1000 Stühle auf der Stadtautobahn: Wieland Backes will am 8. Juli ab 10 Uhr mit seinem Verein „Aufbruch Stuttgart“ auf der B14 ein Signal setzen. Im Interview spricht er über seine Wünsche für Stuttgart und über ein Späßchen des Oberbürgermeisters.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Am Sonntag, 8. Juli lädt der Verein Aufbruch Stuttgart ab 10 Uhr zu einem Sit-in auf die B14. Wieland Backes erklärt, was 1000 Stühle mit Lebensfreude zu tun haben.

 
Herr Backes, haben Sie Ihren Verein mittlerweile in Abriss Stuttgart umbenannt?
Nein, das war ein „Späßchen“, zu dem sich der Oberbürgermeister hat hinreißen lassen. Ich nehme an, dass er es inzwischen auch selbst bereut. Unsere Stadt braucht keine Miesmacherei, sie braucht Begeisterung. Dafür steht „Aufbruch Stuttgart“.
Bei aller Begeisterung: sind Sie mit der Forderung, das Königin-Katharina-Stift abzureißen, nicht übers Ziel hinausgeschossen?
Wer am Bestehenden rüttelt, löst rasch Emotionen aus. Es geht nicht um Abriss, sondern um die Frage, ob der Platz an der Schillerstraße künftig noch ein geeigneter Schulstandort ist. Auch mit dem denkmalgeschützten Gebäude ist eine architektonisch gelungene Eingangssituation zum Kulturquartier machbar. Wenn es aber so kommt, wie bisher geplant, dann empfängt Stuttgarts kulturelles Herz die Besucher, die vom Bahnhof kommen, mit dem Blick auf eine profane Schulsporthalle.
Was würden Sie sich stattdessen wünschen?
Stuttgarts Chance liegt darin, städtebaulich wegweisend zu sein. Es gibt zu viele Beispiele, bei denen ein ideenarmes Denken unserer Stadt den Stempel aufgedrückt hat. So verfügen wir zwar über zahlreiche Kultureinrichtungen von Rang, aber vielerorts – denken Sie an die Stadtautobahn – herrscht ein Mangel an urbaner Qualität.
Und die schafft man, in dem man mit 1000 Stühlen ein Sit-in veranstaltet?
Wer für die Gestaltung der Stadt von Morgen begeistern will, braucht auch die Signale, die die von einem heiteren Gemeinschaftserlebnis ausgehen. Die Botschaft soll heißen: Bürgerschaftliches Engagement macht nicht nur Arbeit, sondern bringt auch Lebensfreude.
Im Netz kochen die Autofahrer schon wieder, die nicht verstehen, wie man eine Straße so zweckenfremden kann...
Die Erfahrung zeigt: Der erwartete Groll bleibt aus. Stattdessen erleben viele ein ganz neues Stadtgefühl auf der plötzlich so ruhigen, gemütlichen und menschenfreundlichen Straße. Viele blicken sehnsuchtsvoll auf europäische Städte, in denen das nicht nur für einige Stunden, sondern dauerhaft so ist. Kopenhagen, Oslo, Trento, Bordeaux, aber selbst kleinere Städte in unserer Nähe wie Heilbronn oder Schwäbisch Gmünd haben das Auto in ihren Innenstädten zurückgedrängt. Wie lange will Stuttgart noch auf das Auslaufmodell Autostadt setzen?
Reicht es denn, sich an einer einzigen Stelle der Stadt zu engagieren?
Nein, das reicht nicht. Wir brauchen ein Ziel, einen Masterplan, ein Bild vom Stuttgart der Zukunft, mit dem sich die Bürgerschaft identifiziert. Deswegen engagieren wir uns zusammen mit anderen, auch verstärkt im Gebiet Rosenstein, wo praktisch ein ganz neuer Stadtteil entstehen wird. Wird es gelingen, dort in ansprechender Form nicht nur erschwingliche Wohnungen zu schaffen, sondern ein vielfältiges, anziehendes Viertel, das sich hinter dem Riegel, den der Bonatz-Bahnhof bildet, organisch in die Stadt einfügt? Ich setze hier große Erwartungen in die IBA 2027, auch wenn die endlosen Verzögerungen bei der Fertigstellung von Stuttgart 21 für die Stadtentwicklung geradezu lähmend sind.
Der Oberbürgermeister und die Autofahrer freuen sich nicht ganz so über Ihr Engagement: Wieso tun Sie sich das eigentlich an?
Ich habe über Stadtentwicklung in dieser Region promoviert. Stuttgart befindet sich in der spannendsten Situation seit dem Wiederaufbau nach dem Krieg. Ich wünsche mir eine Stadt, die weit über unser Bundesland hinaus von sich reden macht: Vielleicht erlebe ich das ja noch.
Termin: 1000 Stühle, 8. Juli, 10 Uhr, B14 Höhe Staatsgalerie; Elvis-Interpret Nils Strassburg eröffnet mit dem Titel: „It’s now or never“.