Bei einer Demonstration gegen den G20-Gipfel in Hamburg hat es am Donnerstagabend massive Ausschreitungen gegeben. Die Polizei setzte Wasserwerfer und Pfefferspray gegen die Demonstranten ein.

Hamburg - Um 19 Uhr stehen sie sich am Fischmarkt, dem Start der Demonstration, gegenüber. Auf der einen Seite die Demonstranten, „Welcome 2 hell“ steht in weißen Buchstaben auf rotem Grund auf einem breiten Transparent, das Motto des Protestzuges, der Hamburg den Atem anhalten lässt. „Lieber Militanz ich als G20“ steht auf einem schwarzen Banner, das lässt keinen Spielraum für Interpretationen. Hinter hochgehaltenen Planen verwandeln sich zuvor harmlos wirkende junge Kerle in grimmig drein blickende Hassgesichter.

 

Sonnenbrille, schwarze Kapuze oder Mütze auf, fertig ist der Söldner des sogenannten Schwarzen Blocks, jener Abteilung der Linksextremen, die ganz offensichtlich noch etwas vorhaben an diesem Abend. Etwas, was jenen nicht gefallen kann, die ihnen gegenüber stehen. Hunderte Polizisten, mit Helm, Handschuhen und in jener dunklen Overall-Montur, die getragen wird, wenn nicht der nette Schupo von nebenan gefragt ist, sondern der durchtrainierte Nahkämpfer, der auch mal zupacken kann.

Die Szenerie erinnert lange in grotesker Weise an die Minuten vor einem Fußballspiel, man grölt sich warm, nur schleppend kommt der Zug voran. Behelmte Pressefotografen vorneweg, von denen manche in ihrem Einsatzrucksack Gasmasken mit sich führen, denn Tränengas ist keine schöne Sache. Die Polizei fordert mit Lautsprechern dazu auf, die Vermummung abzulegen und es dauert nicht lange, da scheint ein Punkt erreicht, wo die Autonomen des Schwarzen Blocks nach der üppig-angstvollen Berichterstattung der vergangenen Tage gar nicht mehr anders können, als irgendwann zuzuschlagen.

Man will das Millionenpublikum schließlich nicht enttäuschen. G20 – das ist eben noch immer die Champions-League der Militanten. Und St. Pauli ist für sie das, was für den FC Bayern ein Endspiel im Münchner Olympiastadion ist: ein „Finale dahoam“. Um 19:48 Uhr steigt Rauch auf, es ist nicht klar, was genau geschehen ist, die Polizei geht sofort massiv dazwischen, die Lage ist unübersichtlich. Das Finale beginnt. Viele Menschen versuchen, über eine mannshohe Mauer aus dem Straßenkessel zu entkommen, einige stürzen ab. Blaulicht, Sirenen, Wasserwerfer im Einsatz, zerberstendes Glas, Schreie, Panik. Die Lage eskaliert. Die Autonomen haben ihr Endspiel. Und die Stadt Hamburg steht vor einer Nacht der Gewalt.

Stadt Hamburg schon seit Tagen in Igelstellung

Den ganzen Tag zuvor ist die Stadt schon in Igelstellung. Es ist einfach kein Hineinkommen mehr. In jeder Abbiegung Richtung Zentrum, die das Navi empfiehlt, steht ein Polizeifahrzeug. Die Stadt, die wegen ihrer Offenheit als Veranstaltungsort für den G-20-Gipfel in Zeiten der Abschottung ausgewählt worden ist, gleicht schon am Tag vor dem offiziellen Beginn einer Festung. Viele der Staats- und Regierungschefs, auch der Amerikaner Donald Trump, schweben zu ersten vorbereitenden Gesprächen mit Kanzlerin Angela Merkel ein. Zusammen mit der Demo der Autonomen bildet dieser Tag den eigentlichen Auftakt des Globalisierungsspektakels.

Auf jeder Industriefreifläche, auf jedem Parkplatz, in jedem Hinterhof entlang der S-Bahn-Strecke zwischen den Stationen Sternschanze und Dammtor stehen Mannschaftswagen der Polizei. Hier liegt das Messegelände, mitten in der Stadt, zwischen den linken Szenevierteln und den noblen Adressen am Jungfernstieg und der Mönckebergstraße. Wie das so ist, wenn Sicherheitskräfte großflächig anrücken, bekommt auch in Hamburg der eine oder andere Gesetzeshüter Allmachtsfantasien und weist brüllend Fußgänger zurecht, die bei Rot über eine Straße gehen – obwohl sie komplett für den Autoverkehr gesperrt ist.

Sehen Sie hier „Zehn Fakten zum G20-Gipfel in Hamburg“:

Die Anwohner sind genervt. Vor allem vom Sirenengeheul und dem Hubschrauberlärm, der seit Tagen nicht enden will. „Da stehst du dann plötzlich nachts im Bett, wenn sie wieder tief fliegen“, meint der 65-jährige Günther. „Die Machtdemonstration“ der Polizei stinkt ihm. Die 38-jährige Nina neben ihm findet, es sei „ein Scheißgefühl, dass mir diese verdammten Politiker wie Trump und Putin so nahkommen“.

Kaum ein Geschäft ohne „No G20“-Poster

Die beiden sitzen auf einer kleinen Gartenmauer im Schanzenviertel und genießen mit einem Kaffee in der Hand die Sonne. Wer einmal drin ist in der Festung Hamburg oder ohnehin hier wohnt, kann sich an diesem Nachmittag ungewohnt frei bewegen. Die Cafés sind voll, nicht alle Geschäfte haben geschlossen, Hauptstraßen werden zu Fahrradwegen, und es gibt mehr Parkplätze als Fische auf dem Fischmarkt, weil viele Einwohner geflüchtet sind. „Der G-20-Gipfel hat auch sein Positives“, sagt Pamela, die auf dem Bürgersteig eine E-Zigarette pafft und mit einem Freund „schnackt“, wie sie hier sagen.

Oliver ahnt am Nachmittag auch noch nicht, was da am Abend kommen wird. Er ist in anderer Mission in Hamburg und Meister einer Kulturtechnik, die klassenübergreifend geschätzt wird. Oliver ist Koch, gebürtiger Schwabe, eingebürgerter Schweizer, extra aus Zürich eingeflogen. Am Samstag soll er in der Elbphilharmonie mit 15 Kollegen dabei helfen, dass all den großen Tieren und ihren Partnern das Futter nicht ausgeht.

Aber erst einmal muss er an all den Polizeiabsperrungen vorbei, das Messegelände umrunden, um an seine Akkreditierung zu kommen. Sein Rollkoffer klappert, der Weg ist weit, so richtig Lust hat er wohl keine, aber Job ist Job. Eine Agentur hat ihn vermittelt, noch hat er keine Ahnung, was er auftischen soll, aber das ist ihm egal, wird schon schmecken. Wer so beruhigend und gelassen spricht wie dieser Mittfünfziger, dem kann nichts anbrennen – selbst dann, wenn Merkel und Trump nach dem Konzert am Samstagabend die Suppenlöffel kreuzen. Die Demonstranten sind ihm egal, er wird kochen, dann abfliegen. Sind halt neutral, die Schweizer und gelassen.

Es ist die Ruhe vor dem Sturm, wie sich später herausstellen wird. Wie viele andere Geschäfte hat auch die Sparkasse in unmittelbarer Umgebung erst gar nicht geöffnet. Dass in der Nacht zum Donnerstag in einem Autohaus zehn teure Porsche angezündet worden sind, hat viele schon ahnen lassen, was passieren würde. In den Straßen entlang der Demonstrationsroute lässt sich kaum ein Geschäft, Café oder Restaurant ohne „No G 20“-Poster im Fenster finden. So auch im Café du Port in der Hein-Hoyer-Straße. Dazu ist ein gemaltes Konterfei von Trump zu sehen, mit Rüssel und Schlappohren. „Gegen Trumpeltiere“ steht darüber. Emanuel Poras Familie gehört das Café mitten im Kiez. Für ihn sind der Schriftzug und das „Trumpeltier“ eine Versicherung gegen Attacken auf sein Geschäft. „Das Problem sind die internationalen Event-Touristen, die kommen, um alles kurz und klein zu schlagen“, sagt Pora verärgert.

Mehrere verletzte Beamte sind die Bilanz des Abends

Ein paar Häuser weiter steht Michael Neller mit einem Kaffee in der Sonne vor seiner Ledermanufaktur. Sein Laden ist einer der wenigen, in dem kein Anti-G-20- Poster hängt. „Ich habe keine Lust, mich dem Zwang auszusetzen“, erklärt er. So empfindet er die Gegenhaltung im Viertel. „Die Menschen haben Angst, dass sie angegriffen werden, wenn kein Schild im Fenster hängt“, sagt Neller: „Das will ich nicht mitmachen.“ Sein Laden bleibt offen.

Einige hundert Meter weiter rast ein junger Mann in schwarzer linker Kampfkluft mit einschlägigem Spruch auf dem T-Shirt einen Radweg entlang, ein älterer Mann nimmt es vor ihm nicht so genau mit der Abgrenzung zum Fußweg, der Weltverbesserer muss bremsen, ist erbost ob dieses drastischen Regelverstoßes. „Pisser“ schreit er dem verdutzten Herrn ins Gesicht. Auf der rasenden Fahrt zum Weltfrieden lässt man sich halt ungern aufhalten.

Am späten Abend passiert das, was nicht geschehen sollte. Der Krawall verlagert sich in die engen Straßen von St. Pauli. Die Lage ist nicht mehr zu überblicken. Randalierer mischen sich unter Touristen und Neugierige. Kaum eine Kreuzung, die nicht mit gewaltigem Aufgebot frei gehalten werden muss. Wasserwerfer, zahllose Hundertschaften der Polizei. Draußen, vor den Kneipen und auf den Plätzen, sitzen sie mit einem Astra in der Hand oder einem kühlen Pinot Grigot und bejubeln die kurzen Blockaden, die den Einsatzkräften mit ihrem schweren Gerät Zeit und Nerven rauben. Mittelfinger werden zum Gruß gereckt. In der Nähe der Reeperbahn hat der Fahrer eines gepanzerten Fahrzeugs sich nicht mehr im Griff, schert kurz mit seinem schweren Gefährt aus, in Richtung eines besoffenen Schreihalses, so als wolle er ihn überrollen. Dann reißt er das Steuer wieder in die andere Richtung. Nichts passiert. Aber in dieser Nacht werden, so wie hier, oft nur ein paar Zentimeter entscheiden, ob die Sache glimpflich abgeht oder nicht.

Die Bilanz der Polizei: mehrere verletzte Beamte – auch die Veranstalter beklagen zum Teil ernsthaft Verletzte – einige ausgebrannte Autos und Mülltonnen, eingeschlagene Schaufenster.