Das Jahr 2022 hat den Remstal-Wengertern neben respektablen Auszeichnungen auch eine endlich mal wieder deutlich über dem Durchschnitt liegende Erntemenge beschert. Mehr Sorge als die Vermarktungschancen bereitet den Erzeugern allerdings das drohende Aus durch Brüssel.

Rems-Murr: Sascha Schmierer (sas)

Für die Wengerter in Württemberg war 2022 ein erfreuliches Jahr: Nach qualitativ zwar durchaus ordentlichen, mengenmäßig aber eher mageren Ernten der vergangenen Jahre konnten die Keller im Herbst endlich mal wieder gefüllt werden. Trotz eines extrem heißen Sommers lag die Ausbeute der Lese in Württemberg bei etwa einer Million Hektoliter – und damit nicht nur 20 Prozent über dem Vorjahr, sondern auch deutlich überm Zehn-Jahres-Schnitt.

 

Für die unter den Lücken im Sortiment leidenden Weinbaubetriebe im Ländle war das Ergebnis ein Segen. Zwar hatte es lokal begrenzt durchaus kleinere Hitzeschäden gegeben, auch Gewitter verhagelten dem ein oder anderen Weingut die Bilanz. Doch unterm Strich wirkte sich die Trockenheit eher positiv aus: Wichtiger als der Wassermangel und die Sonnenbrandgefahr war, dass die Reben kaum unter Schädlingsdruck litten und Pilzkrankheiten wie Mehltau und Peronospora glücklicherweise zur Abwechslung mal kein Thema waren.

Der Trollinger macht noch immer ein Viertel aller Erträge aus

Interessant ist beim Blick auf die Erntestatistik, dass für den Weinbau in Württemberg nach wie vor der Trollinger steht. Die oft geschmähte Traditionssorte macht mit 220 000 Hektolitern immer noch fast ein Viertel aller Erträge aus, der als modernes Aushängeschild geltende Lemberger liegt mit 170 000 Hektolitern deutlich dahinter. Und obwohl den Kellereien im Verkauf immer öfter der Weißwein ausgeht, stehen noch immer auf mehr als 70 Prozent der Anbaufläche rote Rebsorten – der Mangel an Weißwein ist zumindest im Rotweinland Württemberg hausgemacht.

Mehr als die Frage nach den Vermarktungschancen für einzelne Rebsorten allerdings treibt die Branche die Sorge um, ob es mit dem Weinbau überhaupt weitergehen kann. Auslöser ist ein Papier, das in Brüssel auf dem Tisch liegt. Die neue EU-Verordnung sieht nicht nur pauschal eine Halbierung der in den Rebhängen ausgebrachten Spritzmittel bis zum Jahr 2030 vor. In als ökologisch besonders sensibel eingestuften Gebieten wäre laut dem Entwurf gar kein Pflanzenschutz mehr erlaubt.

Das Spritzmittelverbot würde sehr viele Weinberge zur Brache machen

Aus Sicht des deutschen Weinbauverbands ist das drohende Anwendungsverbot deshalb ein Todesurteil für die bisher bekannte Vielfalt. „An der Mosel würde die Weinerzeugung um circa 90 Prozent zurückgehen, in Baden und Württemberg sprechen wir von einem Drittel der Rebfläche“, umreißt Präsident Klaus Schneider das Ausmaß der geplanten Verordnung. Er spricht von einer drohenden Stilllegung des Großteils der deutschen Rebflächen, gerade unter Weinfreunden namhafte Lagen würden unumkehrbar ausgelöscht. „Die Erfahrung zeigt, dass einmal aufgegebene Weinberge nie mehr in die Bewirtschaftung kommen“, warnt Schneider vor einem verordneten Kahlschlag vor allem in den ohnehin nicht wirtschaftlichen Steillagen. Weil es ohne Pflanzenschutz im Weinbau keinen Ertrag gebe, stünden viele Betriebe vor dem Aus.

„Allein bei uns liegen 500 Hektar Rebfläche komplett in Schutzgebieten. Die Verordnung würde – wenn in der vorliegenden Fassung verabschiedet – nicht nur unsere Kulturlandschaft gefährden, sondern auch das Aushängeschild der jahrhundertealten Weinbautradition“, sagt der Weinstädter Oberbürgermeister Michael Scharmann. Treffen würde ein Verbot freilich nicht nur den Weinbau. An Rems und Murr liegen knapp 40 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen in einem Landschaftsschutzgebiet.

Allein an Rems und Murr wären 29 000 Hektar betroffen

Der im Waiblinger Landratsamt für den Agrarbereich verantwortliche Michael Stuber beziffert die von einem Aus bedrohte Fläche mit gut 29 000 Hektar. Aus seiner Sicht würde die EU-Verordnung den ohnehin schon rasanten Strukturwandel in der Landwirtschaft noch einmal deutlich verschärfen. „Im Jahr 1979 gab es an Rems und Murr mehr als 4000 landwirtschaftliche Betriebe – heute ist weniger als ein Viertel übrig“, schildert Stuber die Entwicklung.

Aus Sicht des Landkreises käme die EU-Verordnung deshalb einer Katastrophe gleich. „Ohne Landwirtschaft, Weinbau und qualitativ hochwertige Lebensmittel ist unser Landkreis nicht mehr lebenswert“, stellte Landrat Richard Sigel im Herbst fest – und zeichnete ein düsteres Bild von mit Brombeerhecken überwucherten Weinberg-Brachen ohne jeden touristischen Reiz und ohne die für Trockenmauern so typische Artenvielfalt.

Auch Bio-Betriebe könnten noch nicht mal Backpulver ausbringen

Betroffen von einer Einschränkung des Pflanzenschutzes wären übrigens nicht nur konventionell wirtschaftende Betriebe, sondern auch Bio-Weingüter. Denn zur Pflege der Rebstöcke und zur Bekämpfung von Pilzkrankheiten werden Schwefel, Kupfer oder auch Backpulver eingesetzt. Im November gab es in der Remstalkellerei deshalb sogar einen von der lokalen CDU angeregten Weinbau-Gipfel, der in einer Protestnote gen Brüssel mündete. Teil nahmen neben Weinkönigin Carolin Häußer mehr als 100 prominente Vertreter – von Gert Aldinger und Markus Heid aus Fellbach bis zu Aaron Schwegler aus Korb las sich die Teilnehmerliste wie ein Empfehlungsguide für die besten Tropfen der Region.

Ins Rampenlicht treten durften das Remstal und seine Weinmacher allerdings nicht nur bei der Kritik, sondern auch beim Lob. Jens Zimmerle aus Korb ist 2022 das Kunststück gelungen, beim Deutsche Rotweinpreis gleich dreimal auf dem Siegertreppchen zu stehen. Den ersten Platz gab es für ihn in der Kategorie der Neuzüchtungen für einen 2019 in die Flasche gebrachten Zweigelt, den zweiten Platz belegte er mit dem bereits 2018 gekelterten Bruderwein. Der Doppelsieg darf schon deshalb als eine Sensation gelten, weil die 1500 zum Wettbewerb angemeldeten Weine von den Juroren blind verkostet werden – was im Glas ist, wird erst enthüllt, wenn die Entscheidung über Sieg und Treppchen bereits feststeht.

Doch Zimmerle setzte noch einen drauf. Bei den Cuvées, einer wahrlich hart umkämpften Konkurrenz, heimste er mit seinem aus Cabernet Sauvignon und Merlot bestehenden „Age 2018“ den dritten Preis ein. Fast ebenso schön wie die Story um Jens Zimmerle und seinen Wein ist der Doppelerfolg beim Lemberger für den Fellbacher Kappeberg: Auf den ersten Platz kamen in der Rennomier-Kategorie die Fellbacher Weingärtner mit einem im Barriquefass ausgebauten Kraftpaket von 2019.

Den dritten Platz sicherten sich die beiden Brüder Matthias und Hansjörg Aldinger mit einem Eleganz atmenden Lemberger von 2020. Der Witz: Die Rebzeilen der beiden siegreichen Weinberge liegen – trotz des so unterschiedlichen Charakters – direkt untereinander.