Vor zehn Jahren löst das putzige Eisbären-Baby Wilbär einen Besucheransturm in der Wilhelma aus, der sich bis heute nicht wiederholt hat. 2009 verließ das Tier den zoologisch-botanischen Garten in Richtung Schweden. In unserer Reihe „Was macht eigentlich?“ haben wir nachgefragt, wie es dem schwäbischen Eisbären in seiner zweiten Heimat geht.

Bad Cannstatt - Der 16. April 2008. Vor dem 500 Quadratmeter großen Freigehege der Eisbären haben Kamerateams ihre Ausrüstung aufgebaut. Fotografen stehen auf Leitern, um ein möglichst gutes Bild zu schießen. Es ist der erste öffentliche Auftritt des neuen Wilhelma-Superstars vor einigen Hundert Besuchern. Allerdings scheint ihm der Trubel nicht ganz geheuer zu sein. Als sich die Luke öffnet, versteckt sich das vier Monate alte Eisbärenbaby zunächst hinter seiner Mutter. Doch die anfängliche Scheu legt sich. Als sich Corinna anschickt, ins Wasser zu gehen, zögert er nur kurz und planscht ihr dann hinterher. Es ist nicht die erste Schwimmstunde. Eine Woche lang hat der pelzige Racker auf diesen Auftritt hin geübt. Heimlich. Morgens, wenn der zoologisch-botanische Garten geschlossen war, gewöhnte sich das Tierbaby an das Gefühl von nassen Pfoten.

 

Bei vielen Besuchern noch immer präsent

Auch wenn aus dem Schwaben längst ein Schwede geworden ist: Der Name Wilbär ist heute bei vielen Besuchern noch immer präsent. Und das, obwohl Wilbär zu diesem Zeitpunkt ein rein „regionales Erlebnis“ ist, wie es der damalige Zoodirektor Dieter Jauch ausdrückte. Einen Hype wie um das Eisbären-Baby Knut in Berlin will man in Stuttgart vermeiden – auch wenn dieser dem Hauptstadt-Zoo Millionen-Einnahmen beschert hat. Und so wird der winzige Nachwuchs, auf den man in Stuttgart lange gehofft hatte, fast zweieinhalb Monate vor der Öffentlichkeit geheim gehalten. Kein Wort über die Schwangerschaft, kein Wort über die Geburt am 10. Dezember 2007 dringt nach außen. Die Eisbärenmutter soll selbst entscheiden, ob sie ihr Junges aufzieht oder nicht. Eine Handaufzucht, wie sie zu dieser Zeit auch in Nürnberg bei „Flocke“ erfolgt, schließt man aus. Dieses Mal geht jedoch alles gut, die kritische Phase wird gemeistert. Dafür wird einiges unternommen. Damit die Ruhe für das Jungtier in der Silvesternacht gewährleistet ist, bittet Jauch beispielsweise die Polizeibeamten, Feierwütige im Rosensteinpark von zu lauter Knallerei abzuhalten.

Nach dem ersten öffentlichen Auftritt wird der Bär mit den dunklen Knopfaugen schnell zum prominentesten Wilhelma-Bewohner. Absperrungen mit der Aufschrift „noch 30 Minuten bis Wilbär“ müssen aufgestellt werden, ein Sicherheitsdienst ist im Einsatz. Bis zu zwei Stunden warten Tierfreunde bisweilen, um einen Blick auf den Eisbären-Nachwuchs zu werfen. Das stellt auch den Arbeitsalltag der Zoo-Mitarbeiter auf den Kopf. „Eine verrückte Zeit“, erinnert sich Wilhelma-Kuratorin Ulrike Rademacher. „Wir wurden förmlich überrollt. Mit dem Hype hatten wir nicht gerechnet.“ Im Mai 2009 verlässt der Eisbär Stuttgart in Richtung Orsa-Bärenpark, der 300 Kilometer nordwestlich von Stockholm liegt. Auch dieses Mal nimmt man es mit der Geheimhaltung in der Wilhelma sehr ernst: Der Umzug soll genauso geräuschlos vonstatten gehen wie die Geburt. Leicht wird dies nicht. Fotografen liegen rund um die Eisbären-Anlage wochenlang auf der Lauer und warten darauf, einen Schnappschuss des mittlerweile 200 Kilogramm schweren Eisbären machen zu können. Wilhelma-Mitarbeiter schieben deshalb leere Transport-Kisten durch die Gegend, um Verwirrung zu stiften. Und tatsächlich: Die Abreise bleibt weitgehend unentdeckt. Nicht zuletzt, weil man ein weiteres Fahrzeug zur Ablenkung vorausgeschickt hatte.

Inzwischen 500 Kilogramm schwer

Sein zweites Zuhause in Schweden ist mit seinen Seen und Flussläufen nun deutlich größer als die alte Stuttgarter Heimat. Und mehr Platz ist auch vonnöten, kommt der Eisbär dieser Tage doch auf ein Gewicht von etwa 500 Kilogramm. Ein paar Dinge sind jedoch gleich geblieben: „Wilbär ist nach wie vor sehr verspielt. Seine Vorliebe für blaue Plastiktonnen ist geblieben.“ Ulrike Rademacher schiebt lachend hinterher: „Wobei ich mir sicher bin, dass er auch rote nehmen würde.“ Von den Tierpflegern erhält er häufig „Beschäftigungsfutter“ in Form einer „Eisbombe“, die beispielsweise mit Obst, Gemüse, Fisch oder Fleisch gefüllt ist. Aber auch auf die Schneekanonen im hohen Norden lässt der Ex-Wilhelma-Bewohner nichts kommen.

Nach seiner Ankunft in Schweden wird zunächst Ewa aus dem Zoo von Rotterdam Wilbärs Gefährtin. Was man von den beiden erwartet? Nachwuchs natürlich. Dieser bleibt jedoch seit einigen Jahren aus. Obwohl sich die beiden mögen. Allerdings scheint Ewa keine Babys bekommen zu können. Und so ist seit Anfang dieses Jahres – dank des europäischen Arterhaltungsprogramms – eine weitere Partnerin an Wilbärs Seite zu finden: eine drei Jahre alte Eisbären-Dame, die aus einem Zoo in Südfrankreich stammt und den Namen „Hope“, zu Deutsch: „Hoffnung“, trägt. Das Eisbären-Trio kommt bislang gut miteinander zurecht. Die Vorzeichen sind also vielversprechend, dass es in den kommenden Jahren doch noch einen bärenstarken Halb-Schwaben in Schweden geben wird.