Die Stadt Weingarten im Kreis Ravensburg benennt den Campus der Pädagogischen Hochschule nach Widerstandskämpfern und Opfern des NS-Regimes. Die Arbeit des Denkstättenkuratorium NS Dokumentation Oberschwaben findet bundesweit Anerkennung.

Weingarten - Viele Kämpfer gegen das NS-Regime kamen aus dem Südwesten. Wer künftig an der Pädagogischen Hochschule Weingarten im Kreis Ravensburg studiert, wird an dieser Tatsache nicht vorbei gehen können. Zum 70. Jahrestag des Ende des Zweiten Weltkriegs beginnt die oberschwäbische Stadt zusammen mit der Erzdiözese Rottenburg und der Hochschulregion Ravensburg-Weingarten damit, den Hochschulcampus in eine einzige große Gedenkstätte zu verwandeln.

 

An diesem Freitag sollen zunächst vier Häuser enthüllt werden, die deutschen Widerstandskämpfern gegen das NS-Regime gewidmet sind. Möglich gemacht hat das das Denkstättenkuratorium NS Dokumentation Oberschwaben, das sich seit Jahren der Erinnerungskultur an die NS-Verbrechen in Oberschwaben widmet, und weitere Gesellschaften, die sich um das Andenken von Widerstandskämpfern kümmern.

85 Gedenktafeln, die an NS-Verbrechen wie auch an Widerstandskämpfer im Dritten Reich erinnern, hat das Denkstättenkuratorium um den Weingartener Professor Wolfgang Marcus bereits enthüllt. Die jüngste Tafel war am 27. April in der Altstadt von Bad Waldsee der Öffentlichkeit präsentiert worden – just an dem Tag, an dem vor 70 Jahren die Stadt von den Alliierten befreit worden war.

Todesmärsche vom KZ Natzweiler nach Oberschwaben

Erinnert aber werden sollte vordergründig nicht an das Ende des NS-Regimes, sondern an die Todesmärsche vom elsässischen KZ Natzweiler und seiner Außenlager durch den Südwesten, bei dem etwa 700 Menschen auch durch Bad Waldsee getrieben worden waren. Stellvertretend genannt werden die beiden Franzosen Lucien Monjoin und Auguste Bonal, die wegen Sabotage bei Peugeot verhaftet wurden und umkamen sowie an die deutschen Juden Karl Panhans und Julius Spiegel.

Kurz zuvor war in Aulendorf nahe der Buchhandlung Rieck ebenfalls eine Tafel angebracht worden. Die Buchhandlung wurde mit ihrem aufklärerischen Literaturangebot zu einem Hort des inneren Widerstands und war auch von Sophie Scholl immer wieder aufgesucht worden. In Ulm hatte OB Ivo Gönner am Weinhof eine Tafel zur Erinnerung an die sieben Gedenkorte der Stadt angebracht.

Der Weingartener Hochschulcampus soll nun den Namen der Weißen Rose tragen. Der Münchner Widerstandsgruppe gehörten auch die in Ulm aufgewachsenen Geschwister Hans (1918-1943) und Sophie Scholl (1921-1943) an. Auf dem Weingartener Campus wird ein Wohnheim nach Eugen Bolz (1881-1945) benannt. Der aus Rottenburg stammende Zentrumspolitiker war der letzte württembergische Staatspräsident und gehörte dem Widerstandskreis um Carl Friedrich Goerdeler (1884-1945) an. Bolz war nach dem am 20. Juli 1944 gescheiterten Stauffenberg-Attentat verhaftet und am 23. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee ermordet worden.

Tafeln erinnern an NS-Opfer und Widerstandskämpfer

Drei Häuser sollen nach Judith Stein (1891-1942), Alfred Delp (1907-1945) und Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) benannt werden. Die zum Katholizismus konvertierte Jüdin Judith Stein – von Papst Johannes Paul II. 1998 heilig gesprochen – war am 9. August 1945 im Konzentrationslager Ausschwitz-Birkenau in der Gaskammer umgekommen.

Der in Mannheim geborene katholische Geistliche Alfred Delp gehörte dem Kreisauer Kreis um Helmuth James Graf von Moltke an und war nach dem 20. Juli 1944 verhaftet und am 2. Februar 1945 in Plötzensee am Galgen hingerichtet worden. Der evangelische Reformtheologe Dietrich Bonhoeffer wirkte zehn Jahre lang im Widerstand gegen Hitler, wurde nach dem Stauffenberg-Attentat festgenommen und starb am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg am Galgen.

Am 20. Juli, dem Jahrestag des Stauffenberg-Attentats, werden auf dem Campus Weingarten acht weitere Häuser nach NS-Opfern und Widerstandskämpfern getauft. Gewürdigt werden der Hitler-Attentäter Georg Elser aus Königsbronn, der SPD-Politiker Fridolin Endraß aus Friedrichshafen und Paul Grüninger, ein Schweizer Polizeihauptmann aus St. Gallen, der Tausende Flüchtlinge vor der Nazi-Diktatur gerettet hatte.

Gedenkstätten finden bundesweit Anerkennung

Ferner wird den Juden Naphtali Berlinger aus Buttenhausen bei Münsingen, Hans-David Elkan aus Hohenems in Vorarlberg sowie Hermann und Barbara Levinger aus Überlingen ebenso ein Andenken bewahrt wie Franz Klauser, einem verfolgten und ermordeten Homosexuellen aus Überlingen. Im Haus Ummenwinkel wird der vom NS-Regime verfolgten und ermordeten Sinti und Roma gedacht. Aus dem Ravensburger Ummenwinkel wurden 29 Sinti und Roma verfolgt und ermordet. Damals wie heute lebten dort Sinti und Roma.

Das Denkstättenkuratorium betreibt Erinnerungsarbeit, die sich auf den Widerstand in einer Region konzentriert. Darüber hinaus befasse man sich mit dem studentischen Widerstand, sagt Professor Marcus. Letztlich aber sei alles als „präventive Arbeit gegen den Rechtsextremismus“ zu verstehen. Dies spiegele sich auch in den Widmungshäusern wieder.

Das Wirken von Marcus und seiner Mitstreiter findet weit über die Grenzen Baden-Württembergs hinaus Anerkennung. Für Professor Johannes Tuchel, den Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, leisten die Oberschwaben eine „unglaublich intensive Arbeit, die als vorbildlich für andere Regionen in der Bundesrepublik angesehen werden kann.“