Alle Clubs sind geschlossen – Clubhouse aber boomt. Die neue App versammelt Zehntausende in virtuellen Clubräumen zu turbulenten Gesprächen. Wir haben reingehört, was der Hype mit Menschen aus Stuttgart macht.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - „Hallo hier ist Luisa“, stellt sich eine Studentin der Medienhochschule Stuttgart vor und freut sich. Man kann ihr Lächeln fast hören. „Supercool“, sagt sie, „dass ich dabei sein kann mit so vielen coolen Leuten bei diesem krassen Format.“ Im selben Chatroom, der den Titel „Deutschland sucht den Socialstar“ trägt, fragt wenig später Toni: „Könnt ihr mich hören?“

 

Hören, ja, das ist erlaubt in der Pandemie. Persönliche Treffen sind verboten. Der Stuttgarter Micha Fritz, Mitgründer der Initiative Viva con Aqua, hat die Socialstar-Suche in der App Clubhouse gestartet. „Wir sind dabei, weil wir Neues immer gern ausprobieren“, sagt der Aktivist, der seit Jahren für sauberes Trinkwasser in aller Welt kämpft. Die Möglichkeiten der Social-Audio-App seien „megageil“, findet Fritz.

Stuttgart spielt beim Hype eine nicht unerhebliche Rolle

Seit Tagen scheint die Marketing-Szene nur noch ein Thema zu kennen: Clubhouse! In ist, wer drin ist? Wer ist schon drin? Wer wartet noch auf die Einladung? Von allein kann man sich nicht anmelden, nur wenn man von einem Mitglied dazu gebeten wird. Die Verknappung macht die App, die auf Kritik der Datenschützer stößt, umso interessanter. Stuttgart spielt beim neuen Hype eine nicht unerhebliche Rolle.

Vom Fanta-Manager Andreas „Bär“ Läsker bis zum Ballettchef Eric Gauthier, vom Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf bis zum ehemaligen Nationaltorwart Timo Hildebrand, vom Künstler Tim Bengel bis zum Wasenstar Almklausi – Menschen aus Stuttgart „clubben“ eifrig mit, wie dies bereits genannt wird. Der Jungwinzer Thomas Diehl aus Rotenberg hat nach wenigen Tagen über 2000 Follower – so viele wie kaum ein anderer Stuttgarter oder Stuttgarterin. Diehl bittet täglich mit Partnern spätabends zum „Bedtime Talk“ mit Themen quer durchs Leben. Von Nacht zu Nacht beteiligen sich immer mehr daran. Die Ausgangssperre hält die Leute daheim. Weil Live-Begegnungen nicht mehr möglich sind, wirkt die Clubhouse-App so anziehend und beschert soziale Kontakte, auf die man im Lockdown verzichten muss. „Man kann jederzeit rausgehen aus einem Room, wenn die Gespräche langweilig werden“, sagt er, „bei einer Vortragsveranstaltung auswärts wär’ es nicht so leicht, den Saal zu verlassen.“

„Erinnert mich an meine ersten Tage bei SchülerVZ“

Thomas Diehl nutzt seine virtuelle Anhängerschaft auch für die Geschäfte. Mitgliedern des Clubhouse gewährt er bei der Bestellung seiner Weine einen Rabatt. Dies treibt beim Erfinder der Hamsterweine den Umsatz nach oben. Für David Rau, den Chefredakteur von Stuggi.TV, ist die neue App „ein spannendes Ding“. Erinnert fühlt er sich dabei „an meine ersten Tage bei SchülerVZ“. Sein erster Talk war mit SPD-Chefin Saskia Esken und dem OB-Kandidaten Marian Schreier. „Das Tolle ist“, sagt er, „man kann mitreden oder einfach nur zuhören.“

In Zeiten von Homeoffice ist man es gewohnt, daheim am Laptop zu konferieren. Beim Clubhouse gibt es keine Bewegtbilder vor der Kamera. Jedes Mitglied stellt sich nur mit einem Porträtfoto vor. Mehr ist nicht. Man schreibt nichts auf, sondern spricht oder schweigt. Wer etwas sagen will, hebt virtuell die Hand. Dann erlaubt ihm der Moderator, der Organisation eines Rooms, gegebenenfalls, was zu sagen.

„Das geht voll durch die Decke“

„Clubhouse ist völlig crazy und geht voll durch die Decke“, schwärmt der Stuttgarter Filmemacher Robin K. Bieber und erklärt: „Der Unterschied zu anderen Social-Media-Apps ist, dass, wenn man was zu erzählen hat, ein großes Publikum findet und seine Instagram-Likes damit nach oben treibt.“ Denn fast jeder schaue das Profil eines Redners an, der in einem Chatroom was sagt. Biebers Erfahrung: „Jeder Room feiert meine Geschichte, wenn ich erzähle, dass ich viel Geld in meinen Film ,Wake up call’ gesteckt habe und die Kinos jetzt zu sind.“

Eric Bergmann, der Chef der Stuttgarter Bar Jigger & Spoon, ist nur kurz im Clubhouse gewesen – und ist ehrlich, warum: „Ich habe mich schnell eingeloggt, um meinen Accountnamen zu claimen.“ Jetzt „gehört“ der Name Eric Bergmann ihm – bevor ein Namensvetter in dieser neuen App ihm zuvorkommt. Dafür hat sich der Bartender ein iPhone ausgeliehen. Denn nur mit Apple-Geräten kann man dabei sein.

Datenschutzbeauftragter kritisiert die App

Die Einladung erfolgt über das Adressbuch des Smartphones. Das bedeutet, dass man seine Kontakte mit Clubhouse teilen muss. Der baden-württembergische Datenschutzbeauftragte Stefan Brink kritisiert dieses Vorgehen, da der US-App-Anbieter nicht der europäischen Datenschutzgrundverordnung unterliegt und damit auch nicht kontrolliert werden kann. Deshalb sei unklar, wofür die gesammelten Daten verwendet würden. Es sei nicht auszuschließen, dass Clubhouse neben Telefonnummern auch Mail-Adressen und Wohnadressen der Kontakte ausliest, sofern diese hinterlegt sind. „Es hat ein erhebliches Verführungspotenzial, wenn man die App im vollen Umfang nutzen will und dafür nur schnell die Kontakte freigeben muss“, sagte Brink der Agentur dpa.

„Die Clubhouse-App ist ein Zeitfresser“

„Ich bin bei solchen Themen grundsätzlich sehr neugierig und und finde Clubhouse sehr unterhaltsam“, sagt Phil Hagebölling, der Chef der Stuttgarter Agentur Innovation Heroes. „Viel Potenzial“ sieht er vor allem für die Weiterbildungsbranche, die Speaker- und Coaching Welt sowie für politische Talks.“ Da komme man ganz einfach in ein Gespräch mit sehr bekannten Persönlichkeiten, könne mit ihnen locker plaudern und seine Freunde einbinden. Plötzlich ist etwa Thomas Gottschalk in der Leitung. Gerade in der Quarantäne funktioniere das Konzept „hervorragend“.

Der Künstler Tim Bengel hält die App für einen „Zeitfresser“, aber mitunter seien die Gespräche sehr effektiv. „Es hängt immer vom Moderator ab“, sagt er, „wenn er sich gut vorbereitet hat und den Verlauf strukturiert, dann bringt’s was, ansonsten rutscht die Sache schnell ab ins Wischiwaschi.“ Wenn der 29-Jährige auf dem neuen Portal mitdiskutiert, bekommt er „tatsächlich viel Feedback“, nämlich auf Instagram. Weil es bei Clubhouse keine Messenger-Funktion gibt, würden viele auf Insta ausweichen und ihm dort schreiben.

„Scheint mir eine große Headhunter-Party zu sein“

Die einen nutzen die Plattform, um auf ihre sozialen Initiativen aufmerksam zu machen, andere, um für ihre Firmen zu werben. Sara Dahme, die Betreiberin des Kulturkiosks im Stuttgarter Züblin-Parkhaus, präsentiert ihre Ausstellung „female photograpers“ auf diese Weise digital – analog läuft derzeit ja nichts. Ihre Eindrücke nach den ersten Tagen bei Clubhouse: „Interessantes Konzept, noch etwas unstrukturiert. Scheint mir eine große Headhunter-Party zu sein.“

Der Stuttgarter Startup-Unternehmer und Speaker Johannes Ellenberg beobachtet die App „aus unternehmerischer und marketingtechnischer Sicht“ und versucht, „so viel möglich daraus zu lernen“. Später will er ein eigenes Format testen, „wenn sich rauskristallisiert hat, was am besten läuft“. Grundsätzlich ist er aber „noch eher skeptisch und glaube nicht, dass die App dem aktuellen Hype gerecht werden kann“. Das liege vor allem an der Tatsache, dass die Inhalte nicht on Demand, sondern immer live konsumiert werden müssen.

„Wir reden über alles, nur nicht über Corona“

Toni fragt derweil: „Könnt ihr mich hören?“ Die Frage hört man bei einem Clubhouse-Besuch immer wieder. Das Hören hat in Deutschland eine neue Dimension erhalten – und Stuttgart ist mitten drin. Thomas Diehl, der Jungwinzer vom Rotenberg, gibt derweil für seinen „Bedtime Talk“ folgende Devise aus: „Wir reden über alles, nur nicht über Corona.“ Corona ist etwas, was viele nicht mehr hören können.