Kultur: Stefan Kister (kir)

Eine andere Erklärung hat Christoph Ostermann von „Buchreport“. Allem Anschein nach sei der Verlag von dem Ansturm überrascht worden und im Moment gar nicht mehr in der Lage zu liefern. Trotzdem kann sich Ostermann in diesen Tagen vor Anrufern kaum retten. In seinem Haus werden aus den Media-Control-Daten die „Spiegel“-Listen erstellt, vieles muss er sich anhören, seit der Titel aus der Wertung genommen wurde. Von Bücherverbrennung 2.0 ist da die Rede und Schlimmerem. Einen Fall wie „Finis Germania“ habe es bisher noch nicht gegeben, sagt Ostermann, und er werde sich auch hoffentlich nicht wiederholen.

 

Wohl seien die „Spiegel“-Listen kuratiert, gerade darauf beruhe ihre Beliebtheit. Aber die Kriterien, welche Bücher nicht berücksichtigt werden, sind transparent und auf der Homepage von „Buchreport“ einsehbar: Nachschlagewerke, Schulbücher findet man in den Charts so wenig wie Kinder- und Jugendbücher. Es komme vor, dass man sich bei einzelnen Titeln abstimme, ob sie in die ein oder andere dieser Gruppen fallen, sagt Ostermann. Bei Sieferles anstößigen Notaten freilich dürfte wohl kaum ihre Verwechselbarkeit mit Kochbüchern, Fitnessratgebern oder dem BGB ausschlaggebend gewesen sein, Gattungen, die ebenfalls nicht berücksichtigt werden.

Am besten Schweigen

Dass das Bestsellersystem vor allem diejenigen mit weiterer Aufmerksamkeit belohnt, die sie ohnehin schon haben, liegt für Ostermann in der Natur der Sache. Flapsig beschreibt er den zugrunde liegenden Kreislauf im Rückgriff auf eine Redewendung: „Der Teufel sucht sich nun einmal immer den größten Haufen aus.“ Ein Teufelskreis also, wenn man so will. Wer ihm entkommen möchte, kann ja immer noch auf eine der Bestenlisten zurückgreifen, deren Empfehlungen auf dem Urteil einer Jury und nicht auf Verkaufszahlen basieren. Doch der Teufel ist bekanntlich ein Eichhörnchen, das seine braunen Nüsse sammelt, wo immer es ihm beliebt. Denn just die verirrte Bestenlisten-Empfehlung eines „Spiegel“-Redakteurs hat Sieferles Titel ja erst bestsellerfähig gemacht.

Was also tun? Am besten schweigen. Seit der Debatte um die Tilgung des Buchs von der „Spiegel“-Liste, so die Mitarbeiterin einer Bahnhofsbuchhandlung, sei die Nachfrage rasant in die Höhe geschnellt. Bei Sabine Braun von der Buchhandlung Pegasus in Stuttgart-Möhringen hat dagegen bisher erst ein einziger Kunde nach dem ominösen Buch verlangt. Seit vielen Jahren steuert sie das Musterbeispiel eines jener liebevoll geführten Buchbiotope durch die Krisen der Branche. Bestsellerlisten spielen bei ihr eine untergeordnete Rolle. „Ich mache meine eigenen Bestseller. Das sind Titel, von denen ich überzeugt bin.“ Wenn sie zufällig auf einer der einschlägigen Charts landen, umso besser, Elena Ferrante ist so ein Fall. Ihre Kunden kommen, weil sie intensiv beraten werden wollen. „Mit einer Liste kreuzt hier keiner auf.“