat mit Feta. Die Chefinnen des Hädecke-Verlags in Weil der Stadt schwärmen aber genauso von den Linsen ihrer Mutter. So verschieden ihre Gaumenfreuden sind, so vielseitig ist auch ihr Kochbuchprogramm mit 120 Titeln. Der Familienbetrieb bietet der großen Konkurrenz erfolgreich die Stirn.

 

Jetzt gab es dafür sogar den Deutschen Verlagspreis. Neben dem Kookbooks-Verlag aus Berlin und dem Verlag Spector-Books aus Leipzig wurden die Weil der Städter am Wochenende für „besondere Qualität, Nachhaltigkeit und Innovationskraft“ ausgezeichnet.

„Wir spüren Trends auf“

Aber wie behauptet man sich überhaupt so erfolgreich auf diesem schwierigen Markt? „Wir spüren Trends auf und sind uns nicht zu schade, ein Nischenthema zu besetzen“, sagt Simone Graff. Die Lust, Neues zu entdecken, wurde ihr und ihrer Schwester in die Wiege gelegt. Mutter Monika, Mo Graff, wie sie genannt wird, stellte sich als Kind vor, die Apfelbäume im Garten seien Urwaldriesen. Und dass das Bächlein, das vorbeifloss, ein wilder Strom sei – wie der Amazonas.

„Ich war in das Land Brasilien verliebt“, erinnert sich die 77-Jährige. Die einstige Cheflektorin ist heute bei vielen Texten noch die letzte Instanz, hat selbst 20 Kochbücher geschrieben. Darunter einige Bestseller wie ein aufwendiges Weihnachtsbackbuch. Am meisten liegen ihr die drei Brasilien-Bücher am Herzen. In „Brasilianisch Feiern“ stellt sie die Menschen vor, die sie getroffen hat, und präsentiert neben den exotisch anmutenden Rezepten mit scharfen Soßen, Cashewkernen, Bananen und Kokosmilch auch eine CD mit brasilianischen Klängen, die hinten auf dem Buchdeckel beigefügt ist.

Im Verlag ist die Lebensfreude zu spüren

Essen und Trinken hat für die Graffs immer auch mit Feiern zu tun. Die Lebensfreude ist im Verlag zu spüren. Dank der Seele des Betriebs, der mit einer Halbtagsangestellten auskommt: Mo. Dass man sich auf dem Markt behaupten konnte und noch nicht von einem großen Verlag geschluckt worden ist, hat die Familie auch Mos Fantasie zu verdanken.

Dabei gehen Simone und Julia Graff, die seit fünf Jahren zusammen mit ihrem Vater Joachim „Jo“ Graff den Verlag leiten, schon mal ins Risiko. Etwa beim Thema Streetfood, als der Schnellimbiss noch nicht in aller Munde war – Trends aufspüren eben. Über 60 Originalrezepte aus kleinen Straßenküchen in Vietnam finden sich in einem der Hädecke-Werke, darunter die raffinierte Phô-Suppe. Mit einer Brühe aus einem Hähnchenschenkel, einer Rinderbeinscheibe, Ingwer, Fischsoße, Minze, Koriander, Lauch, Basilikum, Chili, Limette, Sojasprossen und mit Reisnudeln. Auch Thai-Streetfood gibt es in Buchform, zudem wird die New Yorker Szene beleuchtet. Und freilich, hier geht es um leckere Burger.

„Wir machen hin und wieder etwas, an das andere Verlage gar nicht denken“, erklärt Julia Graff, „weil sie annehmen, dass sie damit keine 10 000 Bücher verkaufen.“ Doch damit landen die Graffs mitunter Volltreffer – wie bei Streetfood. In zahlreichen Städten gibt es inzwischen Streetfood-Festivals. Die 43-Jährige, die in Musikbands spielt, läutete bei Hädecke quasi ein neues Zeitalter ein. In den sozialen Kanälen hat sie den Verlag vernetzt.

Innovation wird bei Hädecke groß geschrieben

Fetzige Musik und einen geballten Wortwitz hat Julia Graff in der aus England übernommenen Lizenzausgabe für die deutschen Leser aufbereitet. „Killing me Soufflé“ – nach dem internationalen Hit „Killing me softly“ – lautet der Titel. Im Buch werden Refrains für „90 rockende Rezepte“ verballhornt. Zu jedem Gaumenschmeichler gibt es den passenden Ohrwurm. Kochen wird zum Event, zum musikalischen Genusshappening. Julia Graff greift zur Gitarre und singt in Buchhandlungen, rezitiert zusammen mit ihrer Schwester aus Kochbüchern. Den 100. Geburtstag des Verlags feiern sie mit einer Lesetour durch die Republik. Vom irischen Folk ließ sich Simone Graff inspirieren und entdeckte dabei auch ihre Liebe für die Grüne Insel. Als die Autorin Daniela Brack ein Buch über irischen Whiskey vorschlug, war die Verlegerin sofort begeistert – auch wegen des Brexits: Mal sehen, was daraus wird. „Vielleicht werden manche noch froh sein, wenn sie auf irischen Stoff zurückgreifen können“, meint sie schmunzelnd.

Innovativ ist man bei Hädecke schon seit Langem. Notgedrungen, der Buchhandel hat schon bessere Zeiten gesehen. „Viele holen sich die Rezepturen im Internet, greifen auf Apps zurück oder schauen Kochsendungen“, sagt Simone Graff. Es gibt Handlungsbedarf: Bei Hädecke hält man nach Medienpartnern Ausschau, mit denen man kooperieren kann, um das Programm noch besser zu vermarkten. Aber ohne die Eigenständigkeit zu verlieren. Immerhin hat der Verlag seit Langem ein verlässliches Standbein, einen legendären Longseller: das „Kiehnle-Kochbuch“. Das Standardwerk der schwäbischen Küche wurde schon mehr als eine Million mal verkauft.

Ein unglaublicher Erfolg

Um das Kiehnle-Vermächtnis kümmerte sich zuletzt Monika Graff und brachte weitere Ausgaben heraus. Sie kocht ebenfalls virtuos – auch Linsen. Für das Aroma verwendet sie nicht nur einen Essig. Nein, neben einem Weinessig nimmt sie dunklen Balsamico und fügt einen Schuss Rotwein hinzu. Kein Wunder, dass alle von ihren Linsen schwärmen.

Auf ihrem Know-how und auf den Lorbeeren ruhen sich die Graffs indes nicht aus. Neben dem Deutschen Verlagspreis gab es auch den Gourmand Cookbook Award 2019 als bester europäischer Kochbuchverlag, den die Familie Cointreau in Paris ins Leben rief. „Das ist ein unglaublicher Erfolg für uns“, sagt Simone Graff. Worauf das Lesepublikum künftig gespannt sein darf, bleibt vorerst allerdings ein Geheimnis.