Heimkinder müssen einen Großteils ihres Lohns für ihre Unterbringung abgeben. Das finden sie, wie auch viele Politiker, ungerecht und demotivierend. Geändert hat sich bisher nichts. Doch jetzt gibt es eine Chance.

Stuttgart - Der 19-jährige Gymnasiast Jonas aus Bad Dürrheim würde gerne im Sommer einen Ferienjob annehmen und sich für den Führerschein Geld verdienen. Am Willen fehlt es nicht, aber die Sache hat einen Haken. Jonas lebt im Kinderheim: „Von 133 Euro im Monat muss ich 100 Euro abgeben. Es lohnt sich gar nicht, dass ich arbeite“. Heimkinder wie Jonas müssen bis zu 75 Prozent ihres Lohnes für die Unterbringung im Kinderheim abgeben, wenn sie eine Ausbildung machen, oder sich durch Ferienjobs etwas hinzuverdienen. Jonas verhandelt jetzt mit seinem Jugendamt über eine Ausnahmeregelung, damit das Geld für den Führerschein zusammenkommt.

 

Wie es ausgeht, ist von Jugendamt zu Jugendamt verschieden, sagt Markus Seidel von der Stiftung Off Road Kids aus Bad Dürrheim, die sich in verschiedenen Städten um Straßenkinder kümmert. Die gesamte sogenannte 75-Prozent-Regel müsse fallen, fordert die Stiftung und mit ihr verschiedene Landtagsabgeordnete aus Baden-Württemberg. „Diese Ungerechtigkeit muss endlich abgeschafft werden, damit Heimkinder trotz ihrer erschwerten Ausgangsbedingungen motiviert ins Berufsleben starten können“, hat der CDU-Abgeordnete Karl Rombach schon im Mai verlangt. Er nannte die Regelung „haarsträubend“.

Abgeordnete warnen vor Demotivierung

Thomas Poreski, der sozialpolitische Experte der Grünen schließt sich in einem Abgeordnetenbrief an Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) an. „Gerade Jugendliche mit einem schwierigen biografischen Hintergrund empfinden es als nicht lohnend zu arbeiten“, warnt Poreski. Wenn sie einen Großteil ihres Einkommens abgeben müssten, könnten sie „keine angemessenen Ansparungen für ihren Übergang aus der Jugendhilfe heraus vornehmen.“ Er bittet den Minister, zu prüfen „inwieweit sich Baden-Württemberg für eine faire und gerechte Regelung einsetzen kann, die Heimkinder mit anderen Auszubildenden und Ferienjobbern gleichstellt.“ Unserer Zeitung sagte Poreski, die Kostenbeteiligung „ist eine unfaire Härte, die der Bundesgesetzgeber schnellstmöglich beseitigen muss. Kinder und Jugendliche in Heimen und in Pflegefamilien müssen auf ihrem schwierigen Weg in die Selbstständigkeit ermutigt und nicht bestraft werden.“

Sozialminister sieht Chance für Änderung

Jetzt kommt offenbar Bewegung in die Sache. Ein Sprecher von Sozialminister Lucha sagte auf Anfrage: „Das Ministerium für Soziales und Integration teilt die Auffassung, dass die aktuellen Regelungen die Motivation der betroffenen jungen Menschen zur Aufnahme einer Tätigkeit bremsen und diese in ihrem Streben nach Eigenverantwortung und einem gelungenen Übergang in ein selbstständiges Leben behindern können.“

Er verweist darauf, dass auf Bundesebene jetzt ein erneuter Anlauf gemacht wird, die Sozialgesetzgebung zur Jugendhilfe zu ändern. Im aktuellen Beteiligungsverfahren zur Gesetzesänderung habe Sozialminister Lucha sich „für eine Absenkung der Kostenbeteiligung bis hin zum völligen Verzicht ausgesprochen.“

Der Sprecher macht Heimkindern Hoffnung. Er erklärte gegenüber unserer Zeitung: „Angesichts der laufenden Gespräche zeichnet sich die Chance ab, dass die Regelung zur Kostenheranziehung im Sinne der jungen Menschen geändert werden soll. Darauf setzen wir und bringen uns weiter mit Nachdruck dafür ein.“