Stuttgarter Forscher erproben auf der Uhlandshöhe einen Laser. Er soll die Umlaufbahnen aufräumen.

Stuttgart - Den Dienstplan von Daniel Hampf bestimmen Sonne, Wind und Wetter. Ist der Himmel über Stuttgart klar, dann fährt der Astrophysiker zur Sternwarte auf der Stuttgarter Uhlandshöhe und arbeitet frühmorgens vor Sonnenaufgang – oder abends nach Sonnenuntergang. Nur in diesen Zeitfenstern findet der Wissenschaftler, was er am Himmel sucht: die Überbleibsel früherer Missionen in den erdnahen Umlaufbahnen – Oberstufen von Raketen, die teils Treibstoff enthalten, Satellitentrümmer, Schrauben und sogar vergessenes Werkzeug.

 

Lange Zeit hat man ignoriert, wie viel sich etwa im niedrigsten Orbit LEO (lower earth orbit) angesammelt hat, der von der US -Weltraumbehörde Nasa für industrielle Zwecke freigegeben wurde: Bei der europäischen Weltraumorganisation Esa spricht man von mehr als 17 000 Teilen, die größer als eine Kaffeetasse sind. Hinzu kommen etwa 500 000 Teile, die nicht geortet werden können. Inzwischen sind sich die Forscher, die lieber von Raumfahrtrückständen als von Schrott sprechen, weltweit einig: Setzt erst einmal eine Kollisionskaskade ein, wird die Zahl der Teile exponentiell ansteigen. Dieser Kessler-Effekt könnte das Ende der Raumfahrt bedeuten. Denn auch kleinste Teile von der Größe einer Murmel haben die Durchschlagskraft einer Handgranate.

Noch kein Domino-Effekt entdeckt

Bislang sei der Domino-Effekt noch nicht nachgewiesen, sagt Daniel Hampf. Dass die gefürchtete Entwicklung bereits eingesetzt hat, ist mehr als wahrscheinlich. Eine Vermeidung weiterer Rückstände werde wohl nicht ausreichen, glaubt Tim Flohrer vom Space Debris Office der Esa in Darmstadt. Allerdings denken die Forscher dabei an einen Zeitraum von bis zu 200 Jahren. „Auf absehbare Zeit bleibt das Problem gut handhabbar“, betont Hampf.

Dennoch wird weltweit nach Lösungen gesucht. Die japanische Raumfahrtagentur Jaxa hat am 28. Februar einen Satelliten gestartet, der ein elektromagnetisches Netz im Orbit entfalten soll. Zunächst will man nur testen, ob sich das Netz richtig entfaltet und elektrisch aufgeladen werden kann. Klappt es, startet 2019 die eigentliche Mission. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) plant Ende 2017 die komplexe Deos-Mission: Dabei soll ein Retter-Satellit einen havarierten Satelliten mit einem Greifarm packen und entsorgen oder reparieren. Die Esa plant parallel die „Deorbit-Mission“. Dabei sollen auch Harpunen und Netze getestet werden.

Um das Heer an unkontrollierbaren kleinen Fragmenten in den Griff zu bekommen, setzen die Forscher am DLR-Institut für theoretische Physik Stuttgart auf ein anderes Konzept: einen starken Laser, der vom Erdboden aus die Teile in der Umlaufbahn präzise ortet. Ein zweiter Laser könnte sie durch gezielte Pulse so verlangsamen, dass sie abstürzen und verglühen.

Automatisches Spiegelteleskop auf der Sternwarte

Vor einem Jahr hat ein kleines Team unter der Leitung von Institutschef Adolf Giesen und Projektleiter Wolfgang Riede begonnen, diese Idee in der Praxis zu testen. Sie haben auf der Plattform der schwäbischen Sternwarte zunächst ein automatisch geführtes Spiegelteleskop montiert. Der dazugehörige Laser wird zurzeit noch im Labor getestet und wahrscheinlich im Juni aufgebaut. Die Genehmigungen der Flugsicherung und des Regierungspräsidium liegen vor.

Mehr als 100 Objekte hat das Team um Daniel Hampf inzwischen geortet und die Bahndaten neu vermessen. Gemessen daran, wie viele Objekte sich in den erdnahen Umlaufbahnen bewegen, scheint das nicht viel. Doch den Forschern des DLR geht es nicht um eine Aktualisierung der Kataloge. Sie wollen vielmehr die erforderliche Technik für eine präzise Überwachung entwickeln, die Kollisionen verhindert.

Das klingt simpel, ist es aber nicht. Die Teile bewegen sich mit einer Geschwindigkeit von bis zu acht Kilometern pro Sekunde. Sie brauchen also höchstens zehn Minuten, um den Himmel zu überqueren. Für die Verfolgung solch schneller Objekte sind normale Teleskope nicht ausgelegt – die Forscher haben also bei der Technik von vorne begonnen. Sie haben ein Programm geschrieben, mit dem die Bahnen der gespeicherten Objekte automatisch verfolgt werden können – und dazu ein flexibles Gestell für das Teleskop samt Kamera gebaut.

Laser-Konzept aus Stuttgart

Sie vermessen die schnell fliegenden Objekte unter anderem mittels der sogenannten Bocksprung-Methode: Man stellt das Teleskop auf einen Bahnpunkt ein, den das Objekt erst noch erreicht – und fährt mit, sobald man es erfasst hat. Dabei kämpfen sie mit atmosphärischen Einflüssen auf die Bahnen: „Die Daten altern schnell“, sagt Hampf. Deshalb ist er stolz darauf, dass es ihnen bereits jetzt gelungen ist, mehrmals auch solche Teile zu orten, die kleiner als zehn Zentimeter sind. Die Erprobung an einem Standort mitten in einer großen Stadt hat im übrigen weniger Nachteile als befürchtet: Helligkeit und Verwirbelung der Luft stören kaum. Die nächste Herausforderung wird sein, den Laser so genau zu führen, dass er auf mehrere hundert Kilometer Entfernung ein wenige Zentimeter großes Teil trifft, das zeitgleich auch vom Teleskop erfasst ist – und dann, wie Wolfgang Riede es nennt, den Schritt von der passiven zur aktiven Detektion zu machen. „Dieses Testbett wollen wir so lange wie möglich nutzen“, sagt Riede. Erhält das Projekt den erhofften EU-Zuschuss, könnte die Testphase bis 2017 verlängert werden. An einer baldigen Anwendung gibt es ein handfestes wirtschaftliches Interesse: eine Schätzung beziffert Verluste an europäischen Satelliten pro Jahr mit 140 Millionen Euro.

Die Stuttgarter sind nicht die einzigen, die an einem Laser-Konzept arbeiten: Ein australisches Team testet am Mount Stromo Observatory in Canberra bereits seit längerem einen zigfach stärkeren Infrarotlaser. Matthew Colless, Leiter des Projekts, zeigte sich kürzlich gegenüber der Agentur Reuters zuversichtlich, dass der Laser binnen einer Frist von zehn Jahren eingesetzt werden kann. Das australische Projekt hat ein Budget von 60 Millionen Dollar, finanziert von der Nasa, von Lockheed Martin und der australischen Eos Company.

Globale Vernetzung

Von einem solchen Budget können die Stuttgarter nur träumen. Daniel Hampf sieht den deutlichen Vorsprung der australischen Kollegen aber gelassen: „Konkurrenz belebt das Geschäft.“ Auf lange Sicht – da sind sich die Stuttgarter Forscher und Matthew Colless in ihrer Einschätzung einig – wird wohl ein globales Netz aus vielen Stationen notwendig sein.

Die Mehrzahl der Trümmer stammt von zwei Kollisionen

Vergangenheit
Ein Großteil der heutigen Trümmer ist bei zwei Zwischenfällen entstanden: dem gezielten Abschuss eines Satelliten durch China im Jahre 2007 und die Kollision eines Iridium-Satelliten mit einem Roskosmos-Satelliten im Jahr 2009.

Vermeidbarkeit
Die Kollision der beiden Satelliten im Jahr 2009 hätte vermieden werden können, da zumindest einer der beiden Satelliten steuerbar war. Dazu hätte man allerdings präzisere Bahndaten benötigt. Man glaubte damals an einen Abstand von 500 Meter und eine Messgenauigkeit, die es erlaubt, nicht einzugreifen. Das war ein Irrtum. Dieses Beispiel zeigt laut Daniel Hampf, wie wichtig Präzision ist.

Sichtbar
Ausgediente Satelliten und andere große Überbleibsel der Raumfahrt sind teilweise mit Smartphone- Apps wie Sky View und der DLR-next App (nur Android) nachzuverfolgen.