Die 200 Millionen Menschen, die gegenwärtig als Pflücker auf Teeplantagen arbeiten, sind „chronisch unterernährt“. Zu diesem Ergebnis kommt das Hilfswerk Misereor in einer Studie anlässlich des Welternährungstags am Donnerstag.

Delhi - Vor der Eingangstür stapeln sich unter den Arkaden des Sundarnagar-Markts in Indiens Hauptstadt Delhi die Kisten mit den exotischen Namen, bei denen Teeliebhabern das Wasser im Mund zusammenläuft. In dem kleinen Laden mischt sich der Duft getrockneter Teeblätter mit dem Geruch von Druckerschwärze auf den herumliegenden Tageszeitungen. „Darjeeling Tee von Makaibari für Rekordsumme von 1850 US-Dollar pro Kilo verkauft“, lautet eine Schlagzeile. Der Feinschmeckerkult um Tee wächst weltweit. Dennoch herrschen auf den Plantagen, auf denen in aller Welt Millionen von Pflückern Tee ernten, die brutalen Arbeits- und Lebensbedingungen wie eh und je.

 

„Mangelernährung ist in den meisten Teeanbaugebieten die Regel“, sagt Benjamin Luig, Landwirtschaftsreferent bei dem Hilfswerk Misereor. Anlässlich des Welternährungstags am Donnerstag hat seine Organisation die Situation in den Teeplantagen unter die Lupe genommen. „Hunger ernten – Plantagenarbeiter und das Recht auf Nahrung“, lautet der Titel der Studie. „Die Politik ignoriert die Situation von Plantagenarbeitern und betrachtet Plantagen als Relikt aus der kolonialen Vergangenheit“, erläutert Luig, „aber das Gegenteil stimmt. Denn mit großflächigen Investitionen wie etwa bei Palmöl und Zuckerrohr breiten sich Plantagen immer weiter aus.“

30 Prozent der Kinder sind unterernährt

Wenn die malerischen Teegärten auf den Hügeln von Darjeeling oder Assam im Nordosten Indiens, im afrikanischen Malawi oder auf Java in Indonesien und im Hochland von Sri Lanka als Beispiel dienen, steht den Arbeitern ein üble Zukunft bevor. Die 200 Millionen Menschen, die gegenwärtig in Plantagen arbeiten, sind laut Misereor „chronisch unterernährt“. „In allen regionalen Teeanbaugebieten“, so die Hilfsorganisation, die ihre Studie mit der International Union of Food (IUF) und dem Heidelberger Food First Informations- und Aktions-Netzwerk (FIAN) veröffentlichte, „liegt der Anteil nachweislich mangelernährter Kinder bei 30 Prozent.“ Die Lage ist „so pervers“, heißt es in der Studie, „dass sogar die Teeverpackungsindustrie wegen der Unterernährung zunehmend besorgt ist“.

Doch in der indischen Teeindustrie – über die Verhältnisse im Nachbarland China dringen fast keine Informationen nach außen – gelten immer noch Gesetze, die aus britischen Kolonialzeit stammen könnten. „In Indonesien liegen die Löhne selbst unter Einschluss von Sachleistungen deutlich unter dem Existenzminimum“, beschreibt die Misereor-Studie die Situation, „in Assam liegen sie ohne Sachleistungen deutlich unter der Armutsgrenze.“ Rund 2,2 Millionen Menschen sind in den 800 Teegärten des indischen Bundesstaats beschäftigt. Rund 600 Millionen der indischen Jahresproduktion von einer Milliarde Kilogramm stammt aus Assam.

Die Bosse behandeln die Arbeiter wie Sklaven

Unter die Sachleistungen für die Teepflücker fallen Selbstverständlichkeiten wie eine Unterkunft. Die Arbeiter müssen in Lebensmittelläden einkaufen, die zu den Plantagen gehören. In Schnapsläden fließt der Alkohol grenzenlos. Und je mehr die Arbeiter trinken, umso mehr verschulden sie sich und müssen dann auf Jahre hinaus ihre Arbeit verpfänden.

„Die Sahibs, wie sich die Bosse anreden lassen, behandeln die Arbeiter wie ihre persönlichen Sklaven“, beklagt Dheeman Bhattachaya, der einen Teil seiner Jugend in Assams Teegärten verbrachte, in einem Brief an die „Times of India“. „Ihre Löhne sind lächerlich niedrig, ihre medizinische Versorgung besteht aus einem leeren Gebäude und die subventionierten Nahrungsrationen sind nicht mal gut genug für Tiere“, schreibt er weiter.

Arbeitskosten liegen bei einem Prozent des Verkaufpreises

Tatsächlich liegen laut einer Grafik in der vorgelegten Misereor-Studie die Arbeitskosten der Teepflücker bei etwa einem Prozent des Verkaufserlöses. Das wären im Fall des zum Rekordpreis von 1850 US-Dollar verkauften Kilo Makaibari-Tee 18,50 US-Dollar. In Wahrheit liegen die Löhne deutlich niedriger. Indiens Teegärten sprechen sich ab und zahlen nur rund 15 Cent.

Angesichts dieser Ausbeutung bangen im Konfliktfall viele Plantagenbesitzer um ihr Leben. „Wir mussten wegen eines Arbeitskampfs die Plantage schließen“, sagt Shantanu Kejriwal, nachdem er seinen weltberühmten Jungpana-Teegarten an den Hängen der Kurseong-Region in Darjeeling im August dichtgemacht hatte. Eine Gewerkschaft verlangte mehr Mitbestimmung für die 260 Arbeiter. Kejriwal, dessen Familie die 1899 gegründete Teeplantage vor einem halben Jahrhundert übernommen hatte, wollte keinen Kompromiss eingehen.

Unter den Plantagenbesitzern geht die Angst um

Seit Ende 2012 Mridul Battacharjee, der Besitzer der Konapathar-Plantage in Assam, und seine Frau von wütenden Arbeitern bei lebendigem Leib in ihrer Villa verbrannt wurden, geht unter Indiens Teepflanzern die Angst um. Battacharjee war berüchtigt dafür, mit seiner Pistole herumzufuchteln. Vor ein paar Jahren erschoss er den 14-jährigen Sohn eines Arbeiters.

Bessere Löhne wollen oder können die Plantagenbesitzer allerdings nicht zahlen. „Für die Produzenten ist das Teegeschäft wegen steigender Energiepreise und der Abwertung des US-Dollars schwieriger geworden“, heißt es in der Misereor-Studie, „die Beschaffungspreise der Händler und der großen, die Teeverpackung kontrollierenden Konzerne, sind gesunken.“ 80 Prozent des Handels werden gegenwärtig von den Konzernen Unilever, Tata und Twinings beherrscht.

Zertifizierungsgruppen legen nur Wert auf Umweltschutz

Einige Plantagenbesitzer lassen ihre Teegärten einfach im Stich – samt den Bewohnern. In der Bundapani-Plantage in Westbengalen verhungerten von Juli 2013 bis Mitte 2014 insgesamt 29 Menschen. Im Red Bank Tea Garden von Darjeeling kamen seit Oktober 2013 ebenfalls 32 Menschen um. Besucher berichteten von einer katastrophalen Ernährungslage.

Nicht einmal Zertifizierungsgruppen wie Rainforest Alliance, Fairtrade, IFOAM und UTZ konnten etwas an der skandalösen Realität ändern. „Sie legen vor allem Wert auf Umweltschutz“, sagt ein Kenner der Szene, „Arbeitsbedingungen und Löhne interessieren sie kaum.“ Selbst wenn sie anders wollten, hätten sie wahrscheinlich auch nur geringe Erfolgsaussichten. Denn bislang werden selbst Richtlinien der Internationalen Arbeitsorganisation nur selten umgesetzt.