Die Auszeichnung der Vereinten Nationen wird jetzt auch für immaterielle Kulturgüter vergeben – darin sehen Kommunen und Vereine zunehmend die Chance auf überregionalen Ruhm. Was spricht dafür, was dagegen?

Stuttgart - Eine Bewerbung um das Etikett Kulturerbe lohnt sich – selbst wenn sie scheitert. Denn der hohe Anspruch zwingt zur Selbstbesinnung, meint Norbert Burkert.

 

Die Auswahl ist ohnehin willkürlich. Oder warum haben es bisher ausgerechnet der Orgelbau, die Falknerei und die Genossenschaftsidee als einzige deutsche Kulturgüter in die Welterbe-Champions-League geschafft? Dennoch – wollten die momentan so vielen Kulturerbe-Bewerber aus dem Land in diese Welt-Liga aufgenommen werden, so kämen sie doch recht vermessen daher. Es wäre kurios, um nicht zu sagen lächerlich, für die Wurstproduktion oder ein eher lokales Ereignis wie das Ravensburger Rutenfest kulturelle Weltgeltung zu reklamieren.

Doch diese Kandidaturen sind eine Nummer kleiner angesiedelt, es geht um einen Platz auf der Liste des immateriellen Kulturerbes in Deutschland. Und dafür sind das Bierbrauen oder der Blutritt in Weingarten durchaus ernst zu nehmende Aspiranten. Das gilt auch für die Schwörtage, die Schäferläufe und vielleicht sogar für Schützenfeste. Natürlich reicht es nicht, dass es etwas schon lange gibt, dass es beliebt und etabliert ist. Man muss schon eine historische Bedeutsamkeit belegen können, die weit über Folklore hinausreicht. Doch wer dies etwa der Wanderschäferei oder den Gmünder Altersgenossenfesten von vornherein abspricht, macht es sich zu leicht.

Zwang zur Selbstvergewisserung

Die Bewerber sind gezwungen, den historischen Kern ihres angeblichen Kulturguts freizulegen. Schon allein das ist ein Gewinn, weil es eine Selbstvergewisserung erfordert, Identität stiftet und die Spreu vom Weizen trennt. Findet sich dabei nichts von Gewicht, war’s das, die Blamage hält sich in Grenzen. Besteht ein Antrag aber die strenge Prüfung der Unesco-Jury, ist das ein Ritterschlag und eine Verpflichtung zugleich.

Denn das werbeträchtige Welterbe-Etikett erschließt nicht nur Geldquellen. Um es zu behalten, gilt es auch, das Erbe ernsthaft zu pflegen und jeder Ballermannisierung entgegenzuwirken. Davon hätten letztlich alle etwas. Die Erfolgsaussichten mancher Bewerbung mögen nicht die besten sein, den Versuch sind sie allemal wert.

Ein Jahrmarkt der Eitelkeiten?

Das Wissenschaftsminsterium muss schauen, dass die Bewerbungsläufe für das immaterielle Unesco-Siegel nicht zur Komödie werden, findet dagegen Rüdiger Bäßler. -

Nicht mehr lange, dann wird das Streben nach dem Unesco-Siegel noch zum Volksssport. In diesem südwestdeutschen Kulturland schlummert Potenzial für Anträge, die noch Jahrzehnte Vereinsvorsitzende, Stadtarchivare, Ministeriale und wissenschaftliches Schiedsrichterpersonal zu beschäftigen in der Lage sind. Warum nur die Herstellung der Wurst auf den Schild heben, wenn es auch Hopfen-, Brot, Wein- und Käsereimuseen gibt? Weshalb das Narrengericht zu Grosselfingen mit seinem Unesco-Ruhm allein lassen, wo doch das Stockacher Narrengericht ebenfalls den Saal zum Bersten bringt? Und spätestens, wenn das Ravensburger Rutenfest dereinst dem Brettener Peter-und-Paul-Fest in die deutsche Unesco-Liste folgt, müssen sich weitere Festausschüsse an der Ehre gepackt fühlen.

Es bleibt die Frage nach dem Uensco-Gedanken

Fragt sich allerdings, was dieses vom Wissenschaftsministerium in Stuttgart angeheizte Rennen noch mit dem Unesco-Gedanken, wie man ihn kannte, zu tun hat. Bei Klöstern, Pfahlbauten oder, wie zuletzt, den Höhlen der ältesten Eiszeitkunst auf der Schwäbischen Alb ging es immer auch um die Sensibilisierung von Politik und Öffentlichkeit für einen drohenden Zerfall. Der Achtlosigkeit, Kulturbarbarei und Beseitigungswut der Moderne entgegenzuwirken ist der tiefere Sinn der Auszeichnungen.

Die Narren aber sind, soweit sich das absehen lässt, bisher nicht in ihrer Existenz bedroht. Und die meisten großen Volksfeste im Südwesten erweisen sich als verlässliche Gelddruckmaschinen für Wirte und Schausteller. Das Ministerium sollte sich lieber fragen, ob es nicht einen neuen Jahrmarkt der Eitelkeiten eröffnet hat, der die Unesco-Welterbeidee in Rekordzeit entwertet. Knitze Antragsteller, die vom Welterbe sprechen und nur die Selbstvermarktung im Kopf haben, braucht kein Mensch. Wie schön, dass beispielsweise die Veranstalter des Biberacher Schützenfestes erst die Hälse zur Jury reckten und dann doch zurückgezogen haben. Ausgezeichnet!