Der 1. FC Heidenheim kämpft in den Relegationsspielen gegen den hohen Favoriten Werder Bremen um den erstmaligen Aufstieg in die Fußball-Bundesliga. Er wäre die Krönung einer außergewöhnlichen Erfolgsstory.

Sport: Jürgen Frey (jüf)

Heidenheim - Holger Sanwald ist ein alter Hase. Seit rekordverdächtigen 26 Jahren leitet er die Geschicke rund um den Fußball in seiner Heimatstadt Heidenheim. Doch vor Kurzem hatte der 53-Jährige in einer Presserunde das Bedürfnis, etwas klarzustellen: „Wir sind kein Dorfclub. Das ist die SG Sonnenhof Großaspach. Wir sind eine Stadt.“

 

Da hat der Vorstandsvorsitzende des 1. FC Heidenheim natürlich vollkommen Recht. Dennoch ist der 50 000-Einwohnern-Ort an der Brenz weit entfernt von jeglichem Großstadtflair und gilt ähnlich wie Sandhausen eher als ein Synonym für das provinzielle Ambiente der zweiten Liga. Dass ausgerechnet dieser SV Sandhausen am letzten Spieltag durch ein 5:1 in der Weltstadt Hamburg den Heidenheimern die Relegationsspiele gegen Werder Bremen ermöglichte, zeigt, dass nicht Einwohnerzahlen und auch nicht die Finanzkraft des Vereins oder der Marktwert der Spieler entscheidend für den Ausgang einzelner Partien sind, sondern vor allem eines: Die Mentalität der Mannschaft.

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Und genau darauf setzt der 1. FC Heidenheim in den ungleichen Duellen gegen Werder Bremen, erst an diesem Donnerstag auswärts und am dann am kommenden Montag (jeweils 20.30 Uhr/DAZN und Amazon Prime) in der Voith-Arena. „Wir freuen uns tierisch auf die Spiele. Dass wir vielleicht nur noch zwei Spiele von der Bundesliga entfernt sind, ist der absolute Wahnsinn“, sagt FCH-Trainer Frank Schmidt – und gibt sich gewohnt kämpferisch: „Wir wollen die Sensation, und werden alles dafür tun. Doch dafür müssen wir ein paar Gänge hochschalten.“ Gerade nach der „fürchterlichen Leistung“ (Sanwald) zuletzt beim 0:3 bei Meister Arminia Bielefeld. Zur Erinnerung: Werder nimmt den Schwung eines 6:1 gegen den 1. FC Köln mit in die Entscheidungsspiele.

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Das Gefälle zwischen den beiden Clubs ist groß. Dass es krasser kaum sein könnte, zeigt nicht nur der Blick auf den Briefkopf. Mit vier deutschen Meisterschaften, sechs DFB-Pokal-Siegen und einem Europapokal-Titel gehört Werder zu den Schwergewichten des deutschen Fußballs. Kein anderer Verein stand in der Bundesliga öfter auf dem Platz als Werder (1900 Spiele), das nur einmal runter in die zweite Liga musste. Die Rollenverteilung David gegen Goliath wird bei einem Blick auf die Mannschaft mächtig befeuert: Der Bremer Kader besitzt laut Transfermarkt.de einen Gesamtmarktwert in Höhe von 133,75 Millionen Euro, die Heidenheimer Profis werden insgesamt auf 18,63 Millionen Euro taxiert. Werders teuerster Spieler Milot Rashica steht allein mit 28 Millionen Euro zu Buche.

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Die Gegensätze wirken extremer als bei der letztjährigen Relegation zwischen dem VfB Stuttgart und Union Berlin, als die Weiß-Roten mit einem 2:2 und 0:0 überraschend über die Eisernen stolperten. Zuvor hatten sich seit Wiedereinführung der Relegation vor elf Jahren nur der 1. FC Nürnberg (2009 gegen Energie Cottbus) und Fortuna Düsseldorf (2012 gegen Hertha BSC) als Zweitligist durchgesetzt. Was die Heidenheimer Hoffnungen auch nicht größer macht, ist das Ergebnis des letzen direkten Aufeinandertreffens: Am 30. Oktober 2019 ging die Mannschaft um Kapitän Marc Schnatterer in der DFB-Pokal-Zweitrundenbegegnung sang- und klanglos beim SV Werder mit 1:4 unter. Doch Frank Schmidt wäre nicht Frank Schmidt, wenn der Berufsoptimist nicht auch aus dieser Packung etwas Positives ableiten würde: „Jetzt wissen wir wenigstens, was auf uns zukommt. Werder wird mit Macht darauf drängen, das Spiel schon in Bremen zu entscheiden.“

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Die nackten Fakten sprechen für Werder. Das heißt aber nicht, dass der 1. FC Heidenheim den Aufstieg und damit die Krönung einer außergewöhnlichen Erfolgsstory nicht gerne mitnehmen würde. Und schon gar nicht, dass der Club für immer und ewig auf zweite Liga gepolt ist. Ob die Stadt Heidenheim denn bereit wäre, einen Bundesligisten zu stellen, wurde Oberbürgermeister Bernhard Ilg vor Kurzem gefragt. „Wir sind eine Stadt mit 50 000 Einwohnern und wären damit schon mal vor Hoffenheim“, antwortete das Stadtoberhaupt, gleichzeitig ein Riesenfan des Clubs, und ergänzte: „Die Voith-Arena bietet 15 000 Zuschauern Platz, wir könnten also den SC Paderborn ersetzen.“

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Zudem ist ein Stadionausbau bereits in Planung. An den Machbarkeitsstudien werde fleißig gearbeitet, so Sanwald. Sollte der Sprung nach oben gelingen, würde der Etat von aktuell 35 Millionen Euro auf 50 Millionen plus x steigen. Bei allen Gegensätzen zu Werder: Mit einem „Dorfclub“ hat das wahrlich nichts mehr zu tun.

Zahlen, Daten, Fakten – die beiden Clubs im Vergleich:

Werder Bremen

Umsatz (2018/19): 156 Millionen Euro

Etat: 58 Millionen Euro (Lizenzspieler)

Wertvollster Spieler: Milot Rashica (Marktwert 28 Millionen Euro)

Trainer: Florian Kohfeldt (seit 2017)

Gegründet: 1899

Mitglieder: 40 376

Größte Erfolge: Deutscher Meister (4), Pokalsieger (6), Europapokalsieger

Stadion: Wohninvest Weserstadion (40 821 Zuschauer)

Fanclubs: 780

Facebook-Likes: 1,015 Millionen

Follower auf Twitter: 508 754

1. FC Heidenheim

Umsatz (2018/19): 40 Millionen Euro

Etat: 35 Millionen Euro (gesamt)

Wertvollster Spieler: Niklas Dorsch ( Marktwert 4,5 Millionen Euro)

Trainer: Frank Schmidt (seit 2007)

Gegründet: 2007 (Abspaltung vom Heidenheimer SB)

Mitglieder: 2708

Größte Erfolge: Aufstieg Regionalliga 2008, Aufstieg Dritte Liga 2009 , Aufstieg zweite Liga 2014, WFV-Pokalsieger (4)

Stadion: Voith-Arena (11 605)

Fanclubs: 10

Facebook-Likes: 38 094

Follower auf Twitter: 32 686

In unserer Bildergalerie zeigen wir die vergangenen zehn Relegations-Duelle. Klicken Sie sich durch!