Schwarzer Tag für Fans der weißen Rehe: Ein Jäger musste einem Kitz den Gnadenschuss geben. Es war angefahren worden. Spaziergänger fanden es mit gebrochenem Rückgrat.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Ludwigsburg - Der letzte Ausflug des milchfarbenen Kitzes endete zwischen Neckarweihingen und Poppenweiler. Es setzte über die Kreisstraße, ein Auto erwischte es und brach ihm das Rückgrat. „Sein Kreuz war zwischen dem zweiten und dem dritten Wirbel abgeschlagen. Da war nichts mehr zu machen“, berichtet der Jagdpächter Joachim Sommer. „Bei Wildunfällen sind 80 Prozent der Tiere durch den Aufschlag sofort tot“, sagt Sommer. Diese Gnade wurde dem jungen Reh nicht zuteil. Fußgänger fanden es morgens lebendig am Straßenrand liegend und alarmierten den Jäger. Sein Kollege verfrachtete das Tier etwas ins Abseits – „Sicherheit muss sein, und der Anblick ist ja auch nichts für schwache Nerven“, erklärt Sommer – und erlöste es durch einen Schuss. Für die Fans der weißen Rehe war es ein schwarzer Tag.

 

Den Rehen wird der Rückzugsraum knapp

Die Tiere, die in Sommers Jagdrevier leben, brachten es zu einiger Berühmtheit. Sommer, der auf Publicity nicht sonderlich scharf ist, stöhnt darüber: „Das Fernsehen stand vor meiner Tür, das Radio rief an, und die Beiträge waren teilweise zum Fremdschämen.“ Zumal das Phänomen der weißen Rehe – sie kommen durch einen Gendefekt zu ihrer Fellfarbe – die Rücksichtslosigkeit der Menschen auf die Spitze treibe, die ohnehin stetig zunehme. „Die einen kommen einem auf dem Rad aus einer Wiese entgegen, die anderen lassen ihre Hunde ohne Leine durch den Wald sauen. Manche fahren über verbotene Wege direkt an den Waldrand, lassen die Hunde raus, bleiben selbst im Auto sitzen und tippen auf dem Handy rum“, hat er beobachtet. „Und wenn man was sagt, wird man noch angepöbelt.“

Zu viel Volk im Wald und zu viele Hunde auf freier Flur: Da sei es kein Wunder, dass Rehe keine Ruhe hätten. „Jetzt, wo keine Frucht mehr steht, in die sie sich reindrücken können, ist klar, dass sie auf der Flucht halt auch über die Straßen rennen. Und dann batscht’s halt manchmal. Egal ob die Rehe braun sind oder weiß“, sagt Sommer, der gleichwohl einräumt, dass auch er von den weißen Exemplaren fasziniert ist.

„Eine wunderbare Spielart der Natur“

Nachhaltig in den Bann gezogen ist auch der Bürgerverein Neckarweihingen, der den weißen Rehen im Advent 2017 sogar eine eigene Ausstellung widmete: Hobbykünstler kreierten unter anderem Weißes-Reh-Seife, Weißes-Reh-Likör, einen Weißes-Reh-Roman, Weißes-Reh-Lieder, Skulpturen, Bilder und Fotografien. „Es war ein Riesenerfolg“, erinnert sich der Bürgervereinsvorsitzende Roland Schmierer. „Es gibt in Deutschland nur vier bekannte Standorte mit weißen Rehen, und Neckarweihingen ist einer davon.“ Da dürfe sich die Bürgerschaft ruhig dran freuen, findet er. Die Rehe hätten in ihrer Anmut etwas Geheimnisvolles, Mythisches. „Das ist eine wunderbare Spielart der Natur, die Teil unserer Ortsgeschichte werden wird.“

Im Moment sind die Rehe trotz des verunglückten Kitzes noch Gegenwart. Das kann Hubert Gänser-Hampp beweisen, der auf seinem Grundstück eigens eine Wildkamera installierte und die Wunderrehe mehrfach vor die Linse bekam. Ganz aktuell spazierten ein braunes und zwei weiße Exemplare einträchtig über sein Gelände.