Der Clown, die Schwertschluckerin und der Jongleur im Weltweihnachtscircus haben nur Sekunden, um das Publikum in ihren Bann zu ziehen. Was ist ihr Geheimnis? Wir haben mit ihnen gesprochen.

Stuttgart - Sechs, höchstens sieben Minuten dauert ein Soloauftritt, 2400 Zuschauer finden auf den Rängen und in den Logen Platz. Durch die Arena des Weltweihnachtscircus’ rast dieses Jahr eine Ungarische Post mit 23 Pferden. Der chinesische Staatscircus präsentiert die Ikarischen Spiele, eine Fußjonglage mit 20 Akrobaten. Aber es gibt auch Künstler, die ganz allein im Rund unterm Chapiteau stehen. Sie müssen das Publikum durch ihre physische Präsenz fesseln.

 

Ganz unterschiedliche Wege zum Artisten

An einem Vormittag unter der Woche treffen sich der Clown Bello Nock, der Jongleur Viktor Kee und die Schwertschluckerin Lucky Hell im Container auf dem Cannstatter Wasen, der ziemlich großspurig „Kantine“ genannt wird. Bei einer Tasse Kaffee und Keksen sprechen sie über die magischen Momente in der Manege. Der US-Amerikaner, der gebürtige Ukrainer und die Australierin mit Wahlheimat England kommen aus verschiedenen Welten, ihr Zugang zum Zirkus war ganz unterschiedlich – so unvergleichbar wie ihre Auftritte es sind. In der Reflexion dessen, was sie tun, ergeben sich dennoch erstaunliche Parallelen.

„Das Geheimnis ist, eine Beziehung zum Publikum aufzubauen“, sagt Bello Nock, den das „Time Magazine“ zum besten Clown Amerikas ernannte. „Aber ich habe nicht einmal zwei Minuten, sondern allenfalls Sekunden dafür. Wenn ich versage, drehen sich die Menschen um und beginnen zu reden.“

Drei Brüder als Konkurrenz

Nock ist Spross einer Schweizer Zirkusfamilie, in siebter Generation, wie er stolz erzählt. Bei drei älteren Brüdern sei es ihm schwergefallen, die Aufmerksamkeit der Eltern zu erregen: „Die Brüder waren immer besser als ich.“ Also habe er begonnen, Artistik mit Komik zu verbinden. Mit Erfolg, seine Stunts sind legendär. Auch in Stuttgart bringt er seine Zuschauer zum Schwitzen. Er stellt sich beim Balancieren übers Seil so an, als mache er das zum ersten Mal. Die Reaktion der Zuschauer beschreibt er so: „Du weißt nie, was dieser Idiot als nächstes tut.“

Multinationale Energie

„Er kann zu den Menschen hingehen, das ist sein Vorteil“, sagt der Jongleur Viktor Kee über Bello Nock. Er dagegen stehe in der Manege und sei doch in seiner eigenen Welt. Das macht für den gebürtigen Ukrainer die Faszination des Genres Zirkus aus. Nicht wie im Theater erlebe man ein Stück aus einem Guss, sondern viele verschiedene Auftritte mit ganz unterschiedlicher Arbeits- und Ausdrucksweise. Das nennt er die „multinationale Energie“ der Artisten.

„Du kannst um die Welt reisen, ohne deinen Stuhl zu verlassen“, ergänzt Bello Nock. Die unbändige Lust am Reisen war auch der Grund, warum Lucky Hell zur Artistin wurde. Sie ist zum ersten Mal beim Weltweihnachtscircus dabei, war aber vor zwei Jahren schon einmal beim Friedrichsbau-Varieté in Stuttgart engagiert. Die klassische Bühne ist ihr Metier, aber eigentlich bevorzugt sie die Manege. „Hier kann ich mich freier bewegen, weil es kein Vorne und Hinten gibt, keinen linearen Raum. Ich liebe es zu improvisieren, das kann ich im Rund besser.“

Jonglage im Dunkeln

„In meiner Welt gibt es keine Improvisation“, sagt Viktor Kee. „Ich muss sehr präzise arbeiten, nichts darf mich stören.“ Das gelinge am besten im Dunkeln. So sehe er das Publikum zwar nicht, aber er nehme die Energie der Zuschauer wahr. „Meine Befriedigung ist es, immer 100 Prozent zu geben. Das Ziel ist es, dass sich die Menschen ihr Leben lang an meinen Auftritt erinnern.“

Authentisch zu sein, das sei der Schlüssel zu den Herzen der Zuschauer, da sind sich alle drei einig. Während Lucky Hell im Varieté meist in Burlesqueshows auftritt, stellt sie im Zirkus ihre magische Seite heraus. „Mehr Disney“, nennt sie das. „Was ich tue, macht vielen, vor allem den Kindern Angst. Indem ich das Schwertschlucken in einem magischen Kontext als eine Art Schneewittchen präsentiere, nehme ich ihnen die Scheu“, sagt sie. „Die Schöne und das Biest“ – so bezeichnet Kee die Nummer, die schöne Frau und das scharfkantige Schwert. „Das ist ein psychologisches Spiel“, ergänzt Nock, „und jeder hat seinen eigenen Weg“.