Im Juni 1979 ließ die baden-württembergische Landesregierung die Planung für die Neckar-Alb-Linie als große Nordostumgehung Stuttgarts fallen. Heftige Bürgerproteste hatten die politisch Verantwortlichen zum Umdenken gezwungen.

Winterbach - Es war ein bemerkenswerter, ja ein großer Tag, dieser 19. Juni 1979, bestens geeignet, Jubel- und Freudengesänge anzustimmen und ein Gläschen Sekt zu schlürfen, denn ein heftiger Straßenkampf war zu Ende gegangen. Für diejenigen, die das Objekt der Auseinandersetzung in den Orkus gewünscht hatten, war es eigentlich ein lupenreiner Festtag, doch sie feierten bescheiden. 40 Jahre ist es nun her, dass der Neckar-Alb-Autobahn das Totenglöckchen geläutet wurde, und dass es so weit gekommen ist, daran war damals die Aktionsgemeinschaft für umweltgerechte Verkehrsplanung mit Sitz in der Remstalgemeinde Winterbach nicht unwesentlich beteiligt.

 

Einer der Hauptprotagonisten der Widerständler, Hans-Joachim Aderhold, hat jetzt, vier Jahrzehnte nach dem Autobahn-Aus, in seinen Erinnerungen gegraben. Übermäßig gefeiert, sagt er, habe man nicht, als am 19. Juni 1979 die Kunde die Runde machte, die Stuttgarter Landesregierung habe nach kontroverser interner Debatte das Aus für die Neckar-Alb-Route verkündet. Aderhold zufolge bewegte sich die Gefühlslage der Autobahn-Opponenten zwischen verhaltener Freude und Genugtuung, Sekt sei nicht geflossen. Man habe sich auf das nüchterne Fazit beschränkt, ,,der Einsatz hat sich gelohnt“.

Von Mundelsheim bis Kirchheim unter Teck

Es war die Zeit, als noch die Devise des vormaligen Bundesverkehrsministers Schorsch Leber durch die Lande geisterte, kein Deutscher solle mehr als 20 Kilometer von einer Autobahnauffahrt entfernt leben. Die Neckar-Alb-Autobahn war einst im Bundesbedarfsplan in der Prioritätsstufe eins gelistet, Ausbaustart sollte eigentlich 1975 sein.

Geplant war das Straßenbauprojekt als entlastende Nordostumgehung Stuttgarts. Von Mundelsheim im Landkreis Ludwigsburg kommend war die Strecke, Gesamtlänge 70 Kilometer, auch als Verbindung der Mittelzentren Backnang, Schorndorf und Kirchheim gedacht, die sich von dem Vorhaben – geschätzte Kosten 900 Millionen Mark (rund 450 Millionen Euro) – wirtschaftlichen Aufschwung erhofften.

Das Epizentrum der Anti-Autobahn-Bewegung

Eine schöne Hoffnung. Doch die Träume so mancher Rathausvorsteher, eines nicht allzu fernen Tages auf gut gefüllten Geldsäcken zu sitzen, erwies sich als allzu optimistisch. Denn entlang der Strecke, einst auch gedacht als Teilstück einer großen Nord-Süd-Magistrale zwischen Skandinavien und den Mittelmeerländern, regte sich alsbald massiver Widerstand. Es bildeten sich diverse lokale Bürgerinitiativen, die sich zur Aktionsgemeinschaft für umweltgerechte Verkehrsplanung mit Sitz in Winterbach zusammenschlossen. Das war das Epizentrum der Anti-Autobahn-Bewegung, die die Neckar-Alb-Linie als monströs und inakzeptabel geißelte. Die Trasse war so geplant, dass sie sieben Landschafts- und Naturschutzgebiete sowie drei Wasserschutzzonen durchschnitten hätte – für die Autobahngegner absolut nicht hinnehmbar.

In den Berglen zwischen Winnenden und dem Remstal, einer toskanaähnlichen Gegend mit vielen sanften Hügeln und Tälern, war die Empörung besonders groß, denn die Planer hatten unberücksichtigt gelassen, dass es sich hier um ein wichtiges Naherholungsgebiet für die Region handelte. Ganz davon zu schweigen davon, dass durch Lärm und Abgase die Lebensqualität der Autobahnanwohner schwer beeinträchtigt würde. Am stärksten zum Kochen brachte die Gemüter die Absicht, die vierspurige Verkehrsachse mit einem zweieinhalb Kilometer langen und bis zu hundert Meter hohen Viadukt, das auf mehr als 50 Stützpfeilern ruhen sollte, über das Remstal zu führen. Da sprachen die Straßenbekämpfer vom ,,größten Schandfleck des ganzen Projekts“ und von einer Vergitterung der Remslandschaft.

Autobahnbefürworter jubeln zu früh

Als die Befürworter der Neckar-Alb-Trasse zunehmend in die Defensive gerieten, gab die Landesregierung noch schnell eine Kosten-Nutzen-Analyse in Auftrag, die allerdings zum Rohrkrepierer wurde. Das Werk kam zu dem Ergebnis, dass die Schnellstraße eine volkswirtschaftliche Rendite von 20 Milliarden Mark innerhalb von 20 Jahren generiere. Da jubelten sie bereits, die Autobahnbefürworter, doch plötzlich zog die Landesregierung das Gutachten, das nur in Bruchteilen bekannt geworden war, kleinlaut zurück wegen ,,gravierender Mängel“. Da war dann Ende Gelände für die Autobahnträume.

Am 19. Juni 1979 ist es gewesen, da verkündete die Landesregierung unter Führung von Ministerpräsident Lothar Späth das Aus für die Neckar-Alb-Strecke. Begründung: Man verzichte auf die Piste in der Erkenntnis, dass den Fragen der Ökologie und der Wohnqualität in der Verkehrsplanung ein hohes Gewicht zukomme und es sich beim betroffenen Nordosten der Region Stuttgart um ein landschaftlich kostbares und empfindliches Gebiet handle.

Politiker zu Einsicht und Umdenken gebracht

Genau dies sei stets die Argumentation der Aktionsgemeinschaft gewesen, sagt Hans-Joachim Aderhold. Die Bürgeraktivisten hätten es geschafft, so der Winterbacher im Rückblick, die verantwortlichen Politiker zu Einsicht und Umdenken zu bewegen. Immer wieder wertvolle Schützenhilfe hatte die Winterbacher Abwehrfront vom Stuttgarter Planungsbüro Billinger erhalten. Dessen Fachleute beurteilten die Neckar-Alb-Autobahn als weder notwendig noch vertretbar, sie könne ohne Weiteres aus den Ausbauplanungen genommen werden.

Noch gibt es eine Vielzahl von Leuten, die dem einstigen Straßenprojekt nachtrauern. Einer davon ist der frühere Bürgermeister von Burgstetten, Erich Schneider, einst CDU-Landtagsabgeordneter und Präsident des Landesparlaments, der das Tauziehen um das Pro und Kontra hautnah miterlebte. Der 85-Jährige ist fest davon überzeugt, dass es heute so manches Verkehrsproblem im Großraum Stuttgart nicht gäbe, wäre die Neckar-Alb-Autobahn realisiert worden. Schneiders Fazit zur Streittrasse: ,,Ich rege mich nimmer auf, aber es war eine Fehlentscheidung, diese Straße aufzugeben.“

Der Nordostring als Nachfolger

Dieser von Erich Schneider schwer bedauerte Sachverhalt hat Auswirkungen bis in die Gegenwart. Als kleine Ersatzlösung zur Entlastung des Stuttgarter Kessels ist seit damals der Nordostring im Gespräch, eine Straßenverbindung zwischen dem Raum Waiblingen und Ludwigsburg. Dieses im Regionalplan enthaltene Verkehrsprojekt gilt quasi in direkter Nachfolge der Neckar-Alb-Trasse mittlerweile als eines der umstrittensten im ganzen Land.