Mutige Menschen haben in den 1940er Jahren 417 Kinder und Jugendliche aus einem Konzentrationslager im Südwesten Frankreichs befreit – in manchen Fällen zu einem hohen Preis.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Karlsruhe. - Marianne Cohn musste ihre Fürsorge und Zivilcourage mit dem Leben bezahlen. Die 20-jährige Jüdin aus Mannheim war in Frankreich zwangsangesiedelt worden, half dort aber in einer illegalen Organisation mit, jüdische Kinder über die Grenze in die Schweiz zu schmuggeln. Am 25. Mai 1944 wurde sie mit einer Gruppe von 32 Kindern von deutschen Grenzbeamten erwischt – sie erreichte schließlich noch, dass die Kinder freigelassen wurden; sie selbst wurde aber wenige Wochen später ermordet.

 

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Dies ist eines der vielen erschütternden Beispiele aus dem neuen Buch des Pforzheimer Ehepaars Brigitte und Gerhard Brändle über deutsche Kinder, die aus dem Konzentrationslager (KZ) Gurs im Südwesten Frankreichs gerettet worden sind, und über deren Retterinnen und Retter. Seit mehr als 40 Jahren beschäftigen sich die beiden mit Themen der Nazidiktatur, und besonders wichtig war ihnen immer die Geschichte des KZ Gurs, denn dorthin wurden im Oktober 1940 alle jüdischen Mitbürger aus Baden deportiert, insgesamt 6500 Personen. In dreijähriger Arbeit haben sie nun ein wenig bekanntes Kapitel des Lagers erforscht: Während von den aus Baden deportierten Erwachsenen nur 30 Prozent überlebten, waren es unter den 563 Kindern und Jugendlichen 73 Prozent, also genau 417 Menschen. Die Biografien dieser Geretteten und ihrer Retter haben sie nun zusammengetragen.

Nach der Wannseekonferenz bestand Lebensgefahr

Tatsächlich sei es für soziale Organisationen relativ leicht gewesen, die Kinder und Jugendlichen aus dem Lager herauszuholen – das sei auf Antrag möglich gewesen, erzählt Gerhard Brändle. Einige Zeit hätten die Kinder in Heimen oder privat bei Familien gelebt und hätten auch zur Schule gehen können. Doch mit der Wannseekonferenz im Januar 1942, bei der die „Endlösung“ beschlossen wurde, gerieten auch diese Kinder in Lebensgefahr.

„So haben die Retter gelogen, gefälscht und betrogen, um die Kinder zu retten“, sagt Brigitte Brändle. Es waren Angehörige der Kirchen, Pfadfinder, Mitglieder der Heilsarmee, aber auch Kommunisten oder Partisanen, die ihr Leben riskierten, um diese Kinder zu schützen. Mehr als 200 konnten in Frankreich bis zum Kriegsende versteckt werden, mehr als hundert wurden in die Schweiz geschleust.

Dank mutiger Mitmenschen überlebt

Edith Rosenblüth aus Pforzheim etwa war bei der Deportation 20 Jahre alt. Sie wurde aus Gurs gerettet. Im Anschluss wurde sie mehrfach erneut verhaftet und kam wieder frei, wobei sie immer mutige Unterstützer hatte. Man brachte sie nach Auschwitz und zuletzt ins KZ Ravensbrück, wo ihr erneut jemand zur Seite stand: Zwei Ärztinnen entfernten die Häftlingsnummer vom Arm – so konnte sie sich als Französin ausgeben und überlebte vermutlich nur deshalb.

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Gerhard Brändle ist überzeugt, dass das neue Buch wichtiges Unterrichtsmaterial für Schüler werden könnte, denn es beweise, dass Widerstand möglich sei und dass Menschen auch in einer Diktatur zu ihren Überzeugungen stehen können. Auch Rami Suliman, der Vorsitzende der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden, betonte bei der Vorstellung des Buches in Karlsruhe, dass diese Retter auch für die heutige Generation Vorbilder seien.

Das Buch „Jüdische Kinder im Lager Gurs: Gerettete und ihre Retter*innen“ gibt es nicht im Buchhandel zu kaufen. Die gedruckte Version ist kostenlos über die Israelitische Religionsgemeinschaft Baden oder als PDF unter www.irg-baden.de erhältlich.