Der Probstsee in Stuttgart-Möhringen ist ein Biotop, in dem zahlreiche Tiere anzutreffen sind. Allerdings hat dies unübersehbare Folgen – für die Natur, die Bauern und die Spaziergänger.

Manteldesk: Sandra Hintermayr (shi)

Möhringen - Aus den kleinen flauschigen Küken sind inzwischen stattliche Vögel geworden. Die Jungtiere, die im Frühjahr geschlüpft sind, unterscheiden sich kaum noch von den ausgewachsenen Graugänsen. Bis zu 40 Tiere, berichten Anwohner, hätten sie schon am Probstsee gezählt. Das Gewässer ist im Artenschutzkonzept der Stadt als schützenswertes Biotop deklariert – in den dichten Röhrichten lebt die größte Teichhuhnpopulation in Stuttgart. Und offenbar fühlen sich auch die Graugänse dort wohl. Darauf deutet der Bruterfolg hin. Allerdings: „Wir beobachten dieses Jahr eine ungewöhnlich hohe Vermehrungsrate bei den Graugänsen, nicht nur am Probstsee“, sagt die Ornithologin Friederike Woog.

 

Mit einem Team des Naturkundemuseums Stuttgart befasst sie sich mit den Graugänsen. Vor Kurzem wurden die Möhringer Gänse beringt, ebenso unter anderem eine Gruppe, die in Leonberg am Stadtparksee lebt. Die Forscher wollen herausfinden, ob die Vögel auf der Achse Tübingen – Stuttgart – Heilbronn hin- und herfliegen. Die Wanderrouten der Tiere sollen Aufschluss geben über potenzielle Ausbreitungswege von Vogelgrippeviren. Der Kot der Graugänse wird regelmäßig untersucht, im Fall einer akuten Vogelgrippeepidemie dienen die Graugänse so als Frühwarnsystem.

Schaden die Gänse dem See?

Die Vögel am Probstsee erfreuen zahlreiche Anwohner und Spaziergänger. Allerdings wirft ihre große Zahl auch die Frage auf, ob sie dem See und den anderen Bewohnern nicht schaden könnten, etwa, indem sie das Teichhuhn verdrängen. Friederike Woog hält das für unwahrscheinlich. Die Vorlieben bezüglich Nistplätzen und Nahrung seien bei Gans und Teichhuhn unterschiedlich. Und im Gegensatz zum Beispiel zur Nilgans sei die Graugans weniger aggressiv gegenüber anderen Tieren. Für eine fundierte Aussage über den Einfluss der Graugänse sei es aber wichtig, die Zahl der Teichhühner und deren Bruterfolg zu erfassen.

Und was ist mit der Wasserqualität? „Konkrete Informationen über den Einfluss der am Probstsee vorkommenden Wasservögel auf den Nährstoffhaushalt des Sees liegen der unteren Wasserbehörde nicht vor“, teilt die städtische Pressesprecherin Ann-Katrin Keicher mit. „Was sich aber sagen lässt: Der Eintrag von Nährstoffen durch Wasservögel und eine daraus resultierende Eutrophierung von Gewässern wird aber im Verhältnis zu anderen Einflussgrößen in der Regel überschätzt.“ Unter Eutrophierung versteht man die Zunahme von Nährstoffen in Gewässern. Diese können zu vermehrtem Wachstum von Wasserpflanzen und Algen führen, die wiederum anderen Pflanzen und Tieren die Lebensgrundlage entziehen können. Friederike Woog ergänzt: „Da Gänse gern Gras fressen, koten sie viel auf der Wiese ab, zudem verdauen sie das Gras wenig, der Nährstoffeintrag ins Gewässer ist vergleichsweise zum Beispiel zu eingesetzten Fischen eher gering.“ Sehr wichtig sei aber, dass Leute die Tiere nicht füttern, etwa Brot in den See werfen. „Das ist weder für die Gänse noch für das Gewässer gut“, sagt Woog.

Die Gänse machen sich über die Getreidefelder her

Der Gänsekot findet sich allerdings nicht nur auf den Wiesen am Probstsee, sondern auch auf den Wegen. Das missfällt dem einen oder anderen Spaziergänger. Die Abfallwirtschaft Stuttgart (AWS) reinigt die befestigten Wege im Bereich des Probstsees maschinell in einem sechswöchigen Turnus, erklärt Ann-Katrin Keicher. „Wegen der mittlerweile angestiegen Zahl der Gänse werden wir bei Bedarf vorübergehend öfter reinigen.“ Allerdings können lediglich die befestigten Wege maschinell gereinigt werden.

Auch auf den angrenzenden Feldern am Ebinger Weg ist der Einfluss der Gänse unübersehbar. Die Tiere machen sich vor allem über die Gerste her. „Wenn da zwei bis drei Ar fehlen, bedeutet das schon einen finanziellen Schaden“, sagt Landwirt Axel Brodbeck. Er hat die Hoffnung, dass das Getreide den Graugänsen bald buchstäblich über den Kopf wächst und sie sich deswegen andere Futterquellen suchen. Trotz allem sieht er die Situation relativ gelassen. „Das ist jetzt halt dieses Jahr so“, sagt Brodbeck. „Ich hoffe, dass wenn ich nächstes Jahr etwas anderes sähe, das den Gänsen weniger schmeckt.“

Zwar ließen sich die Tiere aufscheuchen, „aber ich kann nicht den ganzen Tag am Feld stehen und in die Hände klatschen“, sagt der Landwirt. Als zuständiger Jagdpächter dürfte Brodbeck die Graugänse in der Jagdzeit und unter bestimmten Einschränkungen schießen. Das will er aber nicht, nicht zuletzt, weil die Vögel viele Menschen erfreuen. Auch die Stadt sieht derzeit keinen Handlungsbedarf. Eine Umsiedlung der Tiere ist ebenso wenig geplant. Das sei laut Friederike Woog ohnehin schwierig. „Gänse sind sehr ortstreu und zumindest die Weibchen fliegen immer wieder an ihren Geburtsort zurück beziehungsweise zu ihren Nistplätzen“, sagt die Ornithologin.