Zu Beginn einer Liebe verschlägt es aus Nervosität die Sprache, am Ende aus Langeweile. Manchmal tut Schweigen weh, manchmal ist es Ausdruck großer Nähe. Über die Sprachlosigkeit in Beziehungen.

Familie/Bildung/Soziales: Lisa Welzhofer (wel)

Auch für das Schweigen hat Erich Kästner die richtigen Worte gefunden: „Sie gingen ins kleinste Café am Ort und rührten in ihren Tassen. Am Abend saßen sie immer noch dort. Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort und konnten es einfach nicht fassen.“ In Kästners Sachlicher Romanze bleibt am Ende nur die Sprachlosigkeit des einstigen Liebespaares. Darüber, dass etwas, das so überbordendschön begann, so beiläufignüchtern zu Ende geht.

 

Schweigen, das ist etwas, dass Beziehungen begleitet. Und das keinesfalls nur für Fassungslosigkeit und Entfremdung stehen muss. Im Gegenteil. Da gibt es die nervöse Sprachlosigkeit ganz zu Beginn einer Liebe. Was hat man sich nicht alles vorher zurechtgelegt! Anregende Themen, schlaue Gedanken, Bonmots und Anekdoten, die gerade genug Preis geben und Lust auf mehr machen.

Dann sitzt man beisammen, der Kopf ist leer, die Sprache weg; und trotzdem ist es wunderbar. Kurz später – wenn diese erste Scheu verflogen ist – sprudelt das alles ohnehin nur so heraus. Man kann gar nicht genug erzählen, schreiben, zuflüstern, diesem Menschen, der einen endlich zu verstehen scheint. So, wie man ist.

Später, wenn aus dem flatternden Verliebtsein Übereinkunft wurde, wenn man sich also oft genug einander versichert hat, kann man zusammen schweigen, und zwar ohne dass es betreten klingt. Tatsächlich bedeutet dieses gemeinsame Schweigen nichts anderes als tiefe Vertrautheit. Denn das verbale Band ständigen Quatschens brauchen nur die, zwischen denen Distanz ist.

Das schweigende Paar im Restaurant

Wobei die Grenze zwischen diesem Schweigen im Gleichklang und dem Sich-Anschweigen schmal ist. Das Miteinanderschweigen hat nur seinen Wert, wenn es sich abwechselt mit Erzählen, Zuhören, Diskutieren, Streiten, Lachen, Weinen, Umarmen. Wenn all das wegfällt, bleibt nur das schweigende Paar. Eine Figur, die wohl jeder kennt. Man kann sie in Restaurants oder Hotels beobachten: Männer und Frauen, deren Tischgespräche sich im kurzen Austausch über das Essen erschöpfen: „Ich hätt’ lieber die Schweinsbäckle gnommen!“ Oder in Organisatorischem: „Hast du schon das Taxi zum Flughafen übermorgen bestellt?“

Das schweigende Paar ist Chiffre für die ungewollte Komik und Tragik, die Liebe ja auch immer bedeutet. Dafür, wie schwer es ist, durch die Jahre hindurch, durch das Kindergroßbekommen, Schaffen, Häuserbauen, Jobwechseln, Andere-interessant-Finden im Gespräch zu bleiben. Das Verstummen des Paares steht für einen großen Verlust. Und in ihren vielen stillen Momenten schmerzt es die beide sicher sehr. Manchmal hilft noch eine Paartherapie, um das Reden wieder zu lernen. Manchmal auch nur die Trennung.

Überhaupt kann Schweigen in Liebesdingen weh tun. Wenn der Mensch, mit dem man eben noch in erregendem Whatsapp-Austausch stand, nicht mehr antwortet. Oder wenn das Bekenntnis, auf das man hofft, einfach nicht kommt.

Der Ort, an dem die Löwen wohnen

Andererseits wäre es manchmal gut, den Mund zuzulassen. Seine tiefsten Seelenabgründe, den Ort, an dem die Löwen wohnen, bewahrt man besser für sich selbst. Niemand will alles wissen über den anderen. Und auch die Wut, Verletzungen, Vorwürfe, wenn es unwiederbringlich vorbei ist, spart man sich manchmal lieber.

Kästners sprachloses Paar kann da also auch ein Vorbild sein: Wenn die Liebe geht, ist der Rest Schweigen.