Heute ist Weltkindertag – ein Tag, um auf die besonderen Bedürfnisse von Kindern hinzuweisen. Von Bedeutung ist das vor allem für die weltweit 28 Millionen Flüchtlingskinder. Was die Staatengemeinschaft für sie tun sollte, erklärt der Geschäftsführer von Unicef im Interview.

Leserredaktion : Kathrin Zinser (zin)

New York - Es ist die größte Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg: Über 65 Millionen Menschen weltweit sind derzeit auf der Flucht. Vor diesem Hintergrund haben sich die 193 Mitgliedsländer der Vereinten Nationen auf dem ersten großen UN-Flüchtlingsgipfel am Montag in New York auf einen besseren Schutz und mehr Hilfe für Flüchtlinge geeinigt.

 

In der sogenannten New Yorker Erklärung äußern sie ihren politischen Willen, das Leben der Flüchtlinge zu schützen, Menschenrechte zu wahren und die Verantwortung für die Flüchtlingskrise gemeinsam zu tragen.

Der Geschäftsführer des Kinderhilfswerks Unicef in Deutschland, Christian Schneider, ist derzeit in New York beim Flüchtlingsgipfel. Anlässlich des heutigen Weltkindertags erklärt er im Interview mit unserer Zeitung, was für Flüchtlingskinder besonders wichtig ist.

Herr Schneider, Unicef spricht von einer „Krise der Kinder“ – was bedeutet das konkret?
Es ist wichtig, deutlich zu machen, dass die Flüchtlingskrise, von der wir immer sprechen, vor allem eine Krise für die Flüchtlinge selbst ist. Kinder machen die Hälfte der Flüchtlinge und Vertriebenen aus, insofern ist es durchaus gerechtfertigt, von einer Krise der Kinder zu sprechen. Denn diese jungen Menschen sind in allen schlimmen Situationen, in denen sie sich befinden, in erster Linie Kinder – und daher auch stets besonderen Gefahren ausgesetzt.
Welche Gefahren betrachten Sie dabei als besonders gravierend?
Grundsätzlich sollte man die diversen Bedrohungen als Ganzes im Blick haben und nicht eine isoliert betrachten. Gleich zu Beginn ihres Lebens wird vielen Kindern der Zugang zur Gesundheitsversorgung vorenthalten. Wenn sie ihre Heimat verlassen müssen, haben sie kein geschütztes Zuhause mehr, das ihnen Sicherheit und Geborgenheit bietet. Viele können jahrelang keine Schule besuchen. Dabei ist Bildung auch in Krisenregionen der stärkste Anker für Kinder. Ohne Bildung haben sie keine Chance auf eine Kindheit. Am Abend vor dem Gipfel hier in New York hat die 15-jährige Minahil aus Pakistan im UNICEF-Haus gesagt: „Wenn ich das Klassenzimmer betrete, bin ich nicht mehr Flüchtling, sondern wieder Kind.“ In der Schule könne sie alles um sich herum vergessen – dieser Ort sei einer der besten Plätze, die sie kenne. Wir denken immer an den Lernerfolg und die Zukunft des Kindes, was natürlich auch sehr wichtig ist. Doch wir sollten nicht vergessen, dass der Schulbesuch für die Kinder auch in der Gegenwart etwas Heilsames hat.
Sie fordern Regierungen auf, sechs zentrale Ziele für Kinder auf der Flucht zu unterstützen – auf welche Resonanz stößt dieser Appell?
Im Vorfeld des Gipfels hat es intensive Gespräche gegeben und unser Appell wurde von den Regierungen aufgegriffen. Es ist wichtig, dass die Flüchtlingskrise als globale Herausforderung begriffen wird. Kein Land kann diese allein lösen. Und alle müssen Verantwortung für den Schutz der Kinder übernehmen. Ich werte es als Erfolg, dass die Regierungen sich einig sind, Flüchtlinge besser zu versorgen. In den kommenden zwei Jahren müssen sich die Staatschefs dann daran messen lassen, was sie tatsächlich auf den Weg bringen – auch in finanzieller Hinsicht. Die Menschlichkeit muss im Mittelpunkt stehen, nicht eine noch stärkere Abschottung. Ein kleines Detail dieses Gipfels weist schon in die richtige Richtung: Es ist ein Gipfeltreffen für und nicht über Flüchtlinge.
Wie konnte es überhaupt zu einer derartigen Krise kommen?
Die Ursachen sind komplex. Es gibt sehr viele, lang anhaltende Konflikte sowie neue Krisen – im Nahen Osten, in Asien und Afrika. Die allermeisten Flüchtlinge halten sich in armen Ländern auf. Diese wurden in der Vergangenheit aber vielfach damit allein gelassen.
Was wird geschehen, wenn sich nichts ändert?
Auch das hat die 15-jährige Minahil vor dem Gipfel deutlich gemacht: „Wenn Kinder heute nicht gut behandelt werden, wie soll dann erst die Welt von morgen aussehen?“ Die Kinder werden eines Tages ihre Heimat wieder aufbauen müssen – diese Generation darf nicht verloren gehen. Wie soll ein Mensch, der in seiner Kindheit nur Gewalt erlebt und keinerlei Bildung erfahren hat, in der Lage sein, positiv auf die Welt zu schauen und eine friedliche Gesellschaft mit zu gestalten? Deshalb können wir nicht hinnehmen, dass die Bedürfnisse der Kinder auf der Flucht aus dem Blick geraten.