Das Video zur neuen Single „Deutschland“ von Rammstein schlägt weiter hohe Wellen. Ein vorläufiger Überblick zur aktuellen Debatte.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Am Donnerstagabend veröffentlichte die Berliner Band Rammstein das Video zu „Deutschland“, ihrem ersten neuen Song nach acht Jahren. Vorab brachten sie einen kurzen Trailer mit einer Szene aus dem Video heraus, das die Bandmitglieder in KZ-Häftlingskleidung auf dem Schafott zeigt. Schon an dem Trailer entzündete sich heftige Kritik, die auch am Freitag nicht abriss. Mittlerweile ist das Video zigmillionen Mal geklickt worden, und es haben sich auch Verteidiger der Band zu Wort gemeldet. Ein Überblick zur Debatte.

 

Was die Befürworter sagen

Wer Rammstein gefährliche Koketterie mit nationalsozialistischem Habitus vorhalte, monieren ihre Verteidiger, müsse zur Kenntnis nehmen, dass die Berliner Band rechtes Gedankengut seit ihrer Gründung vor 25 Jahren stets von sich gewiesen und dies auch künstlerisch – etwa in dem Lied „Links 2 3 4“ zum Ausdruck gebracht habe. Außerdem habe Rammstein mehrfach darauf hingewiesen, dass sich in den Songs künstlerische Ästhetik aus der Fiktion und nicht aus der Realität speise.

Wer sich die Texte des jetzt inkriminierten Musikvideos genau anhört, vernimmt dort auch Zeilen wie „Deutschland, meine Liebe kann ich dir nicht geben“, „Übermächtig, überflüssig, Übermenschen überdrüssig“ oder – just in der viel diskutierten Hinrichtungsszene übrigens – „Deutschland, mein Herz in Flammen will dich lieben und verdammen.“

Lesen Sie hier das Pro und Kontra unserer Redakteure zu dem umstrittenen Video

Verteidiger verweisen auch auf die künstlerische Qualität des Musikvideos. Es steht in der Professionalität seiner Machart in einer langen Tradition bei dieser Band. Videos wie jenes zum Rammstein-Song „Sonne“ des Regisseurs Joern Heitmann etwa überzeugen durch ästhetische Kraft, in den ausführlichen, bei Youtube abrufbaren Making-Of-Videos werden außerdem die Detailarbeit und eine gründliche Reflexion über die Inhalte deutlich. Auch das neunminütige Video zu „Deutschland“ beeindruckt ebenso in seinem Parforceritt durch die deutsche Geschichte von der Varusschlacht bis zu den Erster-Mai-Krawallen mit Zitatenreichtum. Reminiszenzen an Heldenfilme wie „Gladiator“ scheinen dort ebenso auf wie Verweise auf hochgelobte Serien wie „Babylon Berlin“. Die Bandmitglieder, die hier teils auch als Akteure auftreten, sind sowohl als Opfer auf dem Schafott wie auch als Brandstifter zu sehen. Besetzt ist die weibliche, offenbar der Germania nachempfundene Hauptrolle im Übrigen mit der dunkelhäutigen Schauspielerin Ruby Commey, einem renommierten Mitglied des Berliner Ensembles – das sind, könnte man meinen, viel zu viele Facetten, um nur Neonazis zu bedienen.

Was in der Debatte zu denken gibt

Bewusst auf empörte Reaktionen zu setzen, führen Verteidiger des Videos weiterhin ins Feld, entlarve eine deutsche Empörungsindustrie. Das Video „triggert die Bedenken der Bedenkenträger“, so der „Spiegel“ in seiner Onlineausgabe. Man könnte hinzufügen: Kunstfreiheit bedeutet auch, Radikalität als legitimes Ausdrucksmittel zu betrachten. Kritikern des Gesangsduktus von Till Lindemann könnte man entgegnen, dass einst auch Carolin Reiber die „Volkstümliche Hitparade“ mit einem rollenden „R“ moderierte. Und wer sich an der im Video verwendeten gebrochenen Frakturschrift reibe, möge nur den Titelkopf der hoch seriösen FAZ betrachten.

Womöglich könnte man sich sogar über die Plötzlichkeit der jetzigen Reaktionen wundern. Philipp Stölzl verwendete schon im Jahr 1998 für sein Video zur Rammstein-Coverversion des Depeche-Mode-Hits „Stripped“ Bilder aus dem Film „Olympia“ von Leni Riefenstahl. Und 2004 haben die Dresdner Sinfoniker, gesungen vom Opernstar René Pape und gesprochen von Katharina Thalbach, den Liederzyklus „Mein Herz brennt“ mit Texten von Rammstein aufgenommen – ohne nennenswerte Entrüstung.

Schließlich, gewissermaßen als Kronzeugin der Verteidigung, könnte man noch die Sprecherin der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem ins Feld führen. Künstlerische Arbeiten, die an Holocaust-Bilder erinnern, können legitim sein und seien nicht gänzlich zu verurteilen, sagt Iris Rosenstein.

Was die Kritiker einwenden

Künstlerische Arbeiten, sagt die Yad-Vashem-Sprecherin Rosenstein jedoch ebenfalls, dürften die Erinnerung an den Holocaust keinesfalls beleidigen, herabsetzen oder schänden – und schon gar nicht als „bloßes Werkzeug“ dienen, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Ähnlich argumentieren viele andere. „Wie Rammstein hier das Leid und die Ermordung von Millionen zu Entertainmentzwecken missbraucht, ist frivol und abstoßend“, kritisiert Charlotte Knobloch, die Ex-Präsidentin des Zentralrats der Juden. Karin Prien, die Sprecherin des Jüdischen Forums in der CDU, spricht von einer „widerlichen Geschmacklosigkeit“, die nur dazu diene, „Klicks zu erzeugen.“ Felix Klein, der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, nennt es „geschmacklose Ausnutzung der Kunstfreiheit“ und empfindet die Bilder von todgeweihten KZ-Häftlingen als „Überschreitung einer roten Linie.“

Wobei sich die Entrüstung allerdings nicht auf die vermeintlich „üblichen Verdächtigen“ aus deutschen Landen beschränkt. Selbst das israelische Außenministerium hat sich mittlerweile eingeschaltet. „Beschämend“ findet ein Sprecher das Video, „wir schließen uns jenen an, die eine sofortige Löschung fordern“, schrieb er auf Twitter. Dies zeigt nicht zuletzt, welche Strahlkraft von einer der wenigen weltweit bekannten deutschen Bands ausgeht – und inwieweit das Agieren deutscher Künstler rund um den Globus unter ganz besonderen Vorzeichen beobachtet wird.

Zweifelsohne legt die Band seit jeher eine zumindest künstlerisch indifferente Haltung zur NS-Ideologie und -Ikonografie an den Tag. Es bleibt das schwer in rationelle Argumente zu fassende Unbehagen über das bewusste Inszenieren des Teutonischen. Unstrittig ist schließlich die Perfidie, mit der gewissermaßen als Gruß aus der Teufelsküche zunächst knapp vierzig Sekunden aus dem Video serviert wurden, um die Öffentlichkeit bewusst auf eine falsche Fährte zu locken – und dann wenig später triumphierend einen sich ganz anders darstellenden Kontext zu präsentieren.