2019 hat Marcel Hirscher seine extrem erfolgreiche Ski-Karriere beendet. Nun ist der Österreicher zurück. Er will wieder siegen – auf eine andere Art als früher.

Es ist ja nicht so, als ob Marcel Hirscher in den vergangenen Jahren ohne Ehrgeiz, inneren Antrieb und dem Streben nach dem Bestmöglichen unterwegs gewesen ist. Ganz im Gegenteil. „Ich war getrieben davon, die Perfektion auf ein neues Level zu bringen.“ Das hat ganz gut funktioniert.

 

Der Österreicher dominierte den alpinen Ski-Weltcup über Jahre, wurde Olympiasieger, Weltmeister und gewann achtmal den Gesamtweltcup. In 67 Weltcuprennen stand er ganz oben auf dem Podest, ehe er 2019 den Schlussstrich zog. Und nun? Geht es um das Projekt 68. Marcel Hirscher ist zurück.

Allerdings: Wer den heute 33-Jährigen, der am Wochenende beim Weltcup-Auftakt in Sölden am Start ist, auf der Riesenslalompiste oder im Zielraum sucht, der wird nicht fündig werden. Denn: Das Hirscher-Comeback ist eines der anderen Art.

Der frühere Topathlet hat nach dem Ende der aktiven Karriere vieles ausprobiert. Freeriding, Motocross, Rennsport – „ich habe zwei Jahre Zeit gehabt nachzudenken, wohin die Reise für mich geht“, sagte er im März 2021. Und gab seine Rückkehr in bekanntes Terrain bekannt: „Die Leidenschaft für den Skisport brennt nach wie vor in mir.“ Sein Hang zum Perfektionismus ist auch geblieben. Also hat er aus seiner Sicht die bestmögliche Aufgabe gefunden. Marcel Hirscher hat nun eine eigene Skimarke. Und mit ihr nicht weniger Ehrgeiz als als aktiver Rennläufer.

Ein Star kommt zum Neuling

„Eines ist klar“, verkündete er schon wenige Wochen nach der Firmengründung, „diese Ski werden Weltcup-Rennen gewinnen.“ Das hält mancher Experte für realistisch – bedeutet aber auch eine Ansage, die eine gewisse Fallhöhe ergibt. „Die Erwartungshaltung hat Marcel selbst ja als extrem hoch definiert“, sagt der frühere Vizeweltmeister Fritz Dopfer gegenüber unserer Zeitung, „mal schauen, ob sie dem Druck, den sie sich selbst gemacht haben, auch standhalten können.“ Das ist nun unter anderem Sache von Henrik Kristoffersen.

Der Norweger war jahrelang einer der härtesten Rivalen Hirschers im Slalom und Riesenslalom. Nun ist der 28-Jährige der lebende Beweis, wie ernst es Hirscher mit seinem Streben nach Erfolg meint. Kristoffersen verließ im Frühjahr seinen langjährigen Ausrüster Rossignol, um sich Hirschers Skimarke zu verschreiben. Weil er weiß: Der Salzburger macht keine halben Sachen.

Wobei: Der Name der neuen Marke – „van Deer“ – resultiert aus Hirschers dualem familiären Hintergrund. Seine Mutter ist Niederländerin, daher das „van“ („von“). „Deer“ ist das englische Wort für „Hirsch“. Vom Hirsch(er) kommen nun also Ski, die den Markt aufmischen. Vor allem, weil die wirtschaftliche Kraft auch gesichert ist. Im Sommer dieses Jahres gab Red Bull bekannt, sich an dem jungen Unternehmen zu beteiligen. „Der Einstieg von Red Bull ist ein Versprechen, richtig durchzustarten“, sagt Dopfer.

Der potente Brausehersteller finanziert auch Know-how. So ist Toni Giger, einst Sportdirektor im Österreichischen Skiverband, nun mit an Bord. Gemeinsam mit Marcel Hirscher und dessen Vater Ferdinand will das Team das Tüfteln am Material auf die Spitze treiben. „Marcel hat in kurzer Zeit gute Strukturen geschaffen und einige der besten Köpfe um sich geschart“, findet Fritz Dopfer. Henrik Kristoffersen ist begeistert: „Es ist eine großartige Gelegenheit, die Dinge auf eine neue Ebene zu heben.“ Andere empfangen die neue Konkurrenz nicht ganz so freudig.

Viele Experten im neuen Team

„Es war sicher nicht die feine Art, gewisse Leute abzuwerben“, sagt zum Beispiel Marco Schwarz, der österreichische Slalom-Spezialist. Hirscher habe „kompetente Leute mit vielen Erfahrungswerten auf seiner Seite“. Auch aus dem Hause Atomic. Auf dieser Marke feierte Hirscher seine Erfolge, auch Schwarz hat jene Latten unter den Füßen. Die Konkurrenz ist also gewarnt.

Weil das Unternehmen „van Deer Red Bull“ schon jetzt mächtig daherkommt, bereits eine weitere Skifirma samt Produktionsstandort (Augment in Stuhlfelden) geschluckt hat und nicht nur im Alpin-Bereich einen Fuß in der Tür hat. Der deutsche Skisprung-Olympiasieger Andreas Wellinger ist wie Kristoffersen ein „van Deer“-Athlet.

Durch die Augment-Übernahme ist Hirscher quasi auch schon in einen Bereich eingedrungen, der für junge Firmen gar nicht so einfach zu erreichen ist: der Austria Ski Pool. Dort sind die Firmen versammelt, die österreichische Skisportler ausrüsten dürfen – und somit einen nicht gerade geringen Werbewert erzielen können. Wer dabei sein will, muss Verträge unterzeichnen und sich zur Nachwuchsförderung verpflichten. Mit „van Deer“ ist für die kommende Saison noch keine Absprache getroffen – das soll sich aber ändern.

Zunächst zählt der Aufschlag am Wochenende in Sölden – mit Kristoffersen, dessen Landsmann Timon Haugan und dem Briten Charlie Raposo. Kristoffersen ist der Gewinner der Weltcup-Slalomwertung der vergangenen Saison, den Gesamtweltcup und Olympiagold nennt er als noch unerreichte Ziele. Ob sie mit dem neuen Material in neuem Umfeld schnell erreichbar sind?

Wie weit ist die Entwicklung schon gekommen?

Hans Knauß, einst Ski-Star in Österreich, traut dem Norweger zu, nun eine Sekunde schneller zu sein. Fritz Dopfer ist da skeptischer. „Als Beobachter finde ich das Projekt hochspannend. Als Athlet hätte ich ein bisschen Bauchschmerzen dabei“, sagt der heutige TV-Experte, „unterschiedliche Pistenverhältnisse, unterschiedliche Charakteristiken der Hänge – das kannst du im Sommer nicht alles simulieren.“ Dennoch liegt die Latte schon zum Auftakt hoch.

Nur Siege, sagt also Marcel Hirscher, könnten Kristoffersens („Für mich war des wirklich kein Risiko“) Anspruch sein – und er weiß, dass dafür auch er selbst Topleistung bringen muss. Als bekannter Vertreter der „Null-Kompromiss-Lösung“ beim Set-up. „Wir werden alles dafür tun“, sagt der Österreicher, „diesen Ansprüchen gerecht zu werden.“ Und möglichst schnell Weltcup-Sieg Nummer 68 einzufahren.