Fellbachs Ex-Kämmerer Karl-Heinz Föll hat dreieinhalb Jahre in Weissach finanzielle Altlasten aufgearbeitet und eine Vielzahl von Jahresabschlüssen nachbereitet.

Weissach - Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss. Im Ruhestand kann er sich beispielsweise im Sommer im Freibad die Sonne auf den Pelz scheinen lassen, im Biergarten ein Weizen süffeln, auf den Tennisplatz gehen oder eine Radtour unternehmen.

 

Oder er geht, selbst mit Anfang 70, noch jeden Tag einer beruflichen Herkulesaufgabe nach. So jedenfalls empfand der in Schmiden lebende Karl-Heinz Föll hin und wieder seine Tätigkeit in der 7500-Einwohner-Gemeinde Weissach, die er im November 2015 aufnahm und demnächst tatsächlich beendet ist.

Dabei ist Föll, mittlerweile 73-jährig, längst in Pension. 2003 ging der Kämmerer der Stadt Fellbach in den vorgezogenen Ruhestand. „Ich will endlich in Ruhe die Zeitung lesen, mich in Politik und Kultur vertiefen, nicht nur Headlines lesen“, gab er damals in einem Gespräch mit unserer Redaktion als Zielrichtung vor.

Nun, hat nicht so ganz geklappt. Denn Föll ist unverzichtbar – jedenfalls für Kommunen, bei denen es drunter und drüber geht und fiskalische Altlasten intensiv aufgearbeitet werden müssen. Vielleicht war es auch ein Fehler, dass er zum Abschied noch erklärt hatte: „Wenn Not am Mann ist, stehe ich zur Verfügung.“

Das Angebot hatte man offenbar auch im Vieldörferort Berglen hoch über dem Remstal vernommen. Als der Kämmerer verstarb, aktivierte der Bürgermeister im Jahr 2011 den ihm bekannten einstigen Fellbacher Finanzexperten Föll, damit der Haushaltsplan korrekt verabschiedet werden konnte. „Föll rettet Berglen“, titelte damals unsere Zeitung zum Ende der dreimonatigen Tätigkeit. „Ich konnte zeigen, was ich noch drauf habe“, sagte er selbst damals schmunzelnd.

Jahresrechnungen seit 2003 fehlerhaft

Das freilich war noch gar nichts im Vergleich zu dem, was folgen sollte. Denn Fölls erfolgreiche Berglener Aushilfsaktion hatte sich herumgesprochen – bis in den Kreis Böblingen. Dort war der neue Bürgermeister Daniel Töpfer 2015 dringend auf Hilfe angewiesen: Die Jahresrechnungen waren seit dem Jahr 2003 fehlerhaft, unvollständig und nicht abgeschlossen, das Vermögen der Gemeinde nicht richtig nachgewiesen und erhebliche Beträge ungeklärt verbucht. Der Fellbacher Fachmann sollte diese Misere nun beheben und die Altlasten der Vergangenheit beseitigen.

Nach kurzer Prüfung ließ Föll sich zu dieser Tätigkeit als freiberuflicher Berater breitschlagen. „Ich dachte, des packsch genauso wie in Berglen“, berichtet er von seiner damaligen Analyse, zumal davon ausgegangen wurde, dass dies nicht länger als ein halbes Jahr dauern würde. Typischer Fall von Denkste: Erst als Föll in die Tiefe der Materie eingestiegen war, erkannte er allmählich, was sich da an Arbeit auftat. „Die Unterlagen und Belege, sofern überhaupt vorhanden, waren deutlich miserabler, als ich gedacht hatte.“ Obwohl er die Flinte ins Korn hätte werfen können, machte er seinen Job weiter – und „wer A sagt, muss auch B sagen, ich habe einen ziemlichen Ehrgeiz und ziehe das durch bis zum Schluss“, so Fölls Devise.

Und so machte er sich denn zwischen Mitte November 2015 bis in diese Tage von Schmiden aus auf in die Gemeinde im Heckengäu: Morgens um halb neun aus dem Haus, dann mit Bus, S-Bahn, Umstieg und nochmals Bus gut eineinhalb Stunden bis ins Rathaus von Weissach – dann zehn bis elf Stunden Arbeit ohne Mittagspause, und abends erneut 90 Minuten zurück mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, um gegen 22 Uhr daheim in Schmiden anzukommen. Ausnahmen waren, wenn er seinen Hobbys (Tennis, Tischtennis, Singen im Chor, Ski- und Rad fahren) nachging und wenn er als eingefleischter Wohnwagenfreak mit seiner Frau Urlaub in Kroatien machte.

Der Aufwand, die Fehler zu bereinigen, ungeklärte Zahlungen aufzuklären beziehungsweise aufzulösen, die Jahresabschlüsse nach und nach fertigzustellen und durch Rechenschaftsberichte zu ergänzen, „war ziemlich happig“, sagt er. Dass er als Kämmerer alter Schule noch die einstige Buchhaltung vor der Doppik kannte, war freilich ein ziemlicher Vorteil – viele Kollegen, vor allem „Jungspunde“, wären an seiner Stelle an der Aufarbeitung der Missstände vermutlich gescheitert.

Wie konnte es so weit kommen?

Doch wie konnte es überhaupt so weit in Weissach kommen? Der damalige Kämmerer war überfordert und „hat wohl nicht mehr gewusst, wo ihm der Kopf steht“, vermutet Föll. Die Aufsichtsbehörden mahnten zwar immer wieder, drückten jedoch über Jahre hin mehrere Augen zu und ließen sich von der Weissacher Verwaltung vertrösten.

Ein Punkt war vermutlich auch, dass die Porsche-Gemeinde Weissach sehr steuerstark war und kaum Finanznöte kannte. Und wer viel hat, muss eben auch nicht so genau hinsehen oder den Cent gar einzeln umdrehen und prüfen oder nachweisen, wo das Geld geblieben ist. Wobei Föll betont, dass er „keine kriminellen Machenschaften“ oder Unterschlagungen festgestellt hat. Aber die Misswirtschaft dürfte die Gemeinde Weissach in der Summe schon vier bis fünf Millionen Euro Verluste eingebracht haben.

Die aufgrund seiner fast dreieinhalbjährigen Aufräumarbeit in Weissach notwendigen Buchungsbelege umfassen mittlerweile circa 25 Aktenordner. Voraussichtlich Ende März läuft die Rettungsaktion nun tatsächlich aus – die den Föllschen Familienfrieden auch nur deshalb nicht allzu schwer belastete, weil seine Frau bis vor einem Jahr noch berufstätig war.

Nun also kann der 73-Jährige endlich tatsächlich seinen Ruhestand genießen. „Der Herrgott hat mir ein breites Kreuz gegeben“, sagt er schelmisch, „ich hab’s überstanden.“ „Mission impossible“, wie es im Hollywood-Streifen heißt? Nicht für Föll: „Mission accomplished.“ Oder anders gesagt: Auftrag angenommen, Auftrag erfüllt – wie es sich für einen städtischen Verwaltungsdirektor im „Unruhestand“ gehört.