Ungewissheit aushalten, auf engem Raum zusammengepfercht leben, keine Mikroben verschleppen – Astronauten trainieren für das Leben in Isolation, wie wir es jetzt alle erleben. Der deutsche ESA-Astronaut Matthias Maurer teilt im Interview seine wichtigsten Tipps für die nächsten Wochen.

Stuttgart/Köln - Noch hat Matthias Maurer seinen ersten Flug ins All vor sich. Im September 2018 schloss er seine Ausbildung als Astronaut bei der Europäischen Weltraumagentur ESA ab, damals versprach ihm deren Chef Jan Wörner einen Flug binnen der nächsten drei Jahre. Es kann also nicht mehr allzu lange dauern, bis es soweit ist. Bis dahin trainiert Maurer, wie all seine Kollegen, vor allem auf Erden und im Parabelflug für das Leben in der Schwerelosigkeit.

 

Herr Maurer, Sie haben vergangene Woche Ihren 50. Geburtstag schon ohne Freunde gefeiert?

Ja, ich habe meinen Geburtstag zu zweit gefeiert – und abends gab es dann eine Videokonferenz mit Freunden. Das ist ein Geburtstag, an den ich mich immer erinnern werde.

Isolation ist das Kerngeschäft eines Astronauten – ganz egal, wo er zum Einsatz kommt. Wie trainieren Sie das?

Ans Team zu denken ist in der Isolation enorm wichtig. Man muss ein Bewusstsein dafür schaffen, dass kein Mensch perfekt ist. Die anderen nerven mich, ich nerve die anderen. Wenn man das begriffen hat, dann kann man den nächsten Schritt gehen und die Ursachen ausschalten. Dafür ist es wichtig, dass man miteinander redet – und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem man noch gut gelaunt ist. Jeder muss sagen, was ihm wichtig ist – und er muss dem anderen zuhören.

Ist das Training in der Höhle ein Teil davon?

Ja, beim Höhlentraining machen wir das ganz bewusst. Dort geht es nicht nur um wissenschaftliches Arbeiten unter Extrembedingungen, sondern auch darum, das Team unter Druck zu setzen. Jeder hat eine Aufgabe. Und alles ist so aufgebaut, dass keiner sein Pensum ohne die Hilfe von anderen leisten kann. Das ist clever gemacht. Ganz nebenbei lernen wir beim Abseilen auch noch die Regeln für einen Weltraumspaziergang. Da treffen verschiedene Kulturen aufeinander. Wenn Sie an einem Seil hängen, das von einem russischen Militärpiloten gesichert wird, dann ist das in diesem Moment kein Fremder, sondern Ihr allerbester Freund.

Und was haben Sie dabei gelernt?

Abends haben Psychologen und Teamspezialisten alles mit uns durchgesprochen. Das war sehr spannend. Es zeigt sich: Man ist immer blinder bei den eigenen Aktionen als bei den anderen.

Welche Rollen braucht ein Team, damit es funktioniert?

Bei uns in der Höhle gab es einen Commander und einen Planer. Nach der Hälfte der Mission konnte man tauschen. Das könnte man ja jetzt auch so machen – und die Rollen durch die Familie rotieren lassen. Vielleicht braucht es auch jemand für das Fernsehprogramm.

Wie hält man die Angst im Zaum? Wie geht man mit Ungewissheit um?

Viele sind jetzt verunsichert. Das verstehe ich gut – anders als wir Astronauten konnten sich die Menschen auf diese Isolation nicht vorbereiten. Mein Tipp ist da: nicht Monate voraus denken, sondern nur die nächsten zwei, drei Tage ins Visier nehmen. Etwas machen, was Spaß macht. Ziele setzen, die man gut schaffen kann. Und immer schauen, dass das Team bei guter Stimmung ist.

Sie haben auch zwei Wochen an Bord einer Unterwasserstation der NASA gelebt. War das schwieriger auszuhalten als der Aufenthalt in der Höhle?

Beides war körperlich sehr anstrengend. In der Höhle waren wir Bergsteigen unter Tage, in der Station dagegen ist man als Taucher unterwegs und muss den ganzen Tag einen erhöhten Druck aushalten. Der Raum dort war extrem begrenzt, etwa so groß wie drei VW-Busse: Einer für die sechs Etagenbetten, einer diente als Gemeinschaftsraum und einer war für Experimente da. Dann gab es noch eine Plattform für den Ausstieg ins Wasser. Dank Taucherglocken und Versorgungsschläuchen konnten wir uns im Umkreis von 200 Metern um die Station bewegen. So haben wir vier Stunden lang die Unterwasserwelt erkundet wie bei einer Mars-Mission.

Sie sagen, an die Gemeinschaft zu denken, ist die wichtigste Eigenschaft. Wer kann das besonders gut?

Ich denke, jeder kann das lernen, wenn erst einmal das Bewusstsein geweckt ist. Bei der Esa ist es zum Beispiel Standard, dass die Kollegen aus dem Kontrollzentrum einen Teil des Isolationstrainings mitmachen. Das ist wichtig für das gegenseitige Verständnis in Notsituationen. Dann muss man einen kühlen Kopf bewahren und rechtzeitig Hilfe anfordern, wenn man sich überlastet fühlt. So etwas auszusprechen muss man ja auch erst lernen.

Es gibt auch viele Menschen, die alleine leben und sich mit der Isolation schwer tun. Was raten Sie Ihnen?

Als Astronaut ist man eigentlich nie ganz allein. Gefährliche Dinge machen wir immer zu zweit, damit der eine den anderen retten kann. Alleine auf dem Mars überleben zu müssen wie der Astronaut Mark Whatney – so etwas trainieren wir nicht. Prinzipiell gilt nämlich: Wir lassen niemand zurück. So ein bisschen MacGyver steckt aber trotzdem in uns allen.

Was meinen Sie damit?

Auf der Raumstation kommt ja auch nur alle paar Monate eine Versorgungskapsel. Deshalb gehe ich die Isolation jetzt genau gleich an. Ich werde einmal pro Woche einkaufen gehen, alles aufbrauchen und nichts nachkaufen. Man darf nicht in Panik verfallen, nur weil der Kühlschrank mal nicht so voll ist wie sonst.

Ist das auf der ISS auch so – dass das Lieblingsessen auch mal fehlt?

Das Essen für da oben muss ich mir drei Jahre im voraus aussuchen. Manchmal stellt man an Bord der ISS dann fest, mir schmeckt das nicht. Wenn es allen so geht und jeder das Curry haben will, bleibt das Gemüse übrig. Aber der Vorrat ist ja berechnet. Irgendjemand muss auch das essen, was weniger beliebt ist.

Wie viel Platz haben Sie eigentlich an Bord der Raumstation?

Die ISS hat das Volumen einer Boeing 747, ist aber innen deutlich kleiner. Wenn man seine Ruhe haben will, kann man sich gut einen Tag lang zurückziehen. Der wirklich private Raum hat aber nur die Größe eines Ikea-Schranks. Da bleibt gerade genug Platz für einen Schlafsack, einen Computer und noch ein paar Kleinigkeiten.

Wenn Sie die Corona-Quarantäne wie einen Raumflug planen, was gehört noch dazu?

Flexibel sein ist ganz wichtig. Wenn Plan A nicht klappt, dann klappt halt Plan B. Auf jeden Fall lasse ich mir die gute Laune nicht verderben. Ich spiele im Kopf alles durch: Wie würde es normalerweise laufen, was könnte passieren? Wie bei Apollo 13 – nur so hat das Team von Mission Control die Notsituation damals so schnell gelöst.

Sie sprechen von dem Problem mit den Luftfiltern.

Genau. Die Luftfilter im Landemodul gingen zur Neige. Die Kollegen am Boden improvisierten daraufhin einen, den die Astronauten an Bord nachgebaut haben. Damals fiel ein wichtiger Satz: Failure is not an option, zu deutsch: Ein Fehlschlag ist keine Option. Diesen Gedanken möchte ich jedem mitgeben. Wir schaffen das.

Das Interview führte Anja Tröster.