Barbra Streisand präsentiert ihr neues Album "What matters most". Und hält damit auch den Glauben an ein anderes Amerika wach.  

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Alles beginnt allein mit ihrer Stimme: Wie aus dem Nichts kommt sie, pur, rein, klar wie scheinbar eh und je. Fast die komplette erste Strophe von "The Windmills of your Mind" singt Barbra Streisand auf ihrem neuen Album ohne Begleitung. Erst zum Ende der langen Melodie setzen ganz zaghaft die Streicher ein, beschränken sich aber eher aufs vorsichtige Kommentieren denn aufs Untermalen der Sängerin. Und irgendein "Untermalen" hat die Streisand ja auch im siebzigsten Lebensjahr nun wirklich nicht nötig. Sie ist und bleibt die Große. Ein Phänomen. Ein Licht.

 

Keine einzige weitere CD müsste Barbra Streisand eigentlich noch produzieren. Die Gewinnerin von einem Tony, zwei Oscars, neun Globes und vierzehn Grammys sowie einem Vielfachen an Nominierungen bei allen gerade genannten Preisen muss niemandem mehr etwas beweisen. Aber sie ist eben Künstlerin, und Künstler schließen zu Lebzeiten nicht ab. Das jüngste Album "What matters most", aufgenommen in den ersten drei Monaten dieses Jahres und just erschienen bei Sony Music, widmet sich ganz dem Songwriter-Ehepaar Alan und Marilyn Bergman, denen die Streisand über fünfzig Bühnenjahre hinweg zahlreiche Erfolgstitel zu verdanken hat, insbesondere in ihren Filmen. Nun hat sie zehn weitere Songs mit Texten der Bergmans produziert - und präsentiert sie als Hommage nicht nur an die langjährig mit ihr befreundeten Schöpfer, sondern im Grunde an ein ganzes Musikgenre, das eben nicht nur von eingängigen Melodien lebt, sondern auch von starken, genau bedachten, genauestens gebauten, poetischen Texten.

Schlankere Arrangements

Natürlich arbeitet die Streisand auch bei "What matters most" mit großem Orchester, das hat sie beinahe zeit ihres Lebens getan. Aber ihre Arrangements kommen nun viel schlanker daher, stringent, modern, überraschend cool. Bei "Alone in the World" klingen Piano und Saxofon eher nach einem kleinen Jazzclub als nach Konzertsaal, und auch bei "That Face" fühlt man sich mehr in einer gepflegten Lounge als im großen Rundfunksendesaal.

Der Unterschied im musikalischen Design kommt besonders schön zur Geltung, wenn man beim CD-Kauf noch zwei, drei Euro drauflegt und sich die "De-luxe-Version" leistet: Zehn Bonustracks bringen zum diskreten Vergleich alte Einspielungen von Streisand-Bergman-Songs aus den Sechzigern und Siebzigern. Da wird nun wirklich von den Streichern im Hintergrund geschrammelt und jubiliert, was das Zeug hält, und man sieht geradezu die Musiker des Tanzorchesters in ihren bunten Schlaghosen mit den Hüften wippen. Nicht, dass sich Barbra Streisand davon distanzierte. Aber auch sie lebt und fühlt wie wir alle nicht mehr in den poppigen Siebzigern, sondern im Jahr 2011. Und in der Zwischenzeit ist ja viel geschehen.

Amerika swingt noch

Ach ja, 2011. Wir wollen es nicht verschweigen: es ist nicht nur die Musik, die uns auf dieser CD begeistert. Es ist vor allem die Vergewisserung, dass es trotz alledem immer noch dieses Amerika gibt - jenes kultivierte, weltoffene, liberale, demokratische, newyorkerische Künstler- und Gelehrten-Amerika, für das eben auch die Streisand unerschrocken steht. Es swingt noch. Sie singt noch. "What matters most is that we loved at all", so endet ihr letzter Song. Nein, nicht ihr letzter. Ihr jüngster.