Im geeinten Europa scheint es schwer verständlich, mit welcher Brutalität Soldaten vor 100 Jahren aufeinander losgingen. 99 Jahre nach dem Waffenstillstand wird über all an die Tote erinnert. In Polen fordern rechte Demonstranten ein „Weißes Europa“.

London - In Großbritannien und Frankreich haben Millionen Menschen am 99. Jahrestag des Waffenstillstands von Compiégne der Kriegstoten gedacht. Mit dem Glockenschlag 11.00 Uhr ruhte in ganz Großbritannien für zwei Minuten das öffentliche Leben auf Straßen, Plätzen und Bahnhöfen. Auch die Turmglocke des Big Ben am Parlament, die für Reparaturen bis 2021 stillgelegt ist, schlug ausnahmsweise die Stunde. Viele Briten trugen wie jedes Jahr rote Klatschmohnblüten aus Papier. Sie erinnern an die Blumen, die auf den Schlachtfeldern zwischen den Leichen sprossen.

 

Im Waffenstillstand von Compiégne hatten Frankreich und Großbritannien mit Deutschland 1918 vereinbart, zur elften Stunde des elften Novembertages die Kämpfe des Ersten Weltkrieges zu beenden. In den Folgejahren wurde am 11. November an die Millionen Toten dieses bis dahin mörderischsten Krieges der Menschheitsgeschichte gedacht. Heute werden auch die Opfer des Zweiten Weltkriegs und späterer Konflikte in das Gedenken eingeschlossen.

Frankreichs Präsident Macron legt Kränze nieder

In Frankreich legte Präsident Emmanuel Macron auf den Champs Élysées Kränze am Grab des Unbekannten Soldaten und dem Denkmal des Weltkriegspremiers Georges Clemencau nieder. Auch Macrons Vorgänger Nicolas Sarkozy und François Hollande nahmen an der Feier teil.

In Großbritannien findet die staatliche Gedenkzeremonie erst am Sonntag statt. Königin Elizabeth II. und die politische Führung am Sonntag werden dann an die Toten erinnern.

In Polen beging die Bevölkerung am Samstag nicht nur das Ende des Ersten Weltkriegs, sondern auch ihren Unabhängigkeitstag. Präsident Andrzej Duda nahm einer Gedenkfeier am Grab des Unbekannten Soldaten in Warschau teil, bevor Flaggen gehisst und Kanonen abgefeuert wurden. Polen war vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkriegs kein selbstständiger Staat.

Nationalistische Kundgebung in Polen

Zu einer rechtsnationalistischen Kundgebung kamen nach Polizeiangaben etwa 60 000 Menschen. Sie trugen nicht nur Nationalflaggen, einige hatten auch Symbole radikaler Gruppen aus den 1930er Jahren dabei. Feuerwerkskörper und bengalische Feuer wurden gezündet. Sprecher riefen zum Kampf gegen Liberale und zur Verteidigung des Christentums auf. Auf einem Plakat wurde ein „Weißes Europa brüderlicher Nationen“ gefordert. Ein Teilnehmer sagte dem staatlichen Fernsehsender TVP, er demonstriere, weil das Judentum von der Macht abgelöst werden solle. TVP sprach von einem „großen Marsch von Patrioten“.

Gleichzeitig fand eine kleiner Gegenveranstaltung einer antifaschistischen Gruppe statt. Die Organisatoren hielten beide Demonstrationszüge auseinander, um Gewalt zu vermeiden.